Europäische Aktionstage gegen Sozialabbau:

Ein voller Erfolg

In Deutschland waren die europäischen Aktionstage gegen Sozialabbau ein voller Erfolg. In den meisten anderen Ländern war offensichtlich weitaus weniger mobilisiert worden. Hierzulande gingen unter dem Motto „Aufstehen, damit es endlich besser wird“, nach Angaben von Polizei und DGB in Berlin mehr als 250.000, in Köln rund 100.000 und in Stuttgart weit über 120.000 auf der Straße. Insgesamt wird von über 500.000 und damit mehr als dem doppelten dessen ausgegangen, was die Veranstalter erwartet hatten. Nach Berlin waren 1.700 Busse und sechs Sonderzüge gekommen. Der DGB Nord berichtet davon, dass er in einigen Regionen keine zusätzlichen Busse mehr habe organisieren können, weshalb mancherorts Interessenten abgewiesen werden mussten.

Die neben Deutschland größten Proteste gab es am Samstag in Rom. Hier folgten mindestens 500.000 vor allem ältere Menschen dem Aufruf von CGIL, CIS und UIL. Etwa die Hälfte der 11,2 Millionen Mitglieder dieser drei größten Gewerkschaftsverbände Italiens sind Rentner. Die Manifestation in der italienischen Hauptstadt richtete sich denn auch vor allem gegen die von Ministerpräsident Silvio Berlusconi betriebene „Rentenreform“, die eine Erhöhung des Renteneintrittsalters vorsieht. Dagegen hatten die Gewerkschaften bereits eine Woche zuvor mit einem landesweiten Generalstreik protestiert. Laut UIL-Chef Silvano Minati müssen derzeit mehr als vier Millionen Rentner mit knapp 500 Euro im Monat auskommen.

In Frankreich gingen in etwa 60 Städten zusammen mehr als 70.000 Menschen auf die Straße (siehe Artikel von Bernhard Schmid in dieser Ausgabe). In Belgien, der Slowakei und Slowenien riefen die Gewerkschaften ebenfalls zu Demonstrationen auf, über die aber leider bis Sonntagabend keine Informationen vorlagen.
Auch über die diversen dezentralen betrieblichen und außerbetrieblichen Aktionen, die in Deutschland für Freitag, den 2. April geplant waren, ist bei Redaktionsschluss leider wenig bekannt. Besonders im Raum Stuttgart und in einigen bayerischen Städten waren kurze Arbeitsniederlegungen im Gespräch. In Berlin hatten auf einem gut besuchten Bündnis zwar viele Linke die Gewerkschaftsführungen wegen diesbezüglicher Inaktivität kritisiert, an einer dann selbst organisierten Aktion bei den Siemens Turbinenwerken war die Beteiligung jedoch nur sehr dürftig.

In Berlin gab es einen Sternmarsch. Von drei Auftaktorten bewegten sich die Demonstranten zum viel zu kleinen Platz vor dem Brandenburger Tor, auf dem die Abschlusskundgebung stattfand. Etliche Busse kamen zu spät an, sodass die Insassen entweder gar nichts von den Demonstrationen mitbekamen oder nur einen Teil der Abschlusskundgebung (siehe Bericht von D.L. in dieser Ausgabe). Der DGB war im Vorfeld von sozialen Initiativen und Büdnissen vielfach für seine zögerliche Planung kritisiert worden, die von wesentlich weniger Teilnehmern ausging.

Von einer derartig großen Demo lassen sich bestenfalls nur ein paar Eindrücke wiedergeben: Einer der drei Auftaktorte war auf dem Alexanderplatz, wo sich die Ostdeutschen und Berliner versammelten. Hier war die Auftaktkundgebung weitgehend in den Händen des örtlichen Bündnisses gegen Sozial- und Bildungsraub, was den“antikapitalistischen Block“ von Autonomen und Anarchosyndikalisten nicht davon abhielt, die Kundgebung in ihrem Umkreis mit einem eigenen Lautsprecherwagen zu übertönen. Mit diesem Verhalten standen sie allerdings nicht allein.

Aber das sind nur ein paar kleine Misstöne in einem Großartigen Bild. Andere wären die örtliche Polizei, die es sich nicht nehmen ließ, am Rande der Demonstration mit voller Kampfmontur und einigen Wasserwerfern zu provozieren und kurzzeitig in den antikapitalistischen Block zu stürmen (politische Verantwortliche: PDS und SPD, die in Berlin gemeinsam regieren); oder die IG Bergbau Chemie Energie (IG BCE), die auf Schildern für Sozialpartnerschaft und „Modell Deutschland“ warb.
Ansonsten bot sich ein unglaublich buntes und meist sehr kämpferisches Bild: Die Beschäftigten der Berliner Krankenhäuser demonstrierten in einem geschlossenen Block gegen Lohnverzicht, den man gerade (im Auftrag von PDS und SPD) von ihnen fordert. „Gesundheit ist kein Ware“ stand auf einem ihrer Transparente. GdP-Fahnen (Gewerkschaft der Polizei) waren ebenso zu sehen, wie der erwähnt schwarze und schwarz-rote Block, der nicht allzu weit hinter einer 50 Köpfe starken Bergmannskapelle in traditionellen Trachten aus dem Erzgebirge lief. Die PDS-Basis war relativ stark vertreten, und einige machten auf Schildern deutlich, dass sich ihr Protest auch gegen die Regierung ihrer Partei in Berlin richtete. Auch ATTAC war mit einem eigenen Lautsprecherwagen und Block dabei, wie auch die IG Bauen Agrar Umwelt, die in Berlin vergleichsweise links ist, und die PDS-Jugendorganisation solid. Gänzlich abwesend, d.h. nicht durch Fahnen oder Transparente erkennbar, waren im ostdeutschen Demozug hingegen die Basis von SPD und Grünen. (Interessant wäre, ob das auch andernorts der Fall war.)
Insgesamt war die Atmosphäre laut und kämpferisch. Viele zum Teil sehr junge Gewerkschafter waren zu sehen, und auch der Verweis, dass für Rüstung und Krieg trotz Sozialkahlschlag allemal Geld da ist, war auf manchem Transparent und Flugblatt zu lesen. Selbst DGB-Chef Sommer, der sonst lieber auf Schröders Schoß sitzt, ließ sich zu einer vollmundigen Kritik an der „Agenda 2010“ hinreißen. Aber natürlich wird man von ihm nicht erwarten können, dass er dafür sorgt, dass seine Worte in Taten umgesetzt werden und der politische Druck auf die Regierung erhöht wird. Dafür wird die Basis – in und außerhalb der Gewerkschaften – sorgen müssen.

(dab, wop)