In Hamburg wird am 29. Februar an die Urne gerufen:

Neuwahlen im Kasperletheater

Jetzt ist finito“ schnaubte Hamburgs Bürgermeister Ole von Beust am 8. Dezember 2003 ins Mikrofon und kündigte an, die Regierungskoalition aus CDU, FDP und Schill-Partei werde das Parlament des Hamburger Stadtstaates, die Bürgerschaft, vorzeitig auflösen.

Die „erfolgreiche Arbeit“ der Regierung „wollen wir fortsetze“, aber jetzt müsse es Neuwahlen geben, um Ronald Barnabas Schill loszuwerden: „Sich in den letzten Tagen bis heute steigernd, erleben wir ein unwürdiges politisches Kasperletheater mit zum Teil psychopathischen Zügen. Dieses ist mit der Würde und dem Ansehen der Stadt nicht vereinbar.“ Ronald Schill hatte tags zuvor, am 7. Dezember 2003, damit gedroht, er und drei weitere Abgeordnete der Schill-Partei würden in der Bürgerschaft gegen den Haushalt stimmen – damit wäre die Mehrheit für den Bürgerblock aus CDU, FDP und Schill-Partei futsch gewesen. Mit der Drohung Schills, den Haushalt zu kippen, wurden Neuwahlen unvermeidlich.

„Die absolute Mehrheit ist mein Wahlziel“, verkündete von Beust zum Wahlkampfauftakt am 9. Januar. Laut Meinungsumfragen von Mitte Januar geht diese Taktik auf. Die SPD liegt abgeschlagen bei 37 Prozent und kann die bei der letzten Wahl an die Schill-Partei verlorenen Stimmen nicht zurückgewinnen. Der Festigung der Verschiebung des Wahlverhaltens nach Rechts erscheint kaum verwunderlich angesichts der Politik der SPD in den letzten zwei Jahren: In Hamburg machte sie kaum Opposition gegen Privatisierungen und Sozialabbau – die ja auch unglaubwürdig wäre angesichts der ähnlichen Politik der rotgrünen Bundesregierung sowie der Tatsache, dass der Bürgerblock in vielen Bereichen rabiater fortführte, was der voherige rotgrüne Senat bereits begonnen hatte: „Rotgrün hatte die Weichen gestellt für die rigide und repressive Politik des Rechtssenates.

Dazu zählen der Bildungsbereich, die Kinderbetreuung (Kita-Card), die Abschiebepolitik und die Brechmitteleinsätze. In vielen Bereichen konnte die SPD-Politik nahtlos fortgeführt werden, wenn auch in verschärfter Form und mit mehr Tempo,“ so Christiane Schneider, die Sprecherin der Hamburger PDS.
Thomas Mirow ist Spitzenkandidat der Hamburger SPD. Von 1994 bis 2001 war er als Wirtschaftssenator federführend bei der Planung des Ausbaus von Airbus und der Hafencity. Beim Wahlkampfauftakt der SPD am 7. Januar lobte er sich selbst dafür, dass er die rechtlich fragwürdige Werkserweiterung von Airbus in der Planungsphase durchgesetzt hätte – gegen den halbherzigen Widerstand der Grünalternativen GAL, die eigentlich gegen das Zuschütten des Mühlenberger Loches als einem durch europäisches Recht festgeschriebenen Naturschutzgebiet war.

Innenexperte der SPD, der auch als potenzieller Senator gehandelt wird, ist Michael Neumann. Er ist auch Wahlkampfleiter der SPD. Er ist vehementer Vertreter einer repressiven Law-and-Order-Politik: Für Brechmitteleinsätze und geschlossene Heime sowieso, aber auch für eine erweiterte Gen-Datei, mehr Video-Überwachung im öffentlichen Raum – Einschränkung: Nur wenn „Polizisten da sind, um gegebenenfalls sofort eingreifen zu können. Das Hamburger Abendblatt fragte Neumann vor zwei Monaten, was er denn vom finalen Rettungsschuss hält – der polizeilichen Lizenz zum Töten: „Ich sehe hier zurzeit keinen Regelungsbedarf, zumal es auch in der Polizei keine einheitliche Meinung gibt“.

Bei soviel Nähe zur Union erteilte Mirow auf Nachfrage folgerichtig einer großen Koalition keine Absage: „Auch das ist denkbar, allerdings ist es nicht das Wahlziel der SPD.“

Im Jugoslawienkrieg1999 traten fünf Abgeordnete der GAL/Grünen aus Partei und Fraktion aus und bildeten die Fraktion „Regenbogen – Für eine Neue Linke.“ Bei den letzten Bürgerschaftswahlen erhielten sie 1,7 Prozent, womit sie an der Fünf-Prozent-Hürde scheiterten. Die PDS erhielt damals 0,5 Prozent. Norbert Hackbusch, ehemaliger Abgeordneter von GAL und Regenbogen, erklärte zum jetzigen Wahlkampf: „In der Hamburger Politik kann jeder mit jedem, von großer Koalition bis zu Schwarz-Grün ist alles im Gespräch. Bei so viel Konsens zwischen CDU, SPD und Grünen ist eine Politik für soziale Gerechtigkeit und für eine solidarische Stadt nicht zu erwarten.“

Mitglieder von Regenbogen und PDS luden gemeinsam zu einer Versammlung, auf der Mitte Dezember 300 Leute über eine linke Wahlliste diskutierten. Ob es sinnvoll sei, zu kandidieren, war unter den Teilnehmenden nicht strittig – nicht wahlinteressierte linke Gruppen nahmen nicht teil. Dafür waren DKP, RSB, SAV und Linksruck vertreten. Eine gemeinsame offene Liste unter dem Mantel Regenbogen wurde beschlossen. Auch eine Landesmitgliederversammlung der PDS beschloss die Unterstützung der Kandidatur von Regenbogen. Am 22. Januar fand das dritte „Linke Wahl-Alternative-Treffen“ statt, auf dem eine Wahlplattform und eine KandidatInnenliste beschlossen wurde. Als Spitzenkandidatin wurde einstimmig die ehemalige Sprecherin der Regenbogen - Bürgerschaftsgruppe, Heike Sudmann (41), gewählt. Auf Platz 2 folgt Yavuz Fersoglu (36), der zweite Landesvorstandssprecher der PDS. Auf Platz 3 steht die politisch unabhängige Nico Sawatzki (30). Berno Schuckart (52), aktiver Gewerkschafter und Mitglied im Landesbezirksvorstand von ver.di, wurde auf Platz 4 gewählt, Platz 5 hat die Studentin Lucy Redler (24) von der SAV und Platz 6 Bernd Welte (30), Sprecher des geräumten Bauwagenplatzes Bambule. Platz 8 hat Olaf Harms inne, der Bezirksvorsitzende der DKP. Auf Platz 12 steht Dirk Hauer von der Sozialpolitischen Opposition.

Am 14. Februar veranstaltet Regenbogen eine stadtpolitische Konferenz „Die Wüste lebt - Ökonomie, Politik und Widerstand in Hamburg“. Von 10 bis 18 Uhr in der Hochschule für Wirtschaft und Politik, Von-Melle-Park 9. Auch, wer nicht wählen will, hat am 29. Februar einen Grund, in die Wahlkabine zu gehen: Am selben Tag wird über das Volksbegehren abgestimmt, das sich zumindest gegen die vollständige Privatisierung der städtischen Krankenhäuser richtet. In diesem von der Gewerkschaft ver.di initiierten Volksbegehren zeigt sich die Widersprüchlichkeit des Protestes: Das Volksbegehren richtet sich nur gegen die vollständige Privatisierung des Landesbetriebes Krankenhäuser und akzeptiert sowohl die teilweise Privatisierung als auch die Umstrukturierung der Krankenhäuser von einer Versorgungseinrichtung zu einem marktwirtschaftlich ausgerichteten Unternehmen. Linker Widerstand wäre da doch etwas anderes.

(Gaston Kirsche, gruppe demontage)