Cap Anamur-Veranstaltung in Lübeck:

Schotten dicht!?

Die wochenlange Irrfahrt der „Cap Anamur“ im Mittelmeer hat einmal mehr die öffentliche Aufmerksamkeit auf die Konsequenzen der restriktiven europäischen Flüchtlingsabwehr gelenkt. Während einige Politiker versuchen, die humanitäre Aktion der Hilfsorganisation als kriminell zu diskreditieren, schlägt Bundesinnenminister Otto Schily vor, Flüchtlinge schon außerhalb Europas abzufangen und einzusperren. Lübecker Flüchtlingsforum und Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein hatten aus diesem Anlass für den 4. August zur Podiumsdiskussion in Lübeck eingeladen. Die Hansestadt ist Heimathafen der „Cap Anamur”, das von der Hilfsorganisation gleichen Namens unterhalten wird. Auf dem Podium saßen Stefan Schmidt, Kapitän der „Cap Anamur“, Doris Peschke, Churches Commission for Migrants in Europe, Brüssel, Martin Link, Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein, und Fanny Dethloff, Flüchtlingsbeauftragte der Nordelbischen Kirche. Man tagte im Großen Börsensaal des Rathauses, der mit ca 150 Besuchern gut gefüllt war.

Moderiert wurde die Diskussion vom Hamburger Völkerrechtler Norman Paech, der zu Beginn der Veranstaltung auf eine Resolution des Flüchtlingsforum hinwies, die in der nächsten Sitzung der Bürgerschaft Bürgermeister Bernd Saxe übergeben werden soll. Aufgefordert wird die Bürgerschaft der Hansestadt Lübeck erstens sich in einer eindeutigen Erklärung mit dem „Komitee Cap Anamur“ zu solidarisieren und die Hilfsorganisation gegen alle Versuche der Kriminalisierung und Diffamierung in Schutz zu nehmen, zweitens in Zukunft allen Flüchtlingen, die von einem Lübecker Schiff aus Seenot gerettet werden, eine dauerhafte Aufnahme in Lübeck anzubieten und sich gegenüber allen zuständigen Behörden und Institutionen für deren freie Weiterreise nach Lübeck einzusetzen.
Martin Link führte in das Thema mit einer Chronologie ein (siehe Kasten). Stefan Schmidt erzählte von den Hintergründen der Fahrt der „Cap Anamur“. Ende Februar war sie in Lübeck ausgelaufen, um an der westafrikanische Küste Flüchtlinge zu unterstützen. Außerdem befand sich an Bord ein Hospital für Bagdad. Wegen notwendiger Reparaturen musste ein Maltesischer Hafen angelaufen werden. Nach erfolgter Reparatur wurden von dort aus Probefahrten unternommen, wobei man auf die 37 afrikanischen Flüchtlinge gestoßen sei.

Der Chef der Hilfsorganisation „Cap Anamur“, Elias Bierdel, betonte aus dem Publikum, dass man allen Menschen helfe, die Hilfe brauchen. Zugleich wies er auf die Verantwortung Europas für die Not in Afrika hin: „Wir verhindern, dass Afrika seine Produkte zu fairen Preisen verkaufen kann. Die europäische Subventionen machen die Märkte in Afrika kaputt.“ Weiter verwies er auf die Schuldenfalle. Bierdel befürchtet eine neue Welle von Bootsflüchtlingen durch die von Schily angeregten Flüchtlingslager in Nordafrika. Wenn ihre Asylanträge in den Lagern abgelehnt seien, würden die Flüchtlinge von dort aus versuchen, über das Mittelmeer nach Europa zu gelangen. Doris Reschke, schlug vor, statt der Errichtung von Lagern das Kontingent legaler Einwanderung zu erhöhen. Die 25 EU-Staaten könnten problemlos bis zu 50.000 Flüchtlinge pro Jahr aufnehmen. Bisher werden die allermeisten Flüchtlinge in den Ländern Afrikas und Asiens aufgenommen. Nur ein kleiner Teil schafft es nach Europa.

Auf einen Einwand aus dem Publikum, es handele sich ja oft nur um Wirtschaftsflüchtlinge, erwiderte Martin Link, das im vergangenen Jahr rund 600 Millionen Opfer von Erdbeben, Dürre, Überschwemmungen, Vulkanausbrücke, Flächenbränden sowie schweren Industrieunfällen gezählt wurden. Zwei Drittel von Bangladesch sind gegenwärtig wegen der immensen Monsunregenfälle überflutet. 20 Millionen Menschen sind obdachlos geworden. Im indischen Bundesstaat Andrah Pradesh haben sich beispielsweise allein in den letzten sechs Jahren 6.000 Bauern wegen der nicht endenden Dürre vergiftet oder erhängt. Wenn sie aber nicht Selbstmord begehen sondern es bis nach Europa schaffen, kann es ihnen passieren, dass sie als Wirtschaftsflüchtlinge diskreditiert werden.

Nicht nur im Mittelmeerraum schließen sich Länder zu Abschottungszwecken zusammen. Seit 1999 gibt es eine „Baltic Sea Task Force on organized Crime", an der sich alle Ostsee-Anrainerstaaten zwecks gemeinsamer Abwehrpolitik beteiligen. Eine Arbeitsgemeinschaft illegale Migration arbeitet unter deutscher und schwedischer Federführung. Dies führt in der Praxis z.B. dazu, dass Familien auseinandergerissen werden, weil Flüchtlinge auf dem Weg zu Familienangehörigen in Skandinavien in Deutschland hängenbleiben.

Es geht Europa darum, zu verhindern, dass Flüchtlinge kommen können. Im neuen Zuwanderungsgesetz werden für humanitäre Hilfe für so genannte Illegale Strafen angedroht. 1999 haben sich die EU-Staaten darauf geeinigt, dass die Genfer Flüchtlingskonvention vom 1951 Grundlage der gemeinsamen Asylpolitik sein soll. Dahinter bleibt das deutsche Zuwanderungs(un)recht weit zurück. Dagegen helfe nur, so eine Stimme aus dem Publikum, an der Forderung nach offenen Grenzen für alle festzuhalten.

(gho)


Chronologie:

Am 20. Juni nimmt die Cap Anamur im Mittelmeer 37 Schlauchbootsflüchtlinge auf und begleitet ein weiteres Flüchtlingsboot bis zum sicheren Hafen Valetta auf Malta.

1. Juli: Die Cap Anamur hat Kurs auf Italien genommen und wird auf offener See von italienischem Militär aufgebracht und an der Weiterfahrt gehindert.
Am Rande der Innenministerkonferenz in Kiel erklärt Otto Schliy am 8. Juli, dass s.E., weil die Cap Anamur maltesische Gewässer gekreuzt hätte, die dortige Regierung für die Aufnahme und eventuelle Asylverfahren zuständig sei. Gleichzeitig stellt Schily die Tätigkeit der Crew der Cap Anamur auf eine Stufe mit mafiösen Schleuserorganisationen.

Am 15. Juli protestiert PRO ASYL gegen diesen Versuch, „die Retter zu Tätern zu machen” und fordert von der deutschen und italienischen Innenpolitik die Beachtung von EU-Recht, das die humanitäre “Beihilfe zur Ein- und Durchreise”  ausdrücklich straffrei hält.

Am 12. Juli entschließt sich der Kapitän im Interesse der Sicherheit von Passagieren und Mannschaft, den Hafen Empedocle anzulaufen, was nach nochmaliger kurzer Blockade gelingt. Die Flüchtlinge werden in ein sizilianisches Abschiebelager interniert. Die Mannschaft kurzfristig festgesetzt, das Schiff an die Kette gelegt und Kapitän Schmidt und Elias Bierdel, Chef der Hilfsorganisation Cap Anamur, werden inhaftiert und des Schleusens von illegalen Einwanderern angeklagt.
Italien schiebt umgehend fünf der Cap Anamur-Flüchtlinge nach Nigeria ab und am 22. Juli nochmals 27 nach Ghana und ignoriert ein gegensätzliches Urteil des Verfassungsgerichts. In Ghana werden die Flüchtlinge zunächst verhaftet und mit juristischen Verfahren bedroht.

In Deutschland holt Otto Schily zur gleichen Zeit einen alten Vorschlag Tony Blairs aus der Schublade und fordert, afrikanische Flüchtlinge schon in maghrebinischen Ländern in Lagern zu internieren. Dort sollen sie vom UNHCR verwaltet werden und bei Bedarf einen Asylantrag stellen. Der auch dort geprüft würde und wo ggf. auch über die Aufnahme durch Europa entschieden werden soll.

Am 20. Juli erklärt Caritas International dazu “Es ist unsinnig zu glauben, dass wir das Flüchtlingsproblem langfristig lösen werden, indem wir einen immer höheren Wall um Afrika errichten und die Wege in die Festung Europa verbarrikadieren.” Von der Politik der Abschottung, wie sie derzeit betrieben würde, profitierten nur die Schlepperbanden.

Am 23. Juli beschwert sich das UNHCR über den rechts- und sittenwidrigen Umgang der italienischen Innenministeriums mit den Flüchtlingen. Raymond Hall, Europa-Direktor des UNHCR: „In diesem Fall wurden in verschiedener Hinsicht internationale und europäische Normen,einschließlich der absoluten Mindeststandards der kürzlich verabschiedeten EU-Richtlinie über Asylverfahren nicht eingehalten.”

Am 30. Juli erklärt ein römisches Gericht die Abschiebung der Cap Anamur-Flüchtlinge für rechtswidrig.