Aktionskonferenz gegen Sozialabbau:

Reizwort Streik

Größtenteils recht konstruktiv und solidarisch diskutierten die knapp 500 Teilnehmer der Aktionskonferenz „Alle gemeinsam gegen Sozialkahlschlag“ am 17. und 18. Januar in Frankfurt am Main. Ein in solchem Rahmen bislang ungekannt breites Spektrum des sozialen Protests war zusammen gekommen, um über die Perspektiven des Widerstands gegen Sozialabbau zu debattieren und gemeinsame Aktivitäten vorzubereiten. Dazu zählten zahlreiche Gewerkschafter, Erwerbslosenverbände, Studierende, Frauenorganisationen, das globalisierungskritische Netzwerk ATTAC, sowie beinahe alle Parteien und Gruppen, die sich links von SPD und Grünen verorten.

Zu „Kristallisationspunkten“ des Protestes sollen – hierüber waren sich alle Teilnehmer einig – internationale Aktionstage am 2. und 3. April werden, die auf die Initiative der Versammlung der sozialen Bewegungen am Rande des Europäischen Sozialforums in Paris und des Europäischen Gewerkschaftsbundes zurückgehen. In Deutschland soll es nach bisheriger Planung am 3. April eine zentrale Großdemonstration in Berlin geben, möglicherweise ergänzt durch regionale Kundgebungen in Stuttgart und im Ruhrgebiet. „Wir wollen dafür sorgen, dass zum Beginn des Superwahljahrs die Proteste vom 1. November, als 100.000 auf der Straße waren, deutlich übertroffen werden,“ kündigte ATTAC-Vertreter Peter Wahl an. Am 2. April soll es laut Hans-Jürgen Urban vom IG-Metall-Vorstandssekretariat zu „ganz unterschiedlichen Aktivitäten“ kommen. So werde in Gewerkschaftskreisen derzeit darüber diskutiert, an diesem Tag eine Konferenz zum Thema Mitbestimmung zu organisieren.

Vielen Teilnehmern der Frankfurter Aktionskonferenz gingen solche Überlegungen allerdings nicht weit genug. „Wer glaubt denn ernsthaft, dass sich diese Bundesregierung allein von Demonstrationen beeindrucken lässt?“ fragte Georg Kümmel vom Kölner Sozialforum. Letztlich seien Streikmaßnahmen notwendig, um etwas zu erreichen. Andere Redner hoben die Schwierigkeiten hervor, die bei der Mobilisierung der Beschäftigten zu Arbeitskampfmaßnahmen bestünden.

In Zusammenhang mit eben dieser Frage kam es kurz vor Ende der Konferenz zum Eklat, als es am Sonntag Abend um die Verabschiedung einer Abschlusserklärung ging. In einer Arbeitsgruppe hatte man sich zwar auf einen Text verständigt, der neben der Ablehnung der „Agenda 2010“ auch einen detaillierten Forderungskatalog beinhaltet – von Mindesteinkommen und unbeschränktem Zugang zu freier Bildung über stärkere Unternehmensbesteuerung bis hin zur 30-Stunden-Woche bei vollem Lohn- und Personalausgleich. Einen Dissens gab es jedoch in der Frage, ob das Wort „Streik“ bei den zu ergreifenden Widerstandsmaßnahmen auftauchen dürfe. Dies versuchten Peter Wahl und Werner Rätz vom ATTAC-Koordinierungskreis mit allen Mitteln zu verhindern. Eine derartige Erklärung werde von ATTAC nicht mitgetragen, erklärten sie kategorisch. Wahl sagte, man sei zwar nicht gegen Streiks, aber diese würden „nicht deklariert, sondern gemacht“. In erster Linie sei es ihnen jedoch um „bündnispolitische Rücksichtnahme“ gegangen. Man müsse „auch diejenigen mitdenken, die noch nicht dabei sind“, erklärte Wahl, offensichtlich bezogen auf die Gewerkschaftsspitzen.

Nicht nachvollziehen konnte diese Argumentation Bernd Riexinger, Geschäftsführer der Gewerkschaft ver.di im Bezirk Stuttgart/Ludwigsburg. Er hatte einen Formulierungsvorschlag eingebracht, der sich für „betriebliche Aktivitäten bis hin zu Streiks“ ausspricht. „Wenn die Gewerkschaften durch so etwas abgeschreckt würden, wäre das doch eigenartig“, meinte Riexinger gegenüber der Presse. Besonders wunderte den ver.di-Funktionär, dass die Vertreter des globalisierungskritischen Netzwerks ausgerechnet in diesem Punkt, der nicht gerade zu den „ATTAC-Themen“ gehört, ein Veto einlegten. Er bezweifelte zudem, dass Wahl und Rätz in dieser Frage für ihre Organisation, in der es keinen Konsens hierzu gibt, sprechen könnten. „Mit welchem Recht wird da im Namen von ATTAC ein Veto eingelegt?“, fragte Riexinger und schlug vor, dieses Vorgehen innerhalb der ATTAC-Strukturen zu thematisieren.

Wahl betonte, das große Problem sei nicht die vorgeschlagene „Popelformulierung“ gewesen, sondern die Frage, ob auf derartigen Konferenzen im Konsens oder per Abstimmung entschieden werden sollte. Riexinger, der als Diskussionsleiter zur Abstimmung aufrief, erklärte, deren Ergebnis spreche für sich: „Wenn 90 oder 95 Prozent dafür stimmen, kann man doch nicht behaupten, es sei kein Konsens zustande gekommen.“ „Wäre dieser Punkt, der ein zentrales Arbeitsergebnis der Konferenz darstellte und von fast allen unterstützt wurde, nicht abgestimmt worden, hätte man die Konferenz brüskiert,“ argumentierte der Gewerkschafter.
Zur Frage der Positionsbestimmung auf derartigen Treffen wird es wohl noch weitere Diskussionen geben müssen. Die Auseinandersetzung bedeute aber keinen Bruch des Bündnisses, betonten beide Seiten auf Nachfrage. „Es kann passieren, dass für einen Moment die Emotionen hochkochen,“ erklärte Rätz. Und in der, auf der Konferenz letztlich doch beschlossenen Erklärung heißt es: „Wir sind uns bewusst, dass wir die gemeinsame Arbeit über die europaweiten Aktionstage hinaus kontinuierlich fortführen müssen.“

Riexinger hob hervor, dass sich die Ergebnisse der Konferenz, trotz der Auseinandersetzung mit den ATTAC-Vertretern, sehen lassen könnten. Neben der genannten Abschlusserklärung wurde auch ein „Aufruf gegen Sozialkahlschlag und für soziale Gerechtigkeit“ formuliert, für den Riexinger zufolge „Hunderttausende Unterschrifte“ gesammelt werden sollen, „um aufzuzeigen, dass es eine breite Stimmung gegen die Sozialkürzungen gibt.“

 (dab)