Zweites Europäisches Sozialfroum:

Gegen Krieg und EU-Verfassung

Ein Forum der Superlative und der unterschiedlichen Geschwindigkeiten ging am 16. November in Paris zu Ende. Rund 50.000 Menschen waren zum zweiten Europäischen Sozialforum in die französische Hauptstadt gekommen, doch wer sich auch nur halbwegs einen Überblick über die hunderte von Plena, Konferenzen, Seminare und Workshops verschaffen wollte, verbrachte mehr Zeit in der U-Bahn, als in den Zelten, Rathäusern, alten Markthallen oder auch Konferenzräumen, die die Organisatoren in vier verschiedenen Gemeinden errichtet oder angemietet hatten. Waren vor einem Jahr in Florenz zumindest die Hauptveranstaltungen noch an einem Ort konzentriert, mussten nun weite Wege mit der Untergrundbahn zurückgelegt werden, um in die verschiedenen Zentren des Geschehens zu kommen. Und selbst an einigen der Veranstaltungsorte lagen die einzelnen Räume alles andere als nah beieinander.

Das war für den Besucher oft aufreibend, lässt aber auch die Löwenaufgabe erkennen, die die Organisatoren zu bewältigen hatten. In einigen Fällen wie in Saint Denis konnten sie dabei auf tatkräftige Mithilfe der linken Stadtverwaltung rechnen, die das Rathaus und mache andere Einrichtung zur Verfügung stellte und selbst parallel zum ESF ein Forum für Kommunalpolitiker organisierte. Rund drei Millionen Euro gab es an Zuwendungen aus öffentlicher Hand und dennoch mussten die Teilnehmer je nach Einkommen 33 Euro und mehr bezahlen. Wer gar keinen Verdienst hatte, kam für drei Euro rein, stand dann aber immer noch vor dem Problem, dass das angebotenes Essen deutlich über zum Beispiel deutschen Preisen lag.

Der Stimmung auf dem Forum tat es aber zumeist wenig Abbruch, soweit ein einzelner Beobachter überhaupt einen umfassenden Eindruck von einer derart komplexen Veranstaltung einzufangen. Die Qualität der Diskussionen war indes unterschiedlich. Rahul Mahajan von der US-Friedensbewegung wünschte sich weniger Großveranstaltungen, auf denen eine allgemeine Zustandsbeschreibung der Welt die nächste jagt. Mehr konkrete Diskussionen über handfeste Projekte wären ihm lieber gewesen. Aber wahrscheinlich war er nur in den falschen Diskussionsrunden. Andere, wie zum Beispiel Sven Giegold vom deutschen Attac-Koordinierungskreis waren mit der Arbeit in den kleineren Workshops hoch zu frieden.

Die Vielfalt der Themen reichte indes von radikaler Arbeitszeitverkürzung und Grundeinkommen für alle über den Zusammenhang zwischen Welthandelsorganisation und Gentechnik bis zu den Rechten von Einwanderern und der restriktiven, nicht selten tödlichen Politik der EU gegen Flüchtlinge gereicht. In vielen Seminaren und Arbeitsgruppen kam dabei die Rede immer wieder auf die geplante EU-Verfassung. Die sei, hieß es am Sonntag in einer Erklärung der sozialen Bewegungen, ein neoliberales Projekt, das den Wettbewerb in den Verfassungsrang erhebe und zudem noch die Militarisierung und Aufrüstung festschreibe. Daher gerät der Verfassungsvertrag, auf den sich die EU-Regierungen vermutlich schon im Dezember einigen werden, immer mehr ins Visier von Gewerkschaften und Friedensorganisationen. In Italien, Frankreich, Dänemark und anderen Ländern laufen bereits Kampagnen gegen das EU-Grundgesetz an.

Weitere wichtige Themen des ESF waren die Besetzung des Irak und Israels Politik in den besetzten palästinensischen Gebieten. An entsprechenden Diskussionen nahmen auch eine Reihe palästinensischer Vertreter und Sprecher der irakischen Opposition teil. Letztere nutzten die Gelegenheit, eine Initiative zur Einberufung einer Volksvertretung bekannt zu geben. José Bové von der französischen Kleinbauernvereinigung Confederation Paysanne schlug in diesem Zusammenhang vor, eine Friedenskarawane in den Irak zu organisieren. Am Sonntag einigte man sich darauf, den 20. März in Absprache mit der US-Friedensbewegung zum internationalen Aktionstag zu machen. Dabei sollen der sofortige Abzug der Besatzer aus dem Irak und die Wiederherstellung der Souveränität des irakischen Volkes gefordert werden. Auch gegen die Besatzungspolitik Israels und insbesondere die Mauer in der Westbank sollen sich die Aktionen richten. In einigen Ländern wie Griechenland, Italien und auch Großbritannien werden sich auch Gewerkschaften in größerem Maße an den Antikriegsaktionen beteiligen. Anlässlich der verheerenden Anschläge auf zwei Synagogen in Istanbul verabschiedete die Versammlung der sozialen Bewegungen auch eine Erklärung, die Antisemitismus klar verurteilte, aber auch vor Antiarabismus warnte und klar stellte, dass die sozialen Bewegungen keinerlei Interesse daran haben, können die bestehenden Konflikte in Nahost zu ethnisieren oder religiös umzuinterpretieren.

Auffällig oft war in verschiedenen Diskussionen vom Generalstreik die Rede. Selbst auf dem Treffen der deutschen Delegation konnten sich viele für ihn begeistern, nur die anwesenden Gewerkschafter kippten ein wenig Wasser in den Wein. Man sollte seine Ziele nicht zu hoch stecken, meinte z. B. Bernt Kamin, Betriebsratsvorsitzender im Hamburger Hafen. Aber die Betriebe müssten unbedingt politisiert und eine Bewegung gegen Sozialkahlschlag von unten aufgebaut werden. Auffallend war die kämpferische Stimmung unter den vielleicht 500 Teilnehmern der deutschen Versammlung (von grob geschätzt 3000 Deutschen auf dem ESF). Ganz offensichtlich hat die Demonstration am 1. November vielen reichlich Hoffnung gemacht, das nun auch in Deutschland die Zeit der Friedhofsruhe vorbei ist. Daher war es vielen deutschen ESF-Teilnehmern besonders wichtig, daß man sich in Paris auf einen europaweiten Aktionstag gegen Sozialabbau einigt.
Auch Horst Schmitthenner vom IG-Metall-Vorstand sprach sich in der Diskussion dafür aus, warnte aber, den Gewerkschaften einfach einen Termin vorzusetzen. Das sah der ver.di-Vorsitzende Frank Bsirske, der ebenfalls nach Paris gekommen war, ähnlich. Und da sich auch die kämpferischen Gewerkschaften Italiens noch nicht festlegen wollten, wird man nun zur Enttäuschung vieler deutscher Aktivisten zunächst abwarten, was der Europäische Gewerkschaftsbund am 4. Dezember entscheidet.

Und dann war da natürlich noch die Abschlussdemonstration am Samstag. Motto: „Für ein Europa des Rechts in einer Welt ohne Krieg.“ Waren es nun 100.000, wie es offiziell heißt, oder 250.000, wie die Schätzung eines Autoren auf www.de.indymedia.org lautet. Jedenfalls waren es viele und ein bunter Haufen: Prostituierte, die für die vollständige Legalisierung ihres Gewerbes auf die Straße gingen, ein sehr großer Block der Sans Papiers, ein paar Trecker der Confederation Paysanne, diverse linkssozialistische Parteien, Attac-Gruppen aus allen Ecken des Kontinents und viele, viele Gewerkschafter aus allen möglichen europäischen Ländern. Die IG-Metall-Vertrauensleute von VW Wolfsburg hatten zum Beispiel eigens einen Bus nach Paris organisiert, um für die 30-Stunden-Woche zu demonstrieren. Eines der beherrschenden Themen des Demozuges waren indes Krieg und Besatzung im Irak sowie Israel und Palästina.
In Deutschland hat das ESF die Diskussionen über ein bundesweites Forum beflügelt. In über 30 Städten gibt es bereits lokale Foren, und auf der Bundesebene wurde ein Initiativkreis bereits im Sommer letzten Jahres gegründet, der unter anderem auch Gespräche mit verschiedenen Sozialverbänden geführt hat. Am kommenden Wochenende wird es in Frankfurt am Main ein Treffen geben, auf dem konkrete Schritte in Richtung Deutsches Sozialforum zu beraten. Die Erwartung an ein solches Forum sind jedoch sehr unterschiedlich, wie sich u.a. auch in den Diskussionen in Paris zeigte. Während die einen an die Charta des Weltsozialforums erinnern und mahnen, die Foren vor allem als offenen Raum zu begreifen und nicht mit Beschlüssen einzuengen, kommt es anderen vor allem darauf an, ein Instrument zu Mobilisierung zu schaffen. Bleibt zu hoffen, dass diese Spannungen produktiv genutzt werden können, wie es bisher auf den europäischen und weltweiten Foren möglich war.
 

(wop)