Sklavenhändler gegen Internetforum:

Geduzten Chefs platzt der Kragen

Es dauerte ca. ein Jahr bis das Kieler Forum Chefduzen.de ein Eigenleben bekam und zur proletarischen Selbsthilfe genutzt wurde. Leute aus unterschiedlichsten Branchen und Betrieben,Menschen die am Existenzminimum und im Graubereich des Rechts leben, begannen sich hier auszutauschen. Bedingungen und Firmeninternas werden ausgeplaudert, man tauscht sich aus über Möglichkeiten bei Entlassung und im Umgang mit Behörden das Beste für sich herauszuschlagen und man diskutiert Strategien sich zu wehren.

Aber schon das Öffentlichwerden von Firmeninternas brachte die Gegenseite zur Weißglut, so dass sie zum juristischen Gegenschlag gegen das Diskussionsforum ausholte. In einem Anwaltsschreiben wurde Chefduzen.de aufgefordert unter Androhung von Schadensersatzforderungen wg. Rufschädigung den anomymen Bericht eines ehemaligen Mitarbeiters von Alpha Zeitarbeit München aus dem Netz zu nehmen. Nun kam Leben in die Bude, in der Netzwelt wurde ausgiebig über den Fall berichtet und die Besucherzahlen verzehnfachten sich im Forum. Chefduzen blieb standhaft, statt den beanstandeten Beitrag zu löschen, bot man der Leiharbeitsfirma die Möglichkeit zur Gegendarstellung. Erstaunlich war es schon, daß aus “linksradikaler" Ecke einige uns rieten einen freiwilligen Rückzieher zu machen, um so Repressionen aus dem Weg zu gehen. Es scheint, die Problematik der schwindenden Freiheit im Internet ist in der Politszene kein Thema. Brauchbare Printmedien der Linken gibt es kaum noch, die Taz ist ein unpolitisches Käseblatt und die Konkret mag man nichteinmal mehr mit der Zange anfassen. Seit Rhizom in Schleswig Holstein online gegangen ist folgte ein fast vollständiges Sterben der politischen Plakat-,Flyer-und Flugblattkultur.

Alpha Zeitarbeit nahm sich nun die wohl bekannteste Anwaltskanzlei für Internetabmahnungen Frhr. von Gravenreuth und fuhr stärkere Geschütze auf: Nun wurde eine gerichtliche Verfügung erwirkt gegen Androhung eines Ordnungsgeldes von bis zu 250 000 Euro oder sechs Monate Haft den Beitrag zu löschen. Zu Beginn der Auseinandersetzung wurden gerade 140 Besuche in beanstandetem Thread* gezählt, zum Zeitpunkt der Löschung waren es knapp 8000. Netzaktivisten waren aufmerksam und hatten vorsorglich den vieldiskutierten Artikel gespeichert und im Moment der Löschung beiChefduzen.de tauchte er auf zahllosen anderen Sites auf und ist weiterhin im Netz zugänglich.

Unlängst konnten wir beobachten, wie sich die Redaktionen aller großer Sender und Printmedien als Stammgäste in dem Forum einfinden, denn hier gibt es Einblicke in die Abgünde der herrschenden Zustände. Hier kann man bei seinen Recherchen genaue Einblicke in die Lebensrealität der Opfer von Neoliberalsmus und Globalisierung bekommen ohne sich die Finger schmutzig zu machen und ohne den Redaktionssessel zu verlassen.

Doch dann sollte uns diese Situation helfen, als ein Thread über die Arbeitsbedingungen im Kieler Callcenter von Freenet zu unseren interessantesten Themen wurde. Als durch aufmerksame Chefduzen-User aufgedeckt wurde, daß Freenet seinen Kunden den Zugriff auf firmenkritische Seiten sperrte und sie auf eine Counterstrikeseite umleitete, schlug die Diskussion über Zensur durch den Internetanbieter hohe Wellen. Nachdem stern.de, sueddeutsche.de, heise.de, börsennews uva. sich dieses Themas angenommen hatten, brach Chefduzen.de mit seiner veralteten Forensoftware unter dem Besucheransturm zusammen und blieb 24 Stunden offline. Wir haben im Schweiße des Angesichts upgedatet und das Forum läuft besser als zuvor. Es gab jede Menge Angebote für technisches Know How, alternativen Serverplatz (man vermutete Zensur durch unseren Provider), Publizistische und sonstige Unterstützung. Die Existenz dieses Forums scheint tatsächlich für einige von Bedeutung zu sein. Wir hoffen, das macht es nun möglich auch die finanziellen Lasten, die auf uns zukommen auf mehrere Schultern zu verteilen.
Ohne die Hilfe der überreagierenden Geschäftsführerin von Alpha Zeitarbeit München wäre Chefduzen.de nie in so kurzer Zeit so populär geworden. Wir sollten uns bei ihr bedanken!

Wir haben uns bisher nicht um ein Spendenkonto kümmern können. Solidarität ist gefragt, demnächst werden Details zum Thema unter www.chefduzen.de veröffentlicht. Unter info@chefduzen.de kann auch direkt Kontakt aufgenommen werden.

(Karsten Weber, Chefduzen.de)