Städtisches Streichkonzert:

Letzte Skrupel verloren

Die letzte Ratsversammlung am 10. Juni vor der Sommerpause der politisch Verantwortlichen in der Landeshauptstadt hatte es in sich: Nicht nur allein schon der Umfang der Tagesordnung wirkte abschreckend, es befanden sich auch nicht wenige Vorlagen darauf, die mit dem Stempel des ausdrücklichen Sparwillens der schwarz-grünen Mehrheitsfraktion versehen sind. Auf vorhergehenden Sitzungen, z.B. im Finanzausschuss, beraten und an die Ratsversammlung weitergeleitet, wird ohne nennenswerte öffentliche Diskussion über den Abbau sozialer, kultureller und bildungspolitischer Standards entschieden.

Die Tatsache, dass die Ratsversammlung sich in ihrer Sitzung nicht mit Stellungnahmen oder sogar Widerspruch der Kieler Bevölkerung zu ihren Kürzungsvorhaben beschäftigen musste, sollte Anlass zur Besorgnis geben. Zwar ist das Vorhaben der Stadtoberen, nicht vorhandene Haushaltsmittel durch Einnahmen ins Stadtsäckel zu bekommen weder etwas Neues, noch nur in Kiel anzutreffen, allerdings wird die Selbstverständlichkeit, mit der abgezockt wird, immer dreister.
Bereits Ende Mai war auf der Internetseite der Stadt in der Vorschau der Sitzungsübersichten zu lesen, dass sich der Finanzausschuss mit “Maßnahmen zur Haushaltskonsolidierung” befassen wird. Die dort vorgeschlagenen und dann der Ratsversammlung vorgetragenen Sparansätze wurden bereits in einer früheren Nummer der LinX vorgestellt. In der folgenden Sitzung der Ratsversammlung am 19. August soll ein Katalog vorgelegt werden, in der Zuschüsse für freiwillige Leistungen der Stadt differenziert werden nach “gesetzlich bestimmt, kommunal disponibel und vertragliche Bindungen”. Danach wird dann endgültig entschieden, welche Bereiche konkret von den beschlossenen Kürzungen betroffen sind. Die Personal-, Sach- und Gebäudekosten, wie die Frequentierung sollen ebenfalls ausgewiesen werden. Ziel ist es bis 2007 die Kosten jährlich um 10 Prozent zu kürzen (auf 70 Prozent von 2004). Ein Konzept für die Erhöhung von Eintrittsgeldern für Museen, Stadtgalerien, Führungen durch Ausstellungen soll ebenfalls am 19. August 2004 vorgelegt werden. Die Musikschule der VHS soll einen Stufenplan zur Kürzung der Mittel auf 70 Prozent bis Ende 2007 erhalten, der Zuschussbedarf für Schwimmhallen und Freibäder soll in drei Jahren auf 70 Prozent reduziert werden – dazu soll im Herbst ein Stufenplan erarbeitet werden. Der Zuschussbedarf der Stadtbücherei soll in drei Jahren um 30 Prozent gesenkt werden, eine Leihgebühr für Erwachsene wird geprüft, evtl. sollen Ausleihstellen geschlossen, für Kinderbücherein an Schulen gekoppelt werden. Grünflächen- und Sportplatzpflege wird zusammengefasst. Die mögliche Pflege der Anlagen durch die Vereine soll geprüft werden, Vereine sollen für die Nutzung städtischer Sporteinrichtungen stärker zur Kasse gebeten werden.

Bei der Auflistung der geplanten Kürzungen, fehlen nie die Hinweise auf mögliche Kostensenkungen durch Personaleinsparungen. Dies bedeutet nicht sofort, dass in den genannten Bereichen Entlassungen angestrebt werden, aber eine so genannte Besetzungssperre nach dem z.B. altersbedingten Ausscheiden von Kollegen, macht die Arbeit für die verbliebenen nicht einfacher. (die anfallende Mehrarbeit soll dann wahrscheinlich in 40-Std/Wochen ohne Lohnausgleich geleistet werden).
Die Ratsversammlung setzt eindeutig den Rotstift gegen die Interessen der Bevölkerung an, ohne dass sich vor oder während der Diskussion Proteste in der Stadt entwickeln. Zur Umwandlung des Städtischen Krankenhauses in ein mehr oder weniger Privatunternehmen gab es zumindest noch den Protest der Belegschaft, der Gewerkschaft und anderer fortschrittlicher Kräfte Kiels. Gegen den Verkauf der Stadtwerke wurde protestiert, bei der Kündigung des Nutzungsvertrags mit der Pumpe gab es Ansätze von Bewegung in der Stadt, ebenso zum Erhalt der “Alten Meierei” Wohn- und Kulturraum. Die Streichliste am künftigen Programmangebot der Volkshochschule fand schon weniger Beachtung – hier war es überwiegend das Personal, dass sich zur Wehr setzte. Und nun scheinen die PolitikerInnen im Rathaus Kiel alle – vielleicht – bisher noch vorhandenen Skrupel überwunden zu haben: freie Bahn zum Kürzen und Wegsparen, zum Outsourcen.
Am härtesten von den neuen Sparvorschlägen werden die Menschen betroffen, die den Sozialabbau einhergehend mit Arbeitslosigkeit täglich zu spüren bekommen. Doch, s.o., Reaktionen, Aktionen, Widerstand gegen die “Maßnahmen zur Haushaltskonsolidierung” entwickelt sich nicht bzw. nur in Ansätzen. Ursache dafür kann eine gewisse Perspektivlosigkeit in Hinblick der finanziellen Situation in den Kommunen sein. Es ist richtig, dass die Kommunen, so auch Kiel, unter den vorhandenen Bedingungen dem finanziellen Ruin entgegensteuern. Der finanzielle Druck wird immer größer, die Ausgaben steigen. Z.B. die Sozialhilfeausgaben der Kommunen haben sich im Bundesdurchschnitt von 1980 bis 2002 auf 19 Prozent der Sozialbereichsausgaben nahezu verdoppelt. Weitere Steigerungen der Kosten im Rahmen von Hartz IV sind zu erwarten. Gleichzeitig fehlen den Kommunen durch die Steuergesetzgebung des Bundes wichtige Einnahmequellen. Allem voran ist die Gewerbesteuer zu nennen, früher das Herzstück kommunaler Haushaltsfinanzierung. Mit der Steuer”reform” von 2000 müssen die Kommunen statt 20 nun 30 Prozent an den Bund und Land “um”legen, was bereits in den ersten zwei Jahren nach der “Reform” zu Einnahmeverlusten aus Steuern bis zu 18 Prozent für die Kommunen führte. Auch die Vereinfachung für Steuerersparnis durch die “gewerbesteuerliche Organschaft” führt zu Steuerverlusten: Hier können rechtlich selbstständige Unternehmen sich in einer Obergesellschaft zusammentun (Holding). Dadurch können Gewinne einer Betriebsstätte mit den Verlusten von Betriebsstätten an anderen Orten “ausgeglichen” und steuermindernd verrechnet werden – ohne Rücksicht auf örtlichen Bezug, also auch im Ausland. Stadtwerke z.B., die von E.ON beherrscht werden, verrechnen ihre Gewinne mit den Verlusten von Tochterunternehmen und zahlen keine oder nur geringe Gewerbesteuern.
Der Präsident des Bayerischen Städtetages Josef Deimer sagte auf einer ver.di –Tagung: „Unser selbst für Spezialisten undurchschaubares Steuersystem eröffnet für die so genannten Global Player ungeahnte legale – ich betone ausdrücklich legale – Steuervermeidungsmöglichkeiten.“ Sieben Global Player haben ihren Sitz in München: Siemens, BMW, Allianz Versicherung, Münchner Rück, Hypovereinsbank, MAN und Infenion. Trotz teilweiser Spitzengewinne und der Ausrichtung örtlicher Infrastruktur zugunsten dieser Konzerne, zahlen sie seit 2001 keinen Cent Gewerbesteuer an die Stadt München.

Die Frage, wie es in diesen Dingen in Kiel steht, welche Firmen hier für 0-Steuer Verkehrsregeln und Straßenbau z.B. bestimmen, drängt sich auf. Ebenso die Frage nach den Alternativen, hin zu einer Stadt und Finanzierung der Kommunen, in denen nicht die ärmsten der Bevölkerung die größten Steuerzahler sind, ihnen aber das aus ihren Steuern mögliche an Sozialeinrichtungen, Freizeit- Kultur- und Bildungsmöglichkeiten, Verkehr- und Energieversorgung, Krankenhaus und Kindereinrichtungen gestrichen, gespart, privatisiert und den Profitinteressen unterworfen wird.

Im Rahmen einer Diskussion um den Abbau sozialer und demokratischer Rechte, sollte auch die Diskussion über die Struktur der Kommunen und die Finanzierung der öffentlichen “Daseinsvorsorge“ (Verkehr, Ver- und Entsorgung – Wasser, Abfall, Energie – Soziales, Bildung und Kultur, Gesundheitswesen). Die kommunale Selbstverwaltung genießt Verfassungsrang. Das allein hilft jedoch nicht weiter, denn auch in den Kommunalen Parlamenten sitzen in der Regel die Parteienvertreter an den Hebeln, die auch auf Landes- und Bundesebene die Gesetze im Interesse des Kapitals beschließen, ändern, anwenden und auslegen.

Das Bündnis gegen Sozialabbau und Lohnraub will eine Arbeitsgruppe zu diesem Thema bilden, bei der MitstreiterInnen willkommen sind. Das nächste Bündnistreffen ist am Montag, den 16.8. um 19 Uhr, Legienstr., Gewerkschaft Ver.di – Garbesaal.

(at)