Reger Zulauf bei Konferenz der „Sozialen Wahlalternative“:

Sozialer Protest ins Parlament?

Eine andere Politik ist vonnöten, und sie ist möglich.“ Viel Einigkeit herrschte über diesen vom ehemaligen IG-Medien-Vorsitzenden Detlef Hensche formulierten Satz bei der ersten bundesweiten Konferenz der „Initiative Wahlalternative“ am 20. Juni in Berlin. Etwa 700 Gewerkschafter, ehemalige Sozialdemokraten, enttäuschte Wähler von PDS und Grünen sowie Aktivisten der sozialen Bewegungen waren in der Humboldt-Universität zusammengekommen, um über die Gründung einer „Sozialen Wahlalternative“ zu debattieren.

Zwar sei der außerparlamentarische Protest angewachsen, bei den im Bundestag vertretenen Parteien habe das jedoch wenig bewirkt, sagte Sabine Lösing vom Arbeitsausschuss der „Wahlalternative“. „Die SPD zerschneidet selbst die letzten Fäden, die sie noch mit den arbeitenden Menschen verbinden, und die PDS beweist mit den Regierungsbeteiligungen in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern, dass sie die neoliberalen Maßnahmen genauso mitträgt wie die anderen Parteien“, so ihre Einschätzung. Ihr Fazit: „Die sozialen Bewegungen haben im Parlament keine Repräsentanz“. Diese „Lücke im Parteiensystem“ wollen die Initiatoren der „Wahlalternative“, vornehmlich Gewerkschaftsfunktionäre der mittleren Ebene, nun füllen. Dabei müsse „die Verbreiterung des gesellschaftlichen Protests Vorrang haben“, forderte Hensche. Auch Bernd Riexinger, ver.di-Geschäftsführer in Stuttgart, betonte, die „neue Linkspartei“ müsse „Motor des sozialen Protests und Sprachrohr der außerparlamentarischen Bewegung“ sein und dürfe sich „nicht parlamentarisch verselbständigen“.

Unterschiedliche Auffassungen gab es darüber, wie weitgehend die von der neuen Formation verbreiteten inhaltlichen Alternativen sein sollten. Ein zum Kongress vorliegendes Diskussionspapier beschränkte sich auf Reformforderungen wie ein öffentliches Investitionsprogramm und steuerliche Umverteilung zugunsten niedriger Einkommen. Dagegen meinte Hensche: „Wir brauchen ein überzeugungskräftiges politisches Projekt, das mehr ist als eine gewerkschaftliche Alternative zur neoliberalen Ökonomie“. „Ohne Veränderung der ökonomischen und sozialen Grundlagen wird es keine anderen Rahmenbedingungen geben – und das wird nicht allein durch parlamentarische Entscheidungen erreicht werden“, betonte auch Riexinger. „Wenn es heißt, die Wirtschaft könne sich die sozialen Kosten nicht mehr leisten, müssen wir uns fragen: Können wir uns diese Wirtschaft eigentlich noch leisten?“ sagte er bei seinem Schlusswort am Sonntag Nachmittag.

Andere wollten sich programmatisch nicht so weit vorwagen. Die Initiative sei „eine Sammlungsbewegung gegen neoliberale Politik“, sagte Helge Meves von der Berliner Regionalgruppe und fuhr fort: „Eine Bestimmung als ausschließlich links oder klassisch sozialistisch wäre deswegen verengt“. Die Diskussion über die inhaltliche Ausrichtung der Initiative soll nun in den inzwischen mehr als 70 Regionalgruppen weitergeführt werden, bevor man im Herbst erneut zu einem Kongress zusammenkommt. Dann wird auch die zeitgleich von bayrischen IG-Metall-Funktionären gegründete „Initiative für Arbeit und soziale Gerechtigkeit“ mit von der Partie sein. Am 3. Juli wollen die beiden Gruppen ihr Zusammengehen in einer „Wahlalternative Arbeit und soziale Gerechtigkeit“ verkünden.

Erst beim Kongress im Herbst soll über die Gründung einer Partei entschieden werden. Diese dürfe „keine neue Partei alten Typs“ sein, betonte Sabine Lösing. „Sie muss demokratisch und horizontal vernetzt sein und darf nur wenige vertikale Strukturen haben“, so Riexinger. Jörg Fischer vom Kölner Wahlbündnis forderte gar, künftige Parteifunktionäre müssten „jederzeit abwählbar“ sein und dürften „nicht mehr als einen durchschnittlichen Facharbeiterlohn verdienen“. Dass die neue Formation bislang keine Politprominenz à la Gysi und Lafontaine angezogen hat, hält Fischer nicht für einen Nachteil. Statt nach „Stars“ und „Vordenkern“ Ausschau zu halten, empfiehlt er: „Selber denken macht schlau.“

(dab)