Leserbrief:

Zum Artikel "Überlegungen zu Hartz IV - Nach dem 1.Mai" (LinX 9/2004)
 

Im Kieler Bündnis gibt es eine Auseinandersetzung über die Forderung nach einem Generalstreik, in der nicht alle Teilnehmerinnen in der Lage scheinen, die Gegebenheiten zu berücksichtigen."

(...) Zur Erinnerung habe ich anzumerken, dass das Kieler Bündnis gegen Sozialabbau und Lohnraub ein Bündnis werden soll, in der jede und jeder Betroffene der Agenda 2010 teilnehmen kann und soll. Damit sind alle Kielerinnen und Kieler angesprochen, insbesondere solche, die vorher noch nie politisch aktiv waren und einen Anknüpfungspunkt suchen, um ihre Wut zu artikulieren. Da das Bündnis zur Zeit noch aus "schon-länger-Aktiven" besteht, wurde das wünschenswerte Ziel, die "aufgebrachten Massen zu bündeln", noch nicht erreicht.

Was das Bündnis jedenfalls nicht ist, ist eine Vorbereitungsgruppe für Gewerkschaftspolitik, um Einzelgewerkschaften auf den richtigen Trip zu bringen.
Das mag ein netter Nebeneffekt sein, doch wer das will, sollte sich dann innerhalb seiner Gewerkschaft einbringen. Ich habe den Eindruck, dass der Autor des obigen Satzes die Auffassung trägt, man könne im Bündnis gegen Sozialabbau nur das fordern, was von den defizitären Gewerkschaften zur Zeit umsetzbar scheint.
Wenn der Autor im Artikel feststellt, dass es für einen Generalstreik keinen Beschluss bei ver.di gibt, was ist dann das Fazit? Was spricht dagegen, dass dieser anstatt Reden zu schwingen endlich mal über seinen Fachbereich einen Antrag in den Bezirksvorstand einbringt? Ein Generalstreik für eine zentrale Forderung fällt nicht irgendwann einmal vom Himmel. Es ist absolut richtig, sie einzubringen und über die Diskussion darüber Bewusstsein zu verändern. Die vielerorts schlafmützigen Belegschaften werden nie von allein auf die Idee kommen. Doch wenn der DGB und andere deutschlandweit und rechtzeitig dazu aufrufen würden, würde endlich mal einer den Anfang setzen. Der 3. April ist auch nicht auf einmal da gewesen, sondern hat sich genauso langfristig herumsprechen müssen.
Wenn das Bündnis jedenfalls zu dem Ergebnis kommt, einen Aufruf zum Generalstreik zu treffen, geknüpft an eine zentrale Forderung, wie z.B. der 35-Stunden-Woche oder ähnlich der Kampagne "1000 für alle"- dem Existenzgeld, dann kann es das selbstverständlich tun, wenn die demokratische Mehrheit der Bündnisteilnehmerinnen das für richtig hält. Damit wäre ver.di dann aufgerufen, zu überlegen, ob sie sich dem anschließt. Es gibt jedoch keine zwei Klassen unter den Teilnehmerinnen!

Für den Fall, dass der Autor Befürchtungen hegt, dass sich seine ver.di dann überrumpelt fühlt und wegen dem Aufruf zum Generalstreik aus dem Bündnis ausscheiden würde, so kann ich ihm vergewissern, dass wir im ver.di-Bezirksvorstand ohnehin ziemlich heterogen sind und einige nicht realisiert haben, warum ver.di überhaupt in einem Bündnis gegen Sozialabbau mitarbeitet. Und die ver.di-Vertreter im Bündnis spiegeln nicht die durchschnittlichen Auffassungen der Bezirksvorstandsmitglieder wieder. Noch bei der Vorbereitung zum 1. Mai hatte mir eine Vorstandskollegin gesagt, ich werde Schröder eines Tages noch dankbar sein, wenn ich merken würde, was die CDU mit uns macht. Und trotzdem ist es jetzt unbedingt nötig anzufangen, denn wer gar nicht erst wagt, der hat von vornherein verloren! Mir ist auch nicht ganz klar, von welch langer harter Arbeit der Autor spricht. Ich habe erlebt, dass man in Ver.di einfach anfangen muss, einfach machen muss. Im besten Fall schließen sich viele an, im negativen Fall wird eine Sache geduldet. Was wir jedenfalls nicht brauchen, sind Leute, die auf den großen Tag warten, an dem die Arbeiterinnen und Arbeiter endlich alle überzeugt worden sind, was für sie gut oder schlecht ist. So sind Linke immer schon die Lerchen gewesen, die sangen, wenn die Nacht noch dunkel war. Und diese Tradition sollten wir uns erhalten.

(D.G.)