Kommentar:

Zu früh gefeiert

Wer erwartet hatte, auf dem Pesrpektivenkongress in Berlin würden ATTAC, Gewerkschaften und Sozialverbände über langfristige Perspektiven der sozialen Bewegungen diskutieren, wird enttäuscht worden sein. Derartiges stand nicht auf dem Programm – jedenfalls nicht auf dem der großen Foren, in einzelnen Arbeitsgruppen wurde durchaus über den Tag hinaus diskutiert. Insofern greift entsprechende Kritik, die hier und da von einigen Linken zu hören war, zu kurz, denn eine solche Diskussion war nicht versprochen worden.

Auf der Tagesordnung stand vielmehr die Defensive, die Frage, was gegen das drohende Abgleiten eines Teils der Lohnabhängigen in Armut, gegen die Privatisierung der Sozialversicherungen und der öffentlichen Dienste, gegen die fortgesetzte Umverteilung von unten nach oben getan werden kann. Diesbezüglich hat das Wochenende vom 14. bis zum 16.Mai durchaus einiges gebracht: Gemeinsame Schwerpunkte haben sich herausgeschält, zu denen das sogenannte Arbeitslosengeld II gehören wird, ver.di-Chef Bsirske hat sich unter großem Applaus erneut auf einen Mindestlohn festgelegt. Außerdem war man sich einig, die Zusammenarbeit auf die lokale Ebene zu tragen und den Widerstand gegen die Regierungspolitik verstärkt in die Betriebe zu tragen. Der Kongreß hat das Gespräch zwischen Globalisierungskritikern, Gewerkschaftern und aktiven Studenten voran gebracht.

Störend war allenfalls das übersteigerte Harmoniebedürfnis vieler Podiumssprecher. Besonders IG-Metall-Chef Peters hätte für seinen eklatanten Mangel an Selbstkritik ein bißchen Feuer vertragen können. Das 5000-Mal-5000-Konzept bei VW mit seiner hohen, familienzerstörenden Flexibilisierung und Lohnverzicht als gewerkschaftlichen Erfolg verkaufen zu wollen, zeigt, daß einige in der IG Metall noch einen weiten Weg zu gehen haben, bevor sie verläßliche Verbündete im Kampf gegen die unsoziale Politik der neoliberalen Einheitspartei sind.

Schwerer wog noch ein anderer Mangel: Einwanderer, Flüchtlinge, Prekärbeschäftigte waren in den großen Veranstaltungen des Kongresses genauso wenig sichtbar, wie die besonderen Probleme des deindustrialisierten Ostens. Für Gewerkschaften wie auch soziale Bewegungen bleibt viel zu tun, um die etwas frühzeitig gefeierte neue Einigkeit tatsächlich herzustellen.

(wop)