Kleingeistiger Kreuzträger

Wenn man in Deutschland etwas ganz sicher tun darf, ohne es sich mit der Mehrheit des Staatsvolks zu verscherzen, dann ist dies: 1. die Juden für alles Unheil in der Welt verantwortlich machen, 2. Türken (und/oder Moslems) als Bedrohung für die (allein selig machende) abendländische Kultur hinstellen. Trotzdem beginnen Antisemiten ihre Hetztiraden gewöhnlich mit der Klage, Deutsche dürften in ihrem eigenen Land nicht mal ungestraft die Wahrheit sagen. Und Ausländerfeinde diverser Richtungen beschweren sich gern über den vorschnellen Gebrauch von so genannten “Totschlagsargumenten” wie Rassismus und Intoleranz. Weshalb häufig im gleichen Atemzug der eigene Mut hervorgehoben wird, der zum “Tabubruch” angeblich aufgebracht werden müsse. Beides wird gern mit  christlich- fundamentalistischer Heuchelei untermauert.

In diesem Zusammenhang sehe ich die Stellungnahme des Herrn Ohms zur “Kopftuchfrage”. Ohne ihn damit weiter irgendwo “einordnen” zu wollen – dazu kenne ich ihn persönlich zu wenig. Meine Beurteilung seiner Haltung ergibt sich aus seinen Formulierungen.

Dass Herr Ohms Alice Schwarzer zitiert, mit der er eigentlich gar nichts zu tun haben will, ist allzu offensichtlich Tarnung. Ohms würde gern seiner Intoleranz gegen das unchristliche Treiben des Kopftuchtragens jetzt schon freien Lauf lassen (wie immer das dann genau aussehen würde), testet aber lieber erst mal aus, wen er mit seiner Stimmungsmache so alles mobilisieren kann.

“Alles, was uns Christen heilig ist”. Um Himmels willen, was soll das sein? “Toleranz, Meinungsfreiheit, Demokratie”. Beim Teufel, wer hätte das gedacht? Dann wären weder in den Regierungs- noch in den wesentlichen Oppositionsparteien deutscher Parlamente viele Christen zu finden (und jemals zu finden gewesen). Aber den Definitions-Streit überlasse ich der christlichen Gemeinde gern selbst. Dass die bindende Zuordnung der genannten Begriffe zum Christentum Unsinn ist, weiß jede denkende Christin, jeder denkende Christ so gut wie ich.

Im Widerstand gegen rassistische und faschistische Umtriebe und Tendenzen in Deutschland und speziell in Kiel habe ich immer wieder mit ChristInnen zu tun. Ebenso mit AnhängerInnen der islamischen Religion. Im Kampf für Demokratie und Gleichberechtigung respektieren wir einander trotz unterschiedlicher Weltanschauungen. Ich kenne auch genug Christen, die mir, um Ohms Begrifflichkeiten zu verwenden, gern den roten Stern oder selbst die gelbe Hand von der Jacke reißen würden. Moslems auch.

Religiöser Fundamentalismus - eigentlich ein allzu unscharfer Begriff - jeder Art ist mir zuwider. In der antifaschistisch-demokratischen Bewegung kann nationalistischer Wahn ebenso wenig geduldet werden wie Frauenunterdrückung. Beide Probleme müssen, wie die Erfahrung zeigt, im Prozess des Widerstandes ständig thematisiert werden. Je mehr man gemeinsam an der Veränderung der gegebenen gesellschaftlichen Zustände arbeitet, die beides ebenso bedingen wie die kriminelle “Ausländer”- und Asylpolitik, desto größere Fortschritte wird man dabei machen können.

Zu den grundlegenden demokratischen Forderungen gehört die strikte Trennung von Kirche und Staat. Sie ist in Deutschland mit seinen in mehrfacher Hinsicht vorrepublikanischen Verhältnissen nicht gegeben und deshalb ein Ziel meiner politischen Betätigung. Höhepunkte christlicher Heuchelei kann man zur Zeit in der Schulpolitik erleben: Kopftuch ist politisch, Kreuz mit heiligem Leichnam ist es nicht. Sicher ein guter Beitrag, Fundamentalismen anderer Glaubensrichtungen zu fördern. Gute Ergänzung zur fortgesetzten Rechtlosigkeit “fremdstämmiger” Bevölkerungskreise.

Um auch das deutlich zu sagen: Religion als Glaubenslehre hat in der Schule nichts verloren. Religion ist Privatsache. Religionsgemeinschaften können von der jeweiligen Ideologie anhängenden Privatpersonen gegründet und unterhalten werden, sofern sie in ihrer Praxis nicht gegen fundamentale Menschenrechte verstoßen. Ein der Aufklärung verpflichteter Schulunterricht – und weniger wird man von einer Schule mit demokratischem Anspruch nicht fordern dürfen – hat die Anschauungen der verschiedenen Religionen ebenso wie ihre Entstehung und ihren Platz in der Geschichte zu behandeln. – Zukunftsmusik...
Sicher scheint mir: Wer in Kiel und besonders in Gaarden rassistischen Tendenzen entgegen wirken will, muss dem Ansinnen des Herrn Ohms deutlich widersprechen.

(Dietrich Lohse)