Kinderarbeit:

Selbstorganisation

Ich bin gegen die Abschaffung der Kinderarbeit.“ Tambaké Tounkara aus Guinea weiß wovon er spricht. Schon seit Jahren arbeitet der Jugendliche in seinem Heimatland als Schweißer. Eine ungewöhnliche und vor allem für Gewerkschafter und andere in der Solidarität mit den Entwicklungsländern Aktive provokant klingendes Statement, das der junge Guineer letzte Woche auf einer Pressekonferenz in Berlin machte. Für seine Freunde und Kollegen ist es allerdings eine Selbstverständlichkeit. Rund 30  Kinder und Jugendliche aus 23 Ländern kamen in den letzten beiden Aprilwochen im Freizeit- und Erholungsheim (FEZ) in Berlin-Wulheide zum zweiten Welttreffen der Bewegung der Arbeitenden Kinder und Jugendlichen (NATs, Niñ@s y Adoloscentes Trabajadores) zusammen. Gewählt wurden sie von nationalen und regionalen Netzwerken von Kinderorganisationen, die es in Lateinamerika bereits seit Ende der 1970er, in Afrika und Asien seit den 1990ern gibt.

Kinderarbeit in Entwicklungsländern ist auch hierzulande seit Jahren ein Thema. Gewerkschaften, Kirchen und vor allem Nichtregierungsorganisationen engagieren sich vehement für ihre Abschaffung und organisieren partielle Boykottaktionen. Ende der 1990er gab es einen internationalen Marsch gegen die Kinderarbeit. Auch die Internationale Arbeitsorganisationen (ILO) hat zwei Resolutionen über Altersgrenzen und “besonders schlimme Formen der Kinderarbeit“ angenommen. Bereits im Jahre 1973 setzte sie das Mindesalter für die Aufnahme von Arbeit auf 15 und von schwerer Arbeit auf 18 Jahre fest. Trotzdem arbeiten nach ihrer Schätzung weltweit etwa 350 Millionen Kinder.

Doch anders als die Organisationen der Erwachsenen, halten die betroffenen Kinder meist wenig von einem Verbot der Kinderarbeit. Salah Uddin aus Bangladesh erklärte weshalb: “In Bangladesh hat sich die ILO vor einigen Jahren erfolgreich gegen die Kinderarbeit in der Textilindustrie engagiert. Die Kinder, meistens Mädchen, mussten gehen und verloren ihr Einkommen. Viele blieb nur die Prostitution, von den wenigsten wissen wir, was aus ihnen geworden ist.“

Das Beispiel ist vielleicht extrem, aber durchaus symptomatisch. Die Kinder arbeiten, weil sie ihren Lebensunterhalt verdienen müssen. An der zugrunde liegenden Armut ändert auch ein Verbot nichts. In Nepal gab es schon in den 1990er Jahren Studien, die belegten, wie das Verbot der Kinderarbeit auf den Teeplantagen die soziale Situation der Kinder und ihrer Familien verschlechtert hat. Aber es ist nicht nur die existenzielle Armut. “Dass ich arbeite hat auch mit meiner Kultur und den sozialen Bedingungen in meinen Land zu tun“, meint Tambaké. “Ohne die Arbeit könnte ich nicht zur Schule gehen, meine Eltern können das Schulgeld nicht bezahlen.“ Eine Erfahrung, die von vielen Delegierten geteilt wird, und nicht wenigen war der Stolz auf die Selbständigkeit anzumerken.

Das heißt allerdings nicht, dass man gegenüber den Arbeitsbedingungen kritiklos wäre. “Ja zur Arbeit – Nein zur Ausbeutung“ lautete das Motto des Welttreffens. Viele der lokalen Kinderorganisationen sind in der Auserinadersetzung mit der Ausbeutung der Kinder entstanden. “Bei uns arbeiten zum Beispiel sehr junge Kinder von unter zehn Jahren in illegalen Goldminen, und zwar von früh morgens bis spät in die Nacht“, berichtet Myagmasure Enkhjargal aus der Mongolei. Gegen diese Formen der schweren Ausbeutung wehrt man sich. Im indischen Bundesstaat Karnathaka hatten Gewerkschafter gemeinsam mit Kinderarbeitern schon Mitte der 1980er eine Gesetzesvorlage ausgearbeitet, in der detailiert zwischen Kinderausbeutung (child labour) und Kinderarbeit (child work) unterschieden wird. Später ist aus diesen Bemühungen die Kindergewerkschaft Bhima Sangha entstanden, die heute 13 000 Kinder und Jugendliche mit ihren Aktivitäten erreicht. 1996 war sie Gastgeberin des ersten Welttreffens in der Stadt Kundapur. “Wenn man die Entwicklung unser Arbeitsbedingungen ansieht, haben wir etwas erreicht“, meint Tambaké. “Wir haben uns organisiert und Anerkennung erkämpft. Zumindest in Afrika haben wir uns Gehör bis in höchste Regierungskreise verschafft.“

Selbstbestimmung wird in den Kinderorganisationen ganz groß geschrieben, doch ohne Unterstützung der Erwachsenen geht es meist leider nicht. Das Welttreffen in Berlin wurde von einem losen Vorbereitungskreis namens ProNats organisiert. Zahlreiche Stiftungen und Verbände, darunter auch ver.di, beteiligten sich an den Kosten für Flugtickets und Übersetzer, das FEZ stellte seine Einrichtung kostenlos zur Verfügung. Von offizieller Seite gab es allerdings weniger Wohlwollen. Zwar habe man sich mit Vertretern des Berliner Senats und des Ministeriums für Wirtschaftliche Zusammenarbeit getroffen, berichtet Manfred Liebel von ProNats, aber von den Bundestagsabgeordneten habe kein einziger Zeit gefunden, mit den Delegierten zu sprechen. Schlimmer noch war es an der Grenze zugegangen. Mehreren Delegierten aus Indien und Pakistan seien die Visa verweigert worden. Einige der Delegierten seien bei der Einreise schikanösen Kontrollen unterworfen und wie Kriminelle behandelt worden.

Für die selbstbewussten Kinder allerdings kein Grund,den Kopf in den Sand zu stecken: “Wir wollen uns am Aufbau einer Welt ohne Diskriminierung beteiligen“, so Sophie Amelia Faye aus Senegal. “Wir wollen, das alle arbeitenden Kinder als Bürger anerkannt und respektiert werden.“

(wop)

Informationen im Internet:
www.pronats.de
www.workingchild.org
www.italianats.org