Gedanken nach dem Abschluss bei Metall:

Anpassung bringt uns unter die Räder

Der Berliner Tagesspiegel hat eine überraschende Erklärung für den gescheiterten tarifpolitischen Amoklauf der Arbeitgeber. Zwei Tage nach dem Pilotabschluss der Metaller in Stuttgart vermeldet er: Der Rücktritt des Kanzlers wirke viel weiter als im unmittelbaren Umfeld Gerhard Schröders und Franz Münteferings. „Die Metallarbeitgeber waren wohl die ersten, die verstanden haben, dass sie besser keine Wette mehr auf die Reformbereitschaft der Politik machen. Dass sie gut beraten sind, schnell einen einigermaßen erträglichen Vertrag zu unterschreiben: weil es niemanden mehr gibt, der die Kraft und das Durchsetzungsvermögen hätte (...) gesetzliche Öffnungsklauseln tatsächlich politisch auf den Weg zu bringen.“

Möglich auch, dass angesichts steigender Mobilisierung innerhalb der Gewerkschaften sich die politische Tagesordnung zeitweilig verschoben hat.
Es ist aber nur eine Seite der Medaille; die politische Großwetterlage. Die andere Seite; die ultimative Gegenforderung der Arbeitgeber nach Wiedereinführung der 40-Stunden-Woche mobilisierte die MetallerInnen. Hilfe die nötig war. Hinzu kam im gesellschaftlichen Umfeld die scheinheilige Diskussion der bürgerlichen Presse über Begrüßungsgeld beim Arztbesuch und steigende Belastungen für RentnerInnen. Innerhalb von wenigen Tagen entwickelte sich auch in den Kieler Betrieben steigendes Protestpotenzial. Der Angriff der Verleger auf den Besitzstand der Journalisten – Kündigung eines Tarifvertrages mit dem Ziel Urlaubsgeld und fünf Urlaubstage zu streichen – tat ein Übriges. Die Erfahrung und Befürchtung wuchs: Alles ist nur noch so sicher, wie Belegschaften bereit sind, ihre Rechte zu verteidigen.

Angesichts der Massivität der Angriffe und der ursprünglichen Ziele der Arbeitgeber ist das Tarifergebnis als Erfolg einzuschätzen.
Dabei hatten die MetallerInnen gerade ein schweres Jahr hinter sich. und lähmende Auswirkungen wie beim verlorenen Bayernstreik waren zu befürchten.
Fügt man die Schlagzeilen der bürgerlichen Presse zur Niederlage Ost zusammen, so ergibt sich folgendes Bild:

Es sollte ein „Krieg um Befreiung“ werden (Handelsblatt vom 5.5.03), Befreiung der Wirtschaft von einer „Kaste der Unberührbaren“ (Westerwelle). Die Zerschlagung der Gewerkschaften schien auf der Agenda der Zeit zu stehen (Freitag 9.5.03). Ende Juni triumphierte die Reaktion. Die IG Metall hatte sich die „Zähne selbst eingeschlagen“ (tageszeitung vom 24.06. 03) Man sollte die Auseinandersetzung bis zur „kleinlauten Aufgabe“ der IG Metall führen (Welt 24.06.03). Einen Monat später triumphierte die Welt „Womöglich werden Historiker in nicht ferner Zukunft das Jahr 2003 mit einer Zeitenwende in Verbindung bringen. Damals, so werden die Geschichtsschreiber vielleicht notieren, hat sich in Deutschland die Gewerkschaftsbewegung alter Prägung aufgelöst.“ (Welt vom 23.7.03).
Gerade in dieser Zeit mussten aktive Gewerkschafter schmerzlich die nahezu vollständige Auflösung eines politischen Arms der Arbeiterbewegung zur Kenntnis nehmen. Die Sozialdemokratie ist den Weg von der Arbeiterpartei zur bürgerlichen Volkspartei nahezu konsequent zu Ende gegangen. Selbst Begriffe wie Gerechtigkeit werden zum Problem und werden mit neuen Inhalten ausgestattet. Dieses Desaster ließ bei unseren Gegnern die Sektkorken knallen, und immer deutlicher wurde formuliert und gefordert: „Es geht auch ohne Gewerkschaften.“

Bis 1989 hatten sich die Scharfmacher im Unternehmerlager damit abgefunden, dass an Gewerkschaften niemand vorbeikommt. Aber wenn sie denn schon sein mussten, sollten sie möglichst kooperativ sein. Man brauchte die Gewerkschaften im Schaufenster des Westens; dass ließ man sich etwas kosten.

Wir Metaller haben die aktuellen Angriffswellen teilweise abwehren können. Das verdanken wir den Belegschaften, die zu tausenden vor die Betriebe gegangen sind. Es wäre jedoch naiv zu glauben, das Arbeitgeberlager hätte sein Ziel aufgegeben. Und wenn es dann soweit ist, dass sie Feuer an die Lunte zur Einschränkung der Tarifautonomie legen, dann wird auch der Verweis auf das Grundgesetz, die Anrufung des Bundesverfassungsgerichtes nicht viel helfen. Denn auch das Votum der Richter wird immer nur das reale Kräfteverhältnis in dieser Gesellschaft widerspiegeln. Gesetze, Urteile, Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen waren schon immer nachträgliche Siegerehrungen.

Je weniger die Politik den Menschen zu bieten hat, desto mehr redet sie von der Zukunft. Aus Gegenwartsfragen werden Zukunftsfragen. Heute redet man von der „ Zukunftsträchtigkeit“ für das 21.Jahrhundert und kennt davon gerade drei Jahre. Niemand weiß, was Ende dieses Jahres sein wird. Die Vergangenheit, unsere kollektiven Erfahrungen werden wie platte Etiketten abgetan. Die Einteilung in Betonköpfe und Modernisierer zwingt zum Nachdenken. Sind es nicht gerade unsere kollektiven Erfahrungen, auf die wir unsere Entscheidungen gründen müssen. Was wüssten wir über die Arbeitgeber, wenn wir nur das smarte Auftreten von Cramer (Chef von Nordmetall) oder Kannegiesser oder Zwiebelhofer zur Messlatte unseres Handelns machen würden?

Wir wissen allerdings eine Menge über unsere Gegenüber, weil wir das tatsächliche Verhalten der anderen Seite über Jahrzehnte und als Organisation über mehrere Generationen kennen.

Wenn wir in schöner Regelmäßigkeit eingeladen werden, doch endlich „in der Wirklichkeit anzukommen“, dann ist damit nichts anderes gemeint als die Kapitulation vor der Praxis der Arbeitgeber.

In dieser Tarifrunde erwachte die kollektive Erkenntnis, dass nichts unserer Arbeits- und Lebensbedingungen sicher ist. Dass nichts unumkehrbar ist in einer Gesellschaft, deren einziger Maßstab der Profit ist. Jede Errungenschaft ist vom ersten Tag der Geltung an gefährdet. Jeder Tarifvertrag, jede Betriebsvereinbarung ist nur ein Waffenstillstand und immer nur so viel wert, wie wir Gegenmacht organisieren können. Dieses wachsende Wissen mobilisierte innerhalb kurzer Zeit riesige Kräfte in den meisten Belegschaften.

Einsicht in Politik liegt in der Luft, greift um sich. Kein Zufall, dass gerade jetzt Hochhuths „McKinsey“ so von sich reden macht. Sein moralischer Anspruch, dass es doch nicht sein kann, dass Ladendiebstahl mit Gefängnis bestraft, aber die Vernichtung tausender von Arbeitsplätzen um des Profites willen, nicht justiziabel ist. Dass die Reaktion auf seine Metapher – es gibt kein Ende der Geschichte – als Aufruf zum Mord gebrandmarkt wird, verwundert nicht. Dieses Vorgehen zeigt aber auch unseren Weg auf: Den Kampf um die Köpfe.

Der Kampf um die Herzen, um die Sprache, um jeden einzelnen Begriff muss von uns geführt werden. Z.B. auch beim neuen Kampfbegriff Globalisierung. Seit 1989 redet alle Welt davon. Was ist passiert ? Welthandel, Kommunikationsnetze, IWF, Direktinvestitionen und grenzüberschreitende Kapitalkonzentration hat es auch zuvor gegeben. Es gibt kein ökonomisches Ereignis, keine Tatsache, keine Entscheidung die dazu berechtigen würde in den 90 er Jahren eine neue Epoche begründen zu lassen. Es gibt keine neue Epoche in der Arbeitnehmern nichts als die Anpassung und der Politik die Kapitulation vor der Ökonomie bleibt.
Das aggressive politische Dogma der Globalisierung hat allerdings einen einfachen, wie brutalen Inhalt: Die Mächte des Kapitals beanspruchen die Welt seit 1991 wieder ungeteilt. Weltkrieg, nicht Welthandel ist das eigentliche Kennzeichen politischer Zustände, die seit 1991, unter hemmungsloser Ausnutzung aller denkbaren Anlässe herbeigeführt worden sind. Diesem Krieg nach außen, entspricht der Belagerungszustand im Inneren. Durchsetzungsfähige Gewerkschaften sind in diesem Burgfrieden neuen Typus nicht vorgesehen.

Für uns heißt es Gegenmacht entwickeln. Anpassung bringt uns unter die Räder.

(Pewe)