Weltwirtschaftsforum in der Schweiz:

Gipfel am Kaminfeuer

Mindestens einmal im Jahr zieht es den städtischen Schweizer Linken in die Berge. Die sportlichen unter ihnen vielleicht auch öfter, aber ein Termin bringt auch die Ski-Muffel hinter dem Ofen hervor: Alle Jahre wieder geben sich im verschneiten Davos, dem Tief in den Alpen gelegenen Skiurlaubsort für den gehobenen Bedarf, die Reichen und Mächtigen dieser Welt ein Stelldichein, und derlei geht ja heutigen Tags nicht mehr ohne zünftigen Protest ab. Sehr zum Leidwesen der privaten Veranstalter des erlesenen Meetings.

Die hätten nämlich gerne die kuschelige Kaminatmosphäre erhalten, in der man sich bisher getroffen hatte. Alles hatte Anfang der 1970er ganz klein und fein als Managertreffen angefangen. Zehn Jahre später war dieser Rahmen längst gesprengt. Aus dem einstigen Seminar war das Weltwirtschaftsforum geworden, eine einflussreiche private Stiftung, die für die Spitzen aus Politik und Wirtschaft rund um den Globus regionale Konferenzen veranstaltet. Auf denen können sich Bosse und Regierungsspitzen frei vom Zwang austauschen, konkrete Beschlüsse fassen zu müssen, weshalb diese Veranstaltungen stets gut und hochkarätig besucht sind. Erst im Herbst hatte man je eines für China und eines für Südostasien organisiert, und in diesem Jahr sind eines für Europa und eines für Indien geplant.

Unübertroffener Renner sind allerdings die Jahrestreffen, die Davoser Weltwirtschaftsforen. Rund 2000 Gäste hat man in den vergangenen Jahren dort begrüßt, die Hälfte davon aus den Topetagen der weltweit führenden Wirtschaftskonzerne, dazu jede Menge Staatsoberhäupter, Regierungschefs, Minister, hochrangige Wissenschaftler, führende Medienleute und ein paar Gewerkschafter, Kirchenleute sowie Nichtregierungsorganisationen aus dem Süden, die dem ganzen eine liberale und demokratische Note geben sollen. Letztere lassen sich aber zunehmend schwerer auftreiben. Dieses Jahr werden 3000 Teilnehmer erwartet."Globale Führer" (Global Leaders) heißen sie im Forums-Jargon. In der klaren Luft der Berge, fernab des Alltagsgeschäfts, sollen sie sich vom 21. bis zum 25. Januar über die aktuellen Trends in der Welt unterhalten und neue Initiativen entwickeln. "Partnerschaften für Prosperität und Sicherheit", heißt das Motto im diesen Jahr, womit das Leitmotiv ein besonderes Anliegen des Forums verdeutlicht: Die weitere Liberalisierung der Weltwirtschaft möglichst mit einer Politik zu verbinden, die die wachsenden Gegensätze zwischen Arm und Reich verdeckt und versucht, die Gegenkräfte einzubinden, zumindest aber ihnen rhetorisch den Wind aus den Segeln zu nehmen.

Doch auch das "Geschäft" kommt nicht zu kurz: "Globales Wachstum fördern" heißt  eines der sieben Schwerpunktthemen, und in den dazu vorgesehenen Veranstaltungen wird es unter anderem auch darum gehen, wie man die Verhandlungen in der Welthandelsorganisation WTO wieder zum laufen bekommt, die nach dem Desaster von Cancún sehr zum Leidwesen der europäischen Industrie noch immer stocken.

Lange Zeit konnten die "Führer" Jahr für Jahr ungestört in den Schweizer Alpen mit einander parlieren, die Schweizer Linke, geschweige denn die internationale, nahm keine Notiz. Erst 1994 gab es Proteste. Seinerzeit richtete sich der Unmut richtete sich noch vor allem gegen einen der Besucher: Der damalige mexikanische Präsident Carlos Salinas de Gortari gab sich die Ehre. Bei sich zuhause war er gerade dabei, in Chiapas die zapatistische Guerilla zu bekämpfen, anstatt auf deren Verhandlungsangebote einzugehen. Erst in den folgenden Jahren wurde den Schweizern langsam klar, was sich da alljährlich im Januar in ihren Bergen traf, und mit den zunehmenden Protesten gegen Neoliberalismus und Globalisierung geriet auch das Weltwirtschaftsforum ins Visier der sozialen Bewegungen.

Seit 1998 gibt es jedes Jahr in Davos oder in den Nachbarorten, denn zuletzt war der Ort vollkommen von der Polizei abgesperrt, Demonstrationen. Während 1998 noch die Polizei von der Entschlossenheit der Demonstranten überrascht wurde, rüstete man in den folgenden Jahren erheblich auf, und zwar gleich richtig: Nicht nur Polizei wird gegen die Protestierer aufgefahren, sondern auch das Heer. Mehrere 100 Soldaten und Milizionäre waren es bereits 2001 und in diesem Jahr spricht der Aufruf der Schweizer Anti-WTO-Koordination von einer wachsenden Militarisierung der Unterdrückungsmaßnahmen.

Auch von den Davosern hatte zwischenzeitlich mancher die Nase voll vom Rummel und den polizeilichen Behinderungen, und so gab es im Oktober letzten Jahres eine Volksabstimmung, ob man sich das noch länger antun will. Ergebnis: Man will. 68 Prozent stimmten für eine Fortführung des Weltwirtschaftsforums, 58 Prozent der Wahlberechtigten hatten sich beteiligt.

Und so wird man sich wohl auch in diesem Jahr in dem Urlaubsort vor lauter Uniformen kaum bewegen können. Die "Erklärung von Bern", eine große entwicklungspolitische Schweizer Organisation wird dennoch wieder den alljährliche Gegenkongress veranstalten, und zwar vom 21. bis zum 23. Januar. Im "Public Eye on Davos" wird es um Wasserprivatisierung und die Kontrolle der Konzerne gehen, um die Zusammenarbeit der UNO mit der Wirtschaft, um die  Arbeitsbe- dingungen in der Textilindustrie und um die Zustände in der Sportartikelbranche. Die Eröffnungsrede hält Marie Robinson, ehemalige  UN-Menschenrechts- kommissarin.

Schon am vorhergehenden Wochenende wird es in Zürich unter dem Motto "Das andere Davos" einen weiteren Gegenkongress mit internationaler Besetzung geben. Veranstalter ist ATTAC Schweiz, zu den Unterstützern gehören neben Schweizer Gewerkschaften, sozialistischen Gruppen, Freidensorganisationen und der Grünen Partei auch Focus on the Global South aus Thailand. Die Konferenz soll unter anderem auch zur Vorbereitung des globalen Aktionstages gegen Krieg und Besatzung am 20. März sowie des europäischen Aktionstages gegen Sozialabbau am 2. und 3. April dienen. Man rechnet mit zirka 1000 Teilnehmern.

Aber den Schweizer sozialen Bewegungen und linken Gruppen ist nicht nur nach Konferenzen zu Mute. In Davos und in anderen Städten sind am 24. Januar Demonstrationen geplant, wobei das Demonstrationsrecht vor allem in Davos stark eingeschränkt sein wird. Die Anti-WTO-Koordination ruft ^darüber hinaus zu dezentralen Blockaden auf. Kleingruppen sollen überall zwischen dem Züricher Flughafen, über den die meisten Forumsteilnehmer einreisen werden, und Davos vielfältige mobile Blockaden errichten. "Wenn man schnell genug ist", heißt es bei der Koordination, "kann man den Verkehr lahm legen, noch bevor die Polizei an Ort und Stelle ist." In vielen Orten im ganzen Land finden derzeit Vorbereitungstreffen statt und es sieht ganz so aus, als könnte für das Weltwirtschaftsforum die Gemütlichkeit bald vorbei sein.

(wop)