Hamburg

Kasperletheater jetzt ohne Schill

Die Bürger haben für klare Verhältnisse in Hamburg gesorgt. Für den neuen Senat ist dies eine große Herausforderung, Hamburg mit dem Konzept der Wachsenden Stadt in die Spitze der europäischen Metropolen zu führen”, erklärte Karl Joachim Dreyer offensichtlich befriedigt am 2. März, zwei Tage nach den Wahlen zum Landesparlament Bürgerschaft und den kommunalen Bezirksversammlungen in Hamburg. Dreyer ist Präsident der Handelskammer Hamburg und Vorstandssprecher der Hamburger Sparkasse.

Die klaren Verhältnisse bestehen vor allem darin, dass die CDU mit ihrem Bürgermeister Ole von Beust nun ohne ihre bisherigen Koalitionspartner Schillpartei und FDP solo regieren kann. Bei den vorigen Bürgerschaftswahlen im September 2001 erhielten die drei Parteien zusammen 432.000 Stimmen, jetzt am 29. Februar 438.000. 2001 waren FDP mit 5,1 % und Schillpartei mit 19,4 % zusammen annähernd so stark wie die CDU mit 26,2 %. 2004 konzentrierten sich die Stimmen für den Bürgerblock auf die CDU, die 47,2 % oder 389.000 Stimmen erhielt, während FDP und die beiden Nachfolger der Schillpartei zusammen nur noch 49.000 Stimmen erhielten und an der 5-%-Hürde scheiterten.

Die SPD sackte demgegenüber von 310.000 Stimmen 2001 auf 251.000 Stimmen 2004 (30, 5 %) ab, die GAL konnte sich von 72.000 auf 101.000 Stimmen (12,3 %) steigern. Die Wahlbeteiligung sank um 3 % auf 68 %- viele SPD-WählerInnen blieben wohl zu Hause. Rotgrün ist gegenüber der CDU in der klaren Minderheit, weitere Parteien sind in der Bürgerschaft nicht mehr vertreten. In den sieben Bezirksversammlungen sieht es etwas anders aus: hier hat Rotgrün in vier Bezirken die Mehrheit, und in einer Bezirksversammlung - Harburg - sitzen die letzten beiden Parlamentarier der PRO-DM/Schillpartei. Massiven Wahlkampf gegen Schill machte die Springerpresse, die in Hamburg monopolähnlich mit dem Abendblatt, Bild und Welt 90 % des Tageszeitungsmarktes innehat, und diesmal täglich “Ole Superstar” (so eine Bild-Schlagzeile) abfeierte. Die vor den Wahlen 2001 von der Springerpresse als Partner für die CDU hochgeschriebene Schillpartei wurde von dieser jetzt kaum noch beachtet und wenn, dann wegen Schills Eskapaden für unseriös erklärt. Offensichtlich lässt sich der überwiegende Teil der ehemaligen Schill-WählerInnen gerne von Springer sagen, was es zu wählen gilt. Erstaunlich, wie reibungslos der vor zweieinhalb Jahren zum Shootingstar aufgebaute populistische Rechtsaußen Ronald Schill im Verbund von Springer und CDU –  die nicht müde wurde, jede Koalition mit Schill & Co kategorisch auszuschließen – von der politischen Bühne weggeredet und -geschrieben werden konnte. Ole von Beust hatte am 8. Dezember die Bürgerschaft aufgelöst und verkündet, sein bisheriger Koalitionspartner Schill veranstalte ein “unwürdiges politisches Kasperletheater mit zum Teil psychopathischen Zügen.”

Seitdem funktioniert Schill-Politik auch ohne Schill: Die von ihm entwickelte Linie, die Innenstadt für Bambule-Demos zu sperren, griff Dreyer von der  Handels- kammer in seiner Rede nach der Wahl auf: “Wir fordern den Senat auf, in einer Bundesratsinitiative auf eine zeitgemäße Regelung des Demonstrationsrechtes hinzuwirken, die übermäßige Belastungen für die City-Besucher und Gewerbetreibende ausschließt.” Hans-Jörg Schmidt-Trenz, ebenfalls ein Repräsentant der Handelskammer, gab nach der Wahl die Devise für den neuen Senat aus: “Tempo ist jetzt gefragt.” Tempo bei der Umsetzung der Forderungen der  Handels- kammer. Ganz oben auf dem Wunschzettel steht ein Verzicht auf langwierige Planungsprozesse, die zumindest formale Bürgerbeteiligung vorsehen. Denn: “Das bremst das Wachstum“, so Schmidt-Trenz. “Mit nur einer Regierungspartei haben wir die beste Chance, die Verwaltung zu vereinfachen.“
Eine solche Wachstumsbremse, bei deren Anblick Kapitalvertreter aufheulen, wurde am 29. Februar angezogen:

Parallel zur Bürgerschaftswahl fand das Volksbegehren “Gesundheit ist keine Ware” statt. 77, 6 % der WählerInnen sprachen sich dagegen aus, Hamburgs staatliche Krankenhäuser vollständig zu privatisieren. Initiiert von der Gewerkschaft ver.di, richtete sich das Volksbegehren nicht kompromisslos gegen Privatisierung - bis zu 49,9 % sollen verkauft werden dürfen. Der CDU/FDP/Schill-Senat hatte aber die Verhandlungen über den vollständigen Verkauf an die private Asklepios-Gruppe praktisch abgeschlossen, nur wegen der Neuwahlen noch nicht abgeschlossen. Der Landesbetrieb Krankenhäuser ist ein Filetstück bisherigen staatlichen Besitzes, und durch das Volksbegehren zum Symbol geworden. Deshalb forderte Dreyer am Ende seiner Rede für die Handelskammer auch: “Die weitere konsequente Privatisierung der öffentlichen Unternehmen der Stadt. Davon darf auch der Landesbetrieb Krankenhäuser nicht ausgeschlossen werden.“

Auch der gesundheitspolitische Sprecher der CDU, Dietrich Wersich, spielt die Bedeutung des erfolgreichen Volksentscheides herunter, etwa mit dem Argument, die Nicht-Wähler hätten sich ja nicht an dem Volksbegehren beteiligt und so repräsentiere dies gar nicht die absolute Mehrheit. Das der neue CDU-Senat so  ge- sehen nur 36 % der Wahlberechtigten (ganz zu schweigen von den wegen ihrer Nationalität nicht-Wahlberechtigten) vertritt, stört ihn dagegen nicht. Für Wersich ist das Volksbegehren nicht bindend: “Der Maßstab dafür ist nicht, wie das Volksbegehren ausgegangen ist.“ Eine Herausforderung nicht nur für ver.di, sondern auch für stadtpolitisch aktive Linke.

Somewhere over the rainbow

Die linke Bündnisliste Regenbogen erhielt bei der Bürgerschaftswahl 9.221 Stimmen (1,1%) gegenüber 14.247 Stimmen (1,7 %) 2001. Zu dem Ergebnis von 2001 kommen noch die 0,5 % hinzu, den die damals in Konkurrenz zu Regenbogen kandidierende PDS erhielt. Diesmal beteiligte sich die PDS ebenso wie die DKP, SAV und Linksruck an der Regenbogen-Liste. Bei den Bezirksversammlungen waren die Verluste noch größer: Während in Altona 2001 Regenbogen (4,4%) und PDS (0,7%) zusammen den Sprung in die Bezirksversammlung geschafft hätten, erreichte die in Koordination mit Regenbogen kandierende PDS diesmal 1,6 %. Ähnliche Verluste auch woanders: So in Eimsbüttel von 3,0 % für Regenbogen plus 0,6% für die PDS 2001 auf 2,3 % für Regenbogen 2004, in Mitte von 3,6 % für Regenbogen plus 0,8 % für die PDS auf 3,2 % für Regenbogen.

Dass die Prozentanteile für die Bezirksversammlungen höher liegen als die zur Bürgerschaft, lässt darauf schließen, dass Einige für das Landesparlament das “kleinere Übel“ GAL gewählt haben. Im Wahlkampf 2001 war Regenbogen noch in den Parlamenten vertreten, seit sich jeweils kleine Fraktionen im Juni 1999 von der GAL aus Protest gegen die grüne Beteiligung am Krieg gegen Jugoslawien abgespalten hatten. Diesmal kam Regenbogen mangels parlamentarischer Repräsentanz in den Medien nicht vor, wurde nur in einer Meinungsumfrage erwähnt und war somit fast inexistent - außer im klimatisch bedingt geringen Straßenwahlkampf. Der Protest gegen die grüne Kriegsbeteiligung 1999 ist überlagert worden von der rotgrünen Weigerung, am Irakkrieg teilzunehmen. Im Wahlprogramm von Regenbogen wurde der rotgrüne Kurs im Irakkrieg nicht als imperialistisches Konkurrenzverhalten zu den USA kritisiert, sondern als Friedenspolitik gelobt: “Dass die Bundesregierung sich der aktiven Teilnahme am Irakkrieg verweigert hat, ist begrüßenswert.”

Viele Ex-Grüne sind der Politik der GAL noch immer sehr nah. Das Wahlprogramm von Regenbogen liest sich wie ein realpolitisch-linkes Programm der GAL aus der Zeit, bevor sie 1997 für das koalieren mit der SPD linke Forderungen verabschiedete. Die Hamburger gruppe demontage schrieb in einer Kritik am  Wahl- programm: “Keine der Forderungen kann im Sinne einer systemkritischen Ausrichtung interpretiert werden. Alle sind realpolitisch und grundsätzlich anschlussfähig, d.h. sie könnten ganz seriös in Koalitionsverhandlungen mit GAL und SPD eingebracht werden. Dies verwundert ein wenig, würden sich doch die meisten Träger des Bündnisses zumindest als Sozialisten verstehen. Auch besteht überhaupt kaum die Gefahr, dass Regenbogen in die Bürgerschaft einzieht oder gar einer Regierungskoalition beitreten könnte. Warum also nicht das fordern, was über den Alltag hinausgeht?”

Bereits bei der Vorstellung der KandidatInnen-Liste am 25. Januar mischte sich unter die Kritik, dass Rotgrün keine Alternative, sondern nur eine langsamere Variante der Politik von Sozialabbau und Ausgrenzung in Hamburg bedeuten würde, ein Versuch, von links mit diffusen Inhalten massenwirksam zu argumentieren. Da hieß es beispielsweise: “Gerechtigkeit, Chancengleichheit und Solidarität sind für die neoliberalen Regierungen in Hamburg und im Bund zu Fremdwörtern geworden.” Der Umkehrschluss, vor Auftauchen des Neoliberalismus seien Gerechtigkeit, Chancengleichheit und Solidarität für deutsche Regierungen wichtige Inhalte gewesen, ist eine hanebüchene Verklärung: Eine andere, solidarische Regierung im Kapitalismus ist möglich? Einen Satz weiter endet die Vorstellung der KandidatInnen mit Wortgeklingel: “Die Alternative zu dem großen Übel CDU/Schill/Offensive/FDP und dem kleineren Übel SPD/GAL heißt REGENBOGEN!” Im Rahmen der parlamentarischen Spielregeln gedacht mag das stimmen, aber eine politische Alternative könnte sich nur im außerparlamentarischen Raum bilden. Genau dieses Problem wurde bei der Regenbogen-Kandidatur weitgehend ausgeblendet, statt dessen euphorisch anmaßend verkündet: “Die 24 KandidatInnen auf der offenen Liste von REGENBOGEN spiegeln den breiten linken Widerstand in der Stadt wieder.“ Einmal von der Frage abgesehen, ob die 1,1% den “breiten linken Widerstand“ widerspiegeln, gibt es auch Linke, die sich aus unterschiedlichsten Gründen nicht an der Kandidatur beteiligt haben. Obwohl Lucy Redler von der SAV, der Bambulero Bernd Welte und Olaf Harms von der DKP auf der Liste standen – die ganze (radikale) Linke ist das nicht. An der  Regenbogen- Kandidatur haben sich Linke beteiligt, die traditionelle Formen von “Politik mit den Massen” für möglich halten und den Aktionismus der Kandidatur für eine inhaltliche Weiterentwicklung halten.

Folgerichtig sprach die DKP in ihrer Wahlauswertung von einem “Erfolg” für Regenbogen: “Das Ergebnis bei der heutigen Bürgerschaftswahl für die  Wähler- Innenvereinigung ‘Regenbogen - Linke Alternative für eine solidarische Stadt’ stellt einen beachtlichen Erfolg für die außerparlamentarischen Bewegungen in Hamburg dar. Die Deutsche Kommunistische Partei (DKP) Hamburg war von Beginn an eine der tragenden Säulen der linken Wahlplattform.“ Das sei “ein großer Ansporn für die Hamburger Linke.“ “Die neue Hamburger Regierung wird mit dem entschlossenen Eingreifen der Arbeiter und Angestellten, der Schüler und Studenten, der Auszubildenden wie der Rentner und der Erwerbslosen zur Verteidigung ihrer berechtigten Interessen konfrontiert werden.“

Nicht nur die DKP sieht die Hamburger Linke hochmotiviert durch den “Erfolg“: Heike Sudmann erklärte im Interview mit der jungen Welt auf die Frage, was denn da noch übrig bleibe vom viel beschworenen Aufbruch der Linken: “Aus unserer Sicht hat der Aufbruch stattgefunden. In Hamburg ist es der Linken zum ersten Mal gelungen, sich trotz aller Differenzen auf gemeinsame Ziele zu verständigen und mit vereinten Kräften für eine solidarische Stadt zu kämpfen. Allein das markiert einen großen Aufbruch, der auch anhalten wird.“ Die Presseerklärung von Regenbogen zum Wahlausgang verspricht: “Wir werden die vereinte Kraft, die wir in diesem kurzen Wahlkampf gefunden haben, nicht verpuffen lassen. Eine andere Politik ist machbar - den langen Atem dafür haben wir!“ Das verwundert angesichts dessen, dass Regenbogen nach der Bürgerschaftswahl 2001 bei linken Aktivitäten weitgehend unsichtbar war und sich mit dem plötzlichen Wiederauftauchen unmittelbar nach Ankündigung von Neuwahlen nicht gerade als kontinuierlich tätige politische Formation, sondern bisher eher als kurzfristig erblühender Wahlverein dargestellt hat.

Aber vielleicht wird jetzt ja alles anders und Regenbogen wird sogar in die notwendige Auseinandersetzung mit der eigenen grünen Geschichte eintreten, die Entwicklung der GAL aufarbeiten und selbstkritisch darüber reflektieren, was denn linke Wahlbeteiligungen ohne halbwegs radikale außerparlamentarische Bewegungen überhaupt anderes sein können als ein Hinterherlaufen hinter dem Medienzirkus, um “die Massen“ zu erreichen.

(Gaston Kirsche, gruppe demontage)