Kommentar:

Zeit für Neues

Der Metall- und Elektroindustrie geht's ja so schlecht. Ist doch logisch, dass sie da in Baden-Württemberg der IG Metall nur 1,2 Prozent anbieten kann, das heißt 0,2 Prozentpunkte weniger als das erwartete Produktivitätswachstum. Anders entstehen nämlich keine Arbeitsplätze, lässt man uns wissen. Deshalb soll ja auch möglichst die 35-Stunden-Woche weg. Wenn wir mehr arbeiten, so die krude Logik der Metallunternehmer in der anlaufenden Tarifrunde, bauen wir die Arbeitslosigkeit ab.

Nun, den Leserinnen und Lesern dieser Zeitung wird man derartigen Schwachsinn nicht auseinander nehmen müssen. Aber ein Hinweis darauf, was jene trinken, die uns Wasser predigen, sei gestattet. Zum Beispiel Siemens: Nach dem die Steuerrechnung beglichen war, hat der Konzern im ersten Halbjahr 2003 726 Millionen Euro eingefahren. Das war immerhin eine Steigerung um satte 39 Prozent gegenüber dem gleichen Zeitraum des Vorjahres. Besonders interessant: Der Umsatz ging in der gleichen Zeit um drei Prozent zurück, das heißt, es wurde deutlich mehr aus den Beschäftigten herausgepresst. Und: Der Vorsteuergewinn stieg „nur“ um 24 Prozent, soll heißen, dass ein erheblicher Teil der Gewinnsteigerung auf die Steuergeschenke der regierenden Sozialräuber zurückgeht. Soviel zum Thema Verteidigung des „Standorts Deutschland®“.

Fragt sich, was die IG Metall mit dieser Tarifrunde macht. Ob man in der Frankfurter Zentrale – wie beim ostdeutschen Streikdesaster – immer noch meint, man kommt ohne die Unterstützung gesellschaftlicher Kräfte aus? Die Gelegenheit, neue Konzepte auszuprobieren, das Bündnis mit anderen sozialen Bewegungen zu suchen, war jedenfalls selten so günstig wie derzeit.

Zum einen weil man sich gerade auf gemeinsame Demonstrationen anlässlich der europäischen Aktionstage am 2. und 3. April geeinigt hat. Die Tarifrunde ließe sich problemlos mit dieser Mobilisierung verbinden, wovon beide Seiten reichlich profitieren könnten. Zum anderen liefern die Unternehmer mit ihrem Angriff auf die Arbeitszeit eine Steilvorlage. Betroffen sind nicht nur die Arbeitenden, die noch mehr schuften sollen, sondern auch die Arbeitslosen, denen die Aussicht auf eine Anstellung genommen wird. Die Antwort auf die Kapitalistenfrechheit kann eigentlich nur sein, dass dieses Bündnis auch faktisch hergestellt und lauthals über weitere Arbeitszeitverkürzung nachgedacht wird.

(wop)