Kommentar:

Am Stammtisch bedient Sie Frau Merkel

Angela Merkel hat ihr Thema für den EU-Wahlkampf gefunden: Die Türkei soll draußen bleiben, ist im chtistlichen Club Europa nicht erwünscht. Merkel machte sich gar auf den Weg nach Ankara, um die Botschaft persönlich zu überbringen. Man hörte sich's höflich an, dachte sich seinen Teil und wartete auf Schröder, der ein paar Tage später das Gegenteil versprach.

Dabei ist das eigentliche Thema gar nicht der (noch in weiter Ferne liegende) EU-Beitritt des Staates am Bosporus. Der Bundesverband der Deutschen Industrie hat die Richtung längst markiert: Die Aufnahme der Türkei ist wirtschaftlich höchst erwünscht; Ankara ist der ideale Vorposten in einer Region, in der auch in den nächsten Jahrzehnten noch der Lebenssaft der kapitalistischen Raubbau-Ökonomie gefördert wird. Das wissen sowohl Schröder, als auch Merkel. Deshalb bemüht sich der eine derzeit, die Steine aus den Weg zu räumen, und die andere gibt in Ankara durch die Blume zu verstehen, dass sie gegebenenfalls auch nichts anderes machen wird.

Doch vorerst ist EU-Wahlkampf. Zwar wird die Sitzzahl für die Parteien ziemlich belanglos sein, denn das EU-Parlament hat nun wirklich nichts zu entscheiden, doch ist die Wahl ein wichtiges Sprungbrett auf dem Weg zum angestrebten Machtwechsel 2006. Also will man den Wähler nicht mit so belanglosen Themen wie der Militarisierung der EU oder der geplanten Verfassung langweilen, sondern man bringt altbewährte Vorurteile in Stellung.

Das zieht allemal besser als die komplizierte Materie, zu der sich das Superstaat-Projekt EU längst ausgewachsen hat. Außerdem lässt sich in Zeiten allgemeiner Verunsicherung sowieso eher mit dumpfen Gefühlen, als mit sachlichen Argumenten punkten. Zumal die Konservativen genauso wenig wie die Sozialdemokraten Antworten für die drängenden Probleme der Menschen haben.

Die ganze Veranstaltung zeigt, dass die Idee, in der realexistierenden EU würden all die verheerenden Nationalismen und Vorurteile endlich aufgelöst, nur ein schöner Traum ist. Die herrschenden Eliten bleiben jederzeit bereit, auf der nationalistischen Klaviatur zu spielen, Vorurteile und Hass zu schüren. Wie auch in den einzelnen Ländern kann die Überwindung von Spaltung und Vorurteil nur das Ergebnis unserer gemeinsamen Kämpfe für ein besseres Leben sein. Das ist ohne Zweifel ein langer Weg, aber der erste europäische Aktionstag gegen Sozialabbau ist zumindest ein kleines Funkeln am Ende des Tunnels.

(wop)