Kernspalte

100.000 Menschen gegen Atomanlagen vereint - das gab es in Deutschland zuletzt 1981 in Brokdorf. Das gibt es jetzt wieder - am Ionischen Meer, am Golf von Tarent in Süditalien. Nahe der Ortschaft Scanzano Ionico wollte die Berlusconi-Regierung ein unterirdisches Atommülllager bauen. Gut, es sollte nicht der Müll von Atomkraftwerken sein, denn Italien hat ja keine. Sondern der aus Forschung und Medizin. Aber das brachte eine Region in Aufruhr. Seit dem 14. November blockierten annähernd 100.000 Menschen die Straßen in der Region, wild entschlossen, eine Kontamination ihres Grundwassers nicht hinzunehmen. Die Blockaden waren so konsequent, dass sogar Lebensmittel und Trinkwasser knapp wurden. Aber sie waren nach Lage der Dinge auch unvergleichlich erfolgreich. Das Kabinett strich - offenbar beeindruckt - den Namen der Kleinstadt aus ihrer Liste der in Frage kommenden Standorte.

Die Franzosen hingegen können gar nicht genug Atomanlagen bekommen. Nach der Ankündigung des EPR-Baus in Penly bei Dieppe hat sich nun auch als Standort für den ersten europäischen Forschungsreaktor zur Kernfusion (ITER) Cadarache im Überschwemmungsgebiet der Rhone durchgesetzt. Greenpeace-Aktivisten enterten aus Protest schon mal das Dach des vorhandenen Reaktors in Penly in der Normandie, während ihre deutschen Kollegen fast zeitgleich den Chinesen keine Plutoniumfabrik aus Hanau gönnen wollten.

Zahlreiche Gerichte beschäftigten sich wieder mit Folgen und Beiwerk der Kernspaltung. Das Lüneburger Amtsgericht verurteilte zwei Sitzblockierer zu Geldstrafen, weil sie im letzten Jahr "gezielt zum Nachteil der Bahn" eine gemeinschaftliche Störung des Verkehrs begangen hätten, und das OVG Lüneburg wies drei Klagen, u.a. die eines Elbfischers, gegen die Emissionen der Pilotkonditionierungsanlage Gorleben ab. Ob drei Anzeigen gegen Polizisten (wegen vorsätzlicher Körperverletzung, Verhinderung notärztlicher Hilfeleistung und Freiheitsberaubung) beim jüngsten Castor-Transport jemals zur Verhandlung gelangen, steht noch in den Sternen.
Der Siemens-Konzern hat um eine Hermes-Bürgschaft der Bundesregierung nachgefragt, und zwar für seine Beteiligung am finnischen Reaktorneubau Olkiluoto. Nach Informationen der grünen Europaabgeordneten Rühle soll diese nicht abgeneigt sein. Rühles Hoffnung ruht nun auf der EU-Kommission, die das als Wettbewerbsverzerrung brandmarken solle.

Block 2 in Temelin macht mal wieder Probleme: Zweimal musste er in der vorletzten Woche heruntergefahren werden, weil angeblich falscher Alarm gegeben wurde. Falls das Alarmsignal mal echte Ursachen haben sollte, wird man wohl schon so abgestumpft sein, dass man es demonstrativ überhört.

BG