Umstrukturierung der AWO zu Lasten der Beschäftigten?

Zuerst kommt der Mensch” – bereits seit geraumer Zeit ruft dieses Motto der Arbeiterwohlfahrt (AWO) bei vielen Beschäftigten des Wohlfahrtsverbandes nur noch zynische Reaktionen hervor. Angesichts der Bedingungen unter denen heutzutage soziale Arbeit geleistet wird, ist dies nicht verwunderlich. Einsparungen, Personalmangel und Zeitdruck führen dazu, dass von einer menschlichen Alten- oder Jugendarbeit bei der AWO und anderen Trägern oftmals kaum noch die Rede sein kann. Die Belastungen für die Beschäftigten, z.B. die Arbeitsverdichtung, sind enorm. Der Widerspruch zwischen Anspruch und Wirklichkeit dürfte sich bei der AWO in Schleswig-Holstein zukünftig noch verschärfen, denn der Verband steht vor tiefgreifenden Veränderungen. Diese könnten sich zu Lasten der etwa 3500 Beschäftigten und auch der zu Betreuenden auswirken – wenn nicht entschieden gegen gesteuert wird.

Der Großteil der AWO-Gliederungen in Schleswig-Holstein – bisher als Verein in Landesverband, Kreisverbänden und Ortsvereinen strukturiert – wird im Januar 2004 in mehrere gemeinnützige GmbHs überführt. Als eine Art Dachverband fungiert dabei eine AWO Dienstleistungs gGmbH SH. Weiterhin werden eine landesweite Pflege- und drei regionale gGmbHs (Unterelbe, Mittel- und Südholstein) gegründet. Die Regional-gGmbHs umfassen alle Bereiche mit Ausnahme der Altenpflege. Interessanterweise hat sich u.a. der starke KV Kiel bisher nicht zu einer Teilnahme entschlossen - vermutlich wird sich jedoch auch dieser langfristig dem Sog nicht entziehen können.

Mit den GmbH-Gründungen folgt die AWO einem Trend, der bei verschiedenen Wohlfahrtsverbänden bundesweit bereits seit Jahren zu beobachten ist und der für die Beschäftigten meist Gehaltseinbußen zur Folge hat. Denn bei derartigen Betriebsänderungen besteht nur ein einjähriger Bestandsschutz. Dann können Haustarife abgeschlossen werden. Bei der AWO bedeutet das die Tarifflucht aus dem Bundesmanteltarifvertrag BMT-AW II, der in weiten Teilen mit dem BAT identisch ist. Gehaltssteigerungen wurden bei der AWO bisher analog zum Öffentlichen Dienst (ÖD)übernommen; doch auch diese Praxis wird in den letzten Jahren torpediert. Bereits 2003 wurde der an sich schon bescheidene ÖD-Abschluss nur nochmals abgesenkt übernommen.

Mit den GmbH-Gründungen in SH brechen bei der AWO nun alle Dämme. Es ist erklärtes Ziel der AWO-Geschäftsführer aus dem BMT-AW II auszusteigen und einen eigenen Tarifvertrag für SH abzuschliessen. Der Entwurf der Arbeitgeber liegt ver.di vor und ist als wahrer Horrorkatalog zu bezeichnen: Er sieht eine schrittweise Absenkung der Grundgehälter vor, die im Extremfall bis zu 35 Prozent Verlust führen können. Weiterhin sollen Urlaubs- und Weihnachtsgeld sowie diverse Zulagen (z.B. für Schichtdienst) entweder deutlich gesenkt oder ganz abgeschafft werden. Für weniger Geld soll man dann auch noch mehr und flexibler arbeiten: So sollen Jahresarbeitszeitkonten eingeführt werden, die im Schnitt eine 40,5 Stunden-Woche beinhalten (bisher 38,5); Urlaubstage sollen weg fallen und es soll in der 6-Tage-Woche gearbeitet werden.

Solche Tarifvorstellungen sind schon erstaunlich für einen Wohlfahrtsverband, der seine Herkunft aus der Arbeiterbewegung betont und sich in seinen Leitsätzen auf die Werte des demokratischen Sozialismus beruft.

Über diesen Lohnraub hinaus ist zu befürchten, dass sich die AWO zukünftig nur noch auf das Kerngeschäft (hier vor allem Altenpflege) beschränkt und wirtschaftlich nicht tragfähige Bereiche, die sie bisher aus politischen Gründen gehalten hat (AIDS-, Migrations-, Schuldnerberatung etc.) abwickeln wird.
Fairerweise muss an dieser Stelle gesagt werden, dass sich solche Veränderungen natürlich vor allem aus den Rahmenbedingungen ergeben, die politische Entscheidungsträger zu verantworten haben: so ist z.B. in der Altenpflege seit 1995 ein Markt etabliert worden, der zu massiver Konkurrenz, Gewinnstreben und Kosteneinsparungen führt. Die Refinanzierung der Sozialarbeit durch staatliche Stellen hat sich in den letzten Jahren laufend verschlechtert (“Die Kassen sind leer”). Anstatt nun aber als politischer Wohlfahrtsverband mit den Beschäftigten gemeinsam Front gegen diese Entwicklungen zu machen, passt sich die AWO der Marktlogik an und gibt den äußeren Druck nach unten an die Kolleginnen und Kollegen in den Betrieben weiter.

Die werden sich in den nächsten Jahren selbst wehren müssen und diesbezüglich kommt auf Gewerkschafter viel Überzeugungsarbeit zu. Eine kämpferische Tradition gibt es bei der AWO nämlich kaum, der gewerkschaftliche Organisationsgrad ist gering und aktive Betriebsgruppen sind kaum vorhanden. Viele KollegInnen halten zudem an der Illusion vom “sozialen Arbeitgeber” AWO fest und wollen noch nicht wirklich wahrhaben, was da auf sie zu kommt.

Dennoch sind die ersten Schritte in die richtige Richtung gemacht: So wurden die Beschäftigten auf zahlreichen Betriebsversammlungen informiert, die viele Diskussionen in den Betrieben ausgelöst haben. Eine wachsende Minderheit ist aufgewacht, der gewerkschaftliche Organisationsgrad steigt langsam aber stetig an. Zudem konnte ver.di einen Überleitungstarifvertrag abschliessen ,der den BMT-AW II bis Mitte 2005 und damit ein halbes Jahr über den gesetzlichen Bestandsschutz hinaus sichert. Die 18 Monate bis dahin werden die Beschäftigten nutzen müssen, um ihre Löhne und Gehälter zu verteidigen.

(cg)