Politisch will die herrschende Klasse sich mit dem Widerstand gegen Atommülltransporte im Wendland nicht länger auseinandersetzen. Der Konflikt ist einer routinierten, wenn auch teuren (25 Mio. Euro), Verpolizeilichung zugeführt worden. Das ist das Resumee des vergangenen Castortransports nach Gorleben. Der Widerstand hat sich regionalisiert, wird von Einheimischen mit größerer Radikalität geführt, wie nicht nur an den technisch mindestens interessanten Straßenunterspülungen zu erkennen ist. Er erlebt sogar eine kleine Renaissance, es waren diesmal erheblich mehr Menschen beim Transport als letztes Jahr. Dennoch ist der Nachhall in den Medien nahezu auf Null geschrumpft, was nicht zuletzt an einer geschickten Polizeitaktik liegt: Verbal weichgespült, vor Kameras zurückhaltend, hat die nunmehr gleichzeitig genehmigende wie ausführende Ordnungsmacht andererseits die Überwachung und Kontrolle exzessiv ausgeweitet und den schon hinlänglich bekannten Ausnahmezustand um einen Generalverdacht gegen sämtliche Bewohner und Besucher des Wendlandes ergänzt, der, hätte man noch ein Fußballstadion und nicht die im Walde halb versteckt gelegene Gefangenensammelstelle Neu-Tramm, fatal an Maßnahmen der Pinochet-Junta in Santiago erinnerte.
Von den schätzungsweise 2500 AtommüllgegnerInnen, die sich am 11. und 12. November im Wendland aufhielten, erlebten knapp 2000 vorübergehende Ingewahrsamnahmen, nächtliche Einkesselungen und, wo nicht gerade Kameras zur Stelle waren, auch die bekannte Polizeibrutalität. Jugendliche wurden mit "Karnickelfangschlägen" aus einer Sitzblockade bei Gusborn gezerrt, andere über Zäune geworfen, Grundstückseigentümer ins Gesicht geschlagen, 85 Menschen verletzt. An so gut wie allen Plenen nahmen polizeiliche Spitzel teil, die wenig später die "Rädelsführer" enttarnten und geplante Aktionen umgehend der Einsatzleitstelle bekannt gaben. Dass der regionale Handy-Funkverkehr einer generellen Überwachung durch den IMSI-Catcher unterlag, war bereits vor den Widerstandstagen klar und daher nur noch von geringer polizeilicher Bedeutung. Das Dorf Laase wurde mitsamt einem 500 m entfernt stehenden Theaterzelt, in dem eine Harry-Potter-Lesung stattfand, mittwoch früh um 0.30 Uhr umstellt und ohne Vorankündigung oder Aufforderung komplett in Gewahrsam genommen, samt Einwohnern, Vorlesern und ZuhörerInnen. Angeblich kamen auch 17 PolizistInnen (von 18.450 insgesamt, davon 12.500 zwischen Lüneburg und Gorleben) zu Schaden. Besonders für die Medien präpariert erscheint dabei eine Geschichte aus Quickborn, bei der eine Polizistin von "einem Demonstranten" direkt vor den Castor-Transport geschubst worden sei. Der sei ausgewichen, und sie habe sich - aua - am Knie verletzt. Die Reaktion der durch diese Propaganda aufgebrachten Beamten ließ nicht lange auf sich warten: Nachdem der letzte Atommülltransporter Quickborn verlassen hatte - also nachdem das ohnehin übel beleumundete Niedersächsische Gefahrenabwehrgesetz keine rechtliche Handhabe mehr bot -, stürmte die Polizei das evangelische Gemeindehaus, in dem Demonstranten übernachtet hatten, trat zuvor die Tür ein und schlug den Pastor, der das Hausrecht hatte, aber, wie viele Haus- und Hofbesitzer, es nicht wahrnehmen konnte. Zu dieser Zeit füllte sich die GeSa Neu-Tramm mit fast 300 Festgenommenen.
Der Dank für Polizeichef Niehörsters "Die Protest-Szene hat
einen fairen Widerstand geleistet" und Trittins zynische Bescheinigung
eines "insgesamt friedlichen Verlaufs" fiel bei der BI Lüchow-Dannenberg
denn auch verhalten aus. Es gehe hier nicht um ein Fußballspiel,
sondern um einen von der Bezirksregierung verordneten "polizeilichen Notstand",
der im Prinzip jedes polizeiliche Mittel jederzeit und an jedem Ort im
weiteren Umkreis des Castortransport rechtfertigen solle.
Nie war die Diskrepanz zwischen den Erklärungen und der Praxis
der politischen wie polizeilichen Führung größer als heute.
Der Bau des Endlagers in Gorleben scheint unabwendbar, die Fortsetzung
der Gorlebentransporte bis 2010 bei deutlich steigender Frequenz und größerer
Behälterzahl pro Transport ist angekündigt, die Renaissance der
Atomkraft überlagert die des Widerstands. "Der Drops ist gelutscht"
- die SMS der Polizei an ihre Einsatzkräfte bei Einfahrt der Castoren
ins Zwischenlager symbolisiert weitsichtig den Umgang mit dem Protest.
Anachronistisch mutet da schon an, dass Trittins "Ausstiegs-"Propaganda
ausgerechnet von den Betreibern des AKW Stade und dem Verband der Energiewirtschaft
dementiert wird. E.ON bestreitet energisch, die Abschaltung habe irgendwas
mit dem Atomkonsens zu tun, sei vielmehr rein wirtschaftlich begründet.
"Ich weiss nicht, was es da zu feiern gibt", ruft VDEW-Geschäftsführer
Eberhard Meller und verweist auf den europäischen Trend zu mehr -
statt weniger - Atomkraft. Finnland, Frankreich, Tschechien, Russland,
China erwähnt er - natürlich nicht in der Absicht, den letzten
KERNspalten recht zu geben, sondern um zu warnen: Deutschland gerät
ins Hintertreffen, wenn wir nicht aufpassen. Hier bietet sich nun doch
eine Parallele zum Fußball an: Auch wer nicht mehr in der ersten
Garde mitspielt, kann mit seinem Rumgegurke noch leidlich erfolgreich sein.
Und Schluss ist immer erst nach dem Abpfiff! Das sollte Herrn Meller trösten,
meine ich.
Der einzige Vorteil, den die Liberalisierung des Energiemarktes für
den ein oder anderen gewissenlosen Verbraucher bisher hatte, nämlich
niedrigere Versorgungsentgelte, ist nun endgültig dahin. RWE und E.ON
haben zum Jahreswechsel Strompreiserhöhungen beantragt, die Yello-Sparte
von EnBW musste schon vor einiger Zeit wegen massiver Verluste die Strompreise
auf Stadtwerkeniveau heben, und außerdem will E.ON auch die Durchleitungsentgelte
für ihr Stromnetz um über 10% anheben, so dass Sekundärversorger
auf jeden Fall teurer werden. Zur Begründung müssen ausgerechnet
Windenergieanlagen herhalten, die mit ihrer schwankenden Produktion stets
eine große Kapazität von "Ausgleichsenergie" erforderten, die
dann den Ökostrom ersetzen müsse. Monopole unter staatlicher
Kontrolle haben also früher günstiger Energie produziert als
der "freie Wettbewerb" heute - aber nicht für alle ist das von Nachteil.
So teilt E.ON seinen Aktionären mit: Der Konzernüberschuss in
den ersten 9 Monaten des Jahres ist um 16% auf 3,4 Mrd. Euro geklettert,
der Umsatz um 33% auf 33,3 Mrd, dank der "konsequenten Ausrichtung auf
Strom und Gas". Mit einer hohen Dividende am Jahresende sei zu rechnen.
Neben der Energiesparte (90%) trugen auch Ruhrgas, Powergen (England) oder
die Degussa (dem Holocaust-Mahnmal sei Dank!) zu dem schönen Konzernergebnis
bei. Wie das mit dem Gejammer über Windkraft zusammenpasst, versteht
nur allzu gut ...
(BG)