Überlegungen zu Hartz IV:

Nach dem 1. Mai

Unsere Agenda heißt Widerstand”! So war es auf dem Transparent zu lesen, dass an der Spitze des Demonstrationszuges am diesjährigen 1. Mai in Kiel getragen wurde. Dieser Losung, vom Kieler Bündnis gegen Sozialabbau und Lohnraub beschlossen und zum Beispiel von ver.di ausdrücklich mitgetragen, müssen nun Taten folgen. Acht Monate bis zur geplanten Einführung des Arbeitslosengeldes II müssen acht Monate gezielter und sich steigernder Aktionen sein, um die Umsetzung von Hartz IV doch noch zu verhindern. Bestandteile der Widerstandsaktionen müssen auch die anstehenden Tarifkämpfe werden.
Die ganze Skrupellosigkeit der Regierenden wird in den Debatten darüber, ob der für die Einführung des ALG II vorgesehene Termin gehalten werden kann, einmal mehr deutlich. Die organisatorische Unfähigkeit der SozialräuberInnen könnte dazu führen, dass bei einer nicht fristgemäßen Verwirklichung dieses Konzepts die Anspruchberechtigten Anfang 2005 erstmal gar keine Leistungen bekommen. Der Fraktionschef der SPD im schleswig-holsteinischen Landtag, Lothar Hay, sieht jedenfalls die Gefahr, “dass die Betroffenen ... monatelang auf die erste Zahlung warten müssen” (KN, 26.4.). Das findet er nicht gut und will die Reform um ein halbes Jahr verschieben. Aus durchsichtigen Motiven: “Hay fürchtet, dass man” – d.h. die SPD – “ausgerechnet kurz vor der Landtagswahl 2005 `sehenden Auges in eine neue katastrophale Runde läuft´.” (ebd.)

Möglicherweise klappt es ja doch mit der Auszahlung, aber die versprochene intensive Betreuung der Langzeitarbeitlosen kann erst später aufgenommen werden. Ausgerechnet auf diese Möglichkeit konzentriert sich die öffentlich vorgetragene Empörung einiger prominenter Gewerkschaftsangestellter. Ihre Kritik fasst die “Frankfurter Rundschau” am 22.4. in einem Artikel mit der Überschrift ”DGB pocht auf Kundencenter” so zusammen:
“Für die Langzeitarbeitslosen und deren Angehörige wäre es dem DGB zufolge “unerträglich”, wenn jetzt nicht wenigstens die versprochene bessere Betreuung mit gleichem Engagement wie die Kürzung der Leistung vorangetrieben würde. “Dafür werden wir uns als Gewerkschaften innerhalb und außerhalb der BA vor allem einsetzen”, bekräftigte Engelen-Kefer.”

Das ist eine unerträglich dumme Stellungnahme. Oder findet jemand darin irgendein reales Engagement gegen die Leistungskürzung, die auch Engelen-Kefer manchmal wortreich kritisiert? Mit dem Einsatz für die Kundencenter verteidigen die so Engagierten ein Feigenblatt des Sozialkahlschlags, das von vornherein zur Irreführung der Öffentlichkeit gedacht war und die Akzeptierung des 4. Hartz-Gesetzes fördern sollte, mit dem die Bundesregierung jährlich drei Milliarden Euro an Lohnersatzleistungen einsparen will. Selbst wenn sich Arbeitslose jede Woche zweimal mit einem tatsächlich gut informierten und gutwilligen Arbeitsvermittler zusammensetzten, würde das an dem Missverhältnis zwischen freien Arbeitsplätzen und der Zahl der Arbeitssuchenden nichts ändern. Diese Art Sonderbetreuung hat den Datenabgleich zwischen Arbeits- und Sozialämtern zur Voraussetzung (man hofft durchaus, damit zum Beispiel “Wohngelderschleichern” auf die Spur zu kommen), soll eine bessere Überwachung der Erwerbslosen bewirken und dafür sorgen, dass sie sich den verschärften Zumutbarkeitskriterien tatsächlich unterwerfen, dass sie also die ihnen zugedachte Funktion als LohndrückerInnen wahrnehmen.

Hartz IV muss verhindert werden. Wie kann das gehen? Kann es noch gelingen? – Es kann jedenfalls nur dann gelingen, wenn wir dies nicht nur auf Feiertags- und Wochenenddemonstrationen fordern, sondern in allen Auseinandersetzungen im Bund, in den Bundesländern und vor Ort glaubhaft machen. Wir müssen auf jeden Fall die Kraft finden, unsere Kritik an der Agenda 2010 (zu der Hartz II und IV gehören) in Tarifabschlüsse umzusetzen, die keinen weiteren Reallohnabbau und keine Ausweitung der Arbeitszeiten zulassen. Bisher haben wir diese Kraft in den verschiedenen Branchen und Betrieben meist nicht gefunden. Dies verdeutlicht auch die Probleme, vor denen wir stehen, wenn wir etwa die Frage politischer Streiks aufwerfen bzw. solche Arbeitskämpfe organisieren wollen. Dabei scheint mir klar: Wenn wir diese Probleme nicht lösen, wenn wir die Bereitschaft zu Arbeitsniederlegungen im Kampf gegen die Agenda nicht wecken und organisieren können, wird uns das Fell über die Ohren gezogen.

Manche Gewerkschaftsorganisationen haben sich offenbar auch mit Hartz IV schon abgefunden. Der Vorstand der IG BAU zum Beispiel geht in die Tarifverhandlungen mit dem Angebot, die Arbeitszeiten noch stärker zu flexibilisieren und auf Lohnerhöhungen ganz zu verzichten. Eine angenommene Lohnerhöhung von 2,2 Prozent soll nicht den Beschäftigten gezahlt werden, sondern zum größten Teil in einen Fonds zu Gunsten von Unternehmen fließen, die auf Kündigungen verzichten. Die FR schreibt dazu: “Dahinter steckt auch die Absicht, die Folgen der rot-grünen Hartz-Reformen am Arbeitsmarkt abzufedern. Diese senken mit dem Arbeitslosengeld II nicht nur die Höhe der Zahlungen, sondern verschärfen auch die Bedingungen für den Zug der Leistungen. Wer als Bauarbeiter im Winter seinen Job verliere, habe künftig nur noch alle zwei Jahre Anspruch auf das reguläre Arbeitslosengeld. In dem anderen Jahr müsse er mit dem Arbeitslosengeld II auskommen, das auf oder knapp über Sozialhilfeniveau liege. Zudem verliert er seine Ansprüche ganz, wenn er jenseits der Freigrenzen über eigenes Vermögen verfügt oder die Ehefrau verdient. Daher will die IG BAU erreichen, dass die vorübergehenden Kündigungen in den kalten Monaten zurück gehen.” – Dies ist ein bezeichnendes Beispiel dafür, wie die Erpressungen bereits Wirkung zeigen, und zwar keineswegs nur auf Funktionärsebene (falls das immer noch jemand glauben sollte), sondern ganz sicher unter den Belegschaften.

In dieser Situation versteht sich selbst der von mir formulierte Anspruch an die Tarifabschlüsse, der vielleicht recht niedrig erscheint, nicht von selbst und ist nicht ohne Kampf zu verwirklichen. Die Auseinandersetzungen im Öffentlichen Dienst werden das zeigen. Die Kolleginnen und Kollegen in diesem Bereich, von deren Wut Heide Simonis am Rande des “Arbeitnehmerempfangs” am 29. April vor dem Kieler Schloss eine deutliche Kostprobe bekommen hat, müssen breite Solidarität finden. Erfolge in der Tarifpolitik, die den Kampf gegen weitere Privatisierungen einschließt, würden bei den notwendigen weitergehenden Mobilisierungen, mit denen nicht gewartet werden darf, hilfreich sein.

Im Kieler Bündnis gibt es eine Auseinandersetzung über die Forderung nach einem Generalstreik, in der nicht alle TeilnehmerInnen in der Lage scheinen, die Gegebenheiten zu berücksichtigen. Die Notwendigkeit politischer Streiks, auch eines Generalstreiks, der von mir aus gern länger als den von manchen anvisierten einen Tag dauern dürfte, wird von nicht wenigen Kolleginnen und Kollegen in den Gewerkschaften seit langem vorgetragen und auch öffentlich vertreten. Wir haben dafür sicherlich mehr Rückhalt erreicht, und wir werden nicht nachlassen, weiter darauf hinzuarbeiten, dass den Worten Taten folgen können. Aber es sollte einleuchten, dass zur Zeit nicht erwartet werden kann, dass Gewerkschaftsorganisationen wie der ver.di Bezirk Kiel-Plön – der offiziell im Bündnis mitarbeitet – öffentlich zum Generalstreik aufrufen, und sei es auf einem Transparent des Bündnisses. Denn eine entsprechende Beschlusslage gibt es nicht. Wer daraus den Schluss zieht, eigentlich würde das Bündnis durch die gegebene Zusammensetzung eher geschwächt und zur Selbstbeschneidung gezwungen, verkennt die Wirkung von Transparenten (und Unterschriftenlisten – ja, ich habe auch schon lange unterschrieben) und ist von der Verwirklichung berechtigter Forderungen weit entfernt. Das Bündnis ermöglicht es allen Teilnehmenden, ihre Anliegen zur Diskussion zu stellen und mit diesen Anliegen in den gemeinsamen öffentlichen Aktionen aufzutreten. Das ist gar nicht so selbstverständlich, wie es sich anhört und wie es sein müsste. Forderungen an die Gewerkschaften lassen sich nicht ertrotzen, und wem die Zusammenarbeit zu mühselig ist, der muss sie lassen – diese Perspektive stellt sich für GewerkschafterInnen aus naheliegenden Gründen gar nicht – und allein für seine Anliegen werben oder sich andere Bündnisse suchen. Als linke GewerkschafterInnen haben wir lange darauf hingearbeitet, dass sich unsere Organisationen in solche Bündnisse begeben, und an der Verbreiterung des Bündnisses sollten wir gemeinsam weiter arbeiten. Ebenso werden die Gewerkschaftslinken ihre Zusammenarbeit verstärkt organisieren, auch im Norden sind wir dabei.

(D.L.)