"Zeitschiene":

Noch sieben Monate

An dem Vernetzungstreffen nach Beendigung des Perspektivenkongresses habe ich für ver.di Kiel und das Kieler Bündnis gegen Sozialabbau und Lohnraub teilgenommen. Meine Zusammenfassung hätte etwas anders ausgesehen als die der Veranstalter, aber: Die offizielle Version wird Grundlage der Diskussion in den Orten sein - nicht alle waren bei dem Treffen vertreten - und ist deshalb auch hier veröffentlicht. Sie ist auch eine brauchbare Grundlage. Einige Anmerkungen scheinen mir allerdings notwendig.

Im Vortrag Horst Schmitthenners stand in der Überschrift des 1. Punktes neben Arbeit und Armut ausdrücklich auch "Hartz IV". Diese Hervorhebung halte ich für sehr angebracht, denn die Einführung des Arbeitslosengeldes II würde für Hunderttausende den Sturz in die Armut bedeuten. Deshalb ist der Versuch, Hartz IV doch noch zu Fall zu bringen, ein übergeordnetes Ziel, und dieses Ziel anzustreben, könnte (und muss!) eine Klammer für Gewerkschaften und Erwerbsloseninitiativen ebenso wie für alle mit Sozialpolitik befassten Verbände und alle Bündnisse gegen Sozialabbau bilden. In diesem Sinne habe ich mich auf dem Vernetzungstreffen geäußert, und das hat bei vielen Zustimmung gefunden.

Die Frage eines "Generalmottos" für künftige Aktionen ist mir verhältnismäßig gleichgültig, solange nicht ausgerechnet jetzt das Generalmotto in Vergessenheit gerät oder unter "ferner liefen" behandelt wird, unter dem die bisherigen Massenproteste gegen den Sozialkahlschlag stattfanden: Weg mit der Agenda 2010! Hartz IV ist der Höhepunkt und die Vollendung der Agenda, und es bleiben noch sieben Monate, seine Umsetzung doch noch zu verhindern. Auch bei der Diskussion über die "Zeitschiene" (ein beliebtes Wort auf dem Kongress) für den 2. Punkt (Arbeitszeit) sollte berücksichtigt werden, dass ganz kurzfristig Handlungsbedarf besteht. Ver.di steht im Öffentlichen Dienst in einer für die gesamte Gesellschaft bedeutenden Tarifauseinandersetzung, und die IG Metall hat in vielen Betrieben mit den Konsequenzen ihres letzten Tarifabschlusses zu kämpfen. Solidarität zu organisieren, ist Aufgabe für alle Bündnisse.

Ich bin ein großer Freund davon, weitergehende Perspektiven zu entwickeln. Dieser Anspruch wurde von manchen als Einwand gegen den Vortrag Horst Schmitthenners vorgebracht. Schon während des Kongresses wurde manchmal der Kampf gegen Hartz IV, zur Verhinderung der Arbeitszeitverlängerung und anderes unter "Pragmatismus" verbucht, der den großen Perspektiven (über die bei weitem keine Einigkeit besteht) entgegengestellt wurde. Ich halte das für falsch. Das angestrebte gemeinsame Handeln der AnhängerInnen verschiedenster Organisationen wird die Diskussion um Perspektiven befruchten, und ich hoffe, dass dabei auch das Verständnis dafür Raum greift, dass das kapitalistische Gesellschaftssystem nicht nur sozialer gestaltet werden sollte, sondern überwunden und beseitigt werden muss. Eins scheint mir jedenfalls sicher: Wenn mit Hartz IV die Umsetzung der Agenda 2010 vollendet wird, wir also eine (weitere) empfindliche Niederlage einstecken müssen, sind unsere Perspektiven erst mal etwas getrübt; wenn es uns gelingt, hier Erfolge zu erzielen, werden weiter gesteckte Ziele tatsächlich greifbar.

Für ein eventuelles Folgetreffen von VertreterInnen örtlicher Bündnisse und anderer Organisationen wurde ein ModeratorInnen-Team bestimmt. Wir werden euch auf dem Laufenden halten.

Die Kieler KongressteilnehmerInnen haben eine Fülle von Anregungen mitgenommen. Machen wir was draus!

Dietrich Lohse