Der Weg der Gesetzlichkeit ?

In der letzten LinX wurde der "Zirkularbrief" zur Lektüre empfohlen, den Marx und Engels im September 1879 an führende Genossen der deutschen Sozialdemokratie geschrieben hatten. Er war eine Entgegnung auf den Versuch einiger Parteimitglieder (Höchberg, Schramm, Bernstein), die Partei in der durch das Sozialistengesetz erzwungenen "Ruhepause" zum Überdenken und zur Revision bisheriger Ansichten und bisherigen Handelns zu bewegen: die Partei nicht mehr einseitig auf die ArbeiterInnenklasse auszurichten, sondern sich vor allem den Bildungsbürgern zu öffnen, ihre bisherige Radikalität, wie sie etwa in der Unterstützung der Pariser Kommune zum Ausdruck kam, aufzugeben und sich auf demokratische Reformtätigkeit zu beschränken.

Bei einem Abschnitt des Briefes muss ich an Ereignisse denken, mit denen wir uns in den vergangenen Wochen, ebenfalls in die Geschichte zurückblickend, auch befasst haben: Ereignisse während der deutschen Revolution 1918/19. Lest selbst.

Die Stellungnahme der genannten Funktionäre aufgreifend, heißt es in dem Brief: "Kurz, die Arbeiterklasse aus sich selbst ist unfähig, sich zu befreien. Dazu muss sie unter die Leitung `gebildeter und besitzender´ Bourgeois treten, die allein `Gelegenheit und Zeit haben´, sich mit dem vertraut zu machen, was den Arbeitern frommt. Und zweitens ist die Bourgeoisie beileibe nicht zu bekämpfen, sondern durch energische Propaganda - zu gewinnen.

Wenn man aber die oberen Schichten der Gesellschaft oder nur ihre wohlmeinenden Elemente gewinnen will, so darf man sie beileibe nicht erschrecken. Und da glauben die drei Zürcher, eine beruhigende Entdeckung gemacht zu haben:

`Die Partei zeigt grade jetzt unter dem Druck des Sozialistengesetzes, dass sie nicht gewillt ist, den Weg der gewaltsamen, blutigen Revolution zu gehen, sondern entschlossen ist ..., den Weg der Gesetzlichkeit, d.h. der Reform, zu beschreiten.´ Also wenn die 500 000 - 600 000 sozialdemokratischen Wähler, 1/10 bis 1/8 der gesamten Wählerschaft, dazu zerstreut über das ganze weite Land, so vernünftig sind, nicht mit dem Kopf gegen die Wand zu rennen und einer gegen zehn eine `blutige Revolution´ zu versuchen, so beweist das, dass sie sich auch für alle Zukunft verbieten, ein gewaltiges auswärtiges Ereignis, eine dadurch hervorgerufene plötzliche revolutionäre Aufwallung, ja einen in daraus entstandner Kollision erfochtnen Sieg des Volks zu benutzen! Wenn Berlin wieder einmal so ungebildet sein sollte, einen 18. März zu machen, so müssen die Sozialdemokraten, statt als `barrikadensüchtige Lumpe´ (S. 88) am Kampf  teilzunehmen, vielmehr den `Weg der Gesetzlichkeit beschreiten´, abwiegeln, die Barrikaden wegräumen und nötigenfalls mit dem herrlichen Kriegsheer gegen die einseitigen, rohen, ungebildeten Massen marschieren. Oder wenn die Herren behaupten, das hätten sie nicht so gemeint, was haben sie dann gemeint?
Es kommt noch besser.

`Je ruhiger, sachlicher, überlegter sie´ (die Partei) `also in ihrer Kritik der bestehenden Zustände und in ihren Vorschlägen zur Abänderung derselben auftritt, um so weniger kann der jetzt´ (bei Einführung des Sozialistengesetzes) `gelungene Schachzug wiederholt werde, mit dem die bewusste Reaktion das Bürgertum durch die Furcht vor dem roten Gespenst ins Bockshorn gejagt hat.´ (S.88)

Um der Bourgeoisie die letzte Spur von Angst zu benehmen, soll ihr klar und bündig bewiesen werden, dass das rote Gespenst wirklich nur ein Gespenst ist, nicht existiert. ... Man schaffe den Klassenkampf ab, und die Bourgeoisie und `alle unabhängigen Menschen´ werden `sich nicht scheuen, mit den Proletariern Hand in Hand zu gehen´! Und wer dann geprellt, wären eben die Proletarier." - Weiterlesen!

(D.L.)