Aktionstag in Frankreich:

Andere Schwerpunkte

Die Demonstrationen vom Samstag, 3. April fielen in Frankreich zahlenmäßig nicht so bedeutend aus wie in der benachbarten BRD. Das hat aber nichts damit so tun, dass westlich des Rheins allgemeine soziale Harmonie und Zufriedenheit, eitel Freude und Sonnenschein herrschen würde. Vielmehr liegt die Ursache für die ungleiche Beteiligung an den Demonstrationen vom 3. April darin, dass dieser Termin in Frankreich nicht so sehr im Zentrum der sozialen Mobilisierungen stand und deswegen nicht so viele Energien auf ein einheitliches Datum fokussiert hat.

Über die Teilnehmerzahlen gibt es recht unterschiedliche Angaben, vermutlich waren es etwa 10.000. Auch in weiteren französischen Städten fanden Protestzüge statt, so in Lyon mit je 2.000 bis 3.500 TeilnehmerInnen und in Lille (1.000 bis 3.000 Personen). Kleinere Demos fanden u.a. in Montpellier und Marseille statt.
Der Pariser Demonstrationszug wurde von kleinen Abordnungen des sozialdemokratischen Gewerkschaftsbunds CFDT und des nach Eigenbezeichung reformistisch-unpolitischen Dachverbands UNSA eröffnet. Der CFDT-Vorsitzende François Chérèque – der am 15. Mai 2003 seine Zustimmung zur umstrittenen "Rentenreform" der neokonservativen Regierung von Jean-Pierre Raffarin erteilt hatte, während 48 Stunden zuvor frankreichweit anderthalb Millionen DemonstrantInnen gegen diese so genannte Reform protestiert hatten – wurde mit Pfiffen und Schmährufen empfangen.

Hinter diesen schwach besetzten Abordnungen von wenigen hundert Personen folgten die beiden mit Abstand größten Blöcke der Demonstration, jene der CGT und der Lehrergewerkschaft FSU. Der mehrere tausend Personen umfassende Zug der CGT wurde von den Beschäftigten des Maschinenbauherstellers Alstom aus La Courneuve, einer Vorstadt nördlich von Paris, eröffnet. Der dortige Alstom-Standort befindet sich seit dem 8. März – im Streik, denn Alstom plant 345 Entlassungen in La Courneuve und 8.000 Kündigungen weltweit. Die Streikenden in La Courneuve blockieren die Betriebstore und statteten bereits anderen Standorten in den Pariser Vorstädten Levaillois und Saint-Ouen und verschiedenen Baustellen Besuche ab. Sie nahmen aber auch an einer Demonstration der Alstom-Beschäftigten im ostfranzösischen Belfort teil und führten am 1. April einen Protestzug vor den Amtssitz des französischen Premierministers durch. Alstom hatte 3,2 Milliarden Euro staatlicher Hilfen, im Namen der Unterstützung "für die Arbeitsplätze", kassiert, bevor die Konzernleitung die Entlassungspläne bekannt gab.

Auch "illegale" Immigranten (Sans papiers), die linken SUD-Basisgewerkschaften und Aktionskomitees von Oberstufen-SchülerInnen schlossen sich dem Demozug an. Die relative zahlenmäßige Schwäche der Mobilisierung erklärt sich daraus, dass der 3. April nicht als zentrales Datum betrachtet wurde. Die Initiative zu diesem Demonstrationstermin ging vom Europäischen Gewerkschaftsbund (EGB) aus, in dessen Hände die Idee eines europaweiten Aktionstages nach dem Europäischen Sozialforum vom November 2003 gelegt worden war. In Frankreich wurde der Termin zunächst durch die Apparate der EGB-Mitgliedsorganisationen CGT und CFDT übernommen – nicht jedoch durch die rechtere Force Ouvrière (FO), die ebenfalls dem EGB angehört –, wurde jedoch nicht mit den zahlreichen sozialen Basismobilisierungen verknüpft.

An diesen herrscht in jüngerer Zeit kein Mangel. Beispielsweise blieb in Paris in den letzten drei Wochen fast kein Tag ohne größere Demo mit einem sozialen Anliegen. So demonstrierten die Sozialarbeiter (am 13. und 17. März), die Forscher und Wissenschaftler (am 12. und 19. März), die Wohnungslosen (13. 03.), die Studierenden, die Lehrerschaft (12. März)... Spektakulär fiel der Protest der Feuerwehrleute aus, die eine Anerkennung ihres Metiers als "gefahrenvoller Beruf" und ein damit verbundenes früheres Rentenalter (ab 55) fordern. Am Donnerstag, den 25. März demonstrierten mehrere tausende (3.500 bis 7.000) von ihnen in Uniform durch Paris. Im Anschluss verweigerte eine größere Zahl unter ihnen, dem Auflösungsbefehl Folge zu leisten. Rund 1.000 Demonstranten blieben in der Nähe der Pariser Oper zusammen und griffen die Bereitsschaftspolizei CRS an, die das gesamte Viertel abzuriegeln versuchte; letztere hatte 32 Verletzte in ihren Reihen zu beklagen.

Die Mehrzahl dieser Demonstrationen wurden von verschiedenen Sektoren des öffentlichen Dienstes organisiert, in der privaten Wirtschaft gab es weniger Kämpfe. Bisher fließen die einzelnen Mobilisierungen noch nicht zu einem einheitlichen Protest zusammen, was mit mangelnder Initiative der Gewerkschaftsapparate zusammen hängt, aber auch mit einer derzeit unklaren Gesamtsituation. Nach dem "Denkzettel", den die neokonservative Regierung unter Jean-Pierre Raffarin bei den frankreichweiten Regionalwahlen vom 21. Und 28. März wurde in der darauffolgenden Woche die Regierung umgebildet. Nun wartet man auf deren erste Schritte.

Erwartet wird, dass die neue Regierung nunmehr, nach der "Rentenreform", die andere Großbaustelle in Gestalt einer regressiven "Gesundheitsreform" angehen wird. Auch die Privatisierung der  mehrheitlich in Staatsbesitz befindlichen Energieversorgunger EDF und GDF steht an. Desweiteren wird es einen Konflikt um den Abbau von Lehrer-Arbeitsplätzen geben. Von 18.000 altersbedingten Abgängen will die Regierung nur rund 11.000 ersetzen, Der Abbau betrifft besonders die Fächer Sport, Geschichte und Sprachen. Die Studierenden, an ihrer Spitze die SportsudentInnen haben deshalb in den letzten 14 Tagen eine Reihe von Demonstrationen und Besetzungsaktionen organisiert, und derzeit breitet sich eine Uni-Streikbewegung im Lande aus, bereits die zweite innerhalb eines Jahres.
 
(Bernhard Schmid, Paris)