Bundesweite Demonstration gegen "Hartz IV":

Auf nach Berlin

Die Montagsdemonstrationen, die zuletzt in rund 230 Städten stattfanden, sollen auf eine neue Stufe gestellt werden. Nach dem es vor allem aus ostdeutschen Städten bereits seit Wochen den Ruf nach einer bundesweiten Demonstration gibt und verschiedene Treffen und Organisationen den 2. und 3. Oktober ins Spiel gebracht hatten, steht nun das Datum fest: Am Samstag,den 2. Oktober soll in Berlin unter dem Motto "Soziale Gerechtigkeit statt Hartz IV - Wir haben Alternativen!" demonstriert werden. Darauf einigte sich am 11. September in Leipzig eine bundesweite Konferenz, zu der ca. 160 Vertreter der Montagsdemonstrationen, örtlicher  Gewerkschaftsgliederungen, Sozialforen, Arbeitslosenorganisationen und linker Gruppen gekommen waren. Leider konnte der Streit um das Datum nicht endgültig beigelegt werden. Die Marxistisch-Leninistische Partei Deutschland (MLPD) hatte versucht, den "Tag der deutschen Einheit" als Demo-Datum durchzuboxen, hatte sich aber dadurch bereits auf einem früheren Bundestreffen Ende August von vielen entfremdet, die nicht zu ihrem Umfeld gehörten. Auf dem zweiten Leipziger Treffenfand eine überwältigende Mehrheit die Vorstellung der MLPDler, am 3. Oktober "unsere Einheit von unten" zu demonstrieren, eher gruselig und votierte für das frühere Datum. Auch praktische Überlegungen spielten dabei eine Rolle. So machten verschiedene Redner darauf aufmerksam, dass man für eine Aktion an einem Sonntag in den entfernteren Ecken der Republik kaum mobilisieren könne. Wenn man in der Nacht losfahre und erst spät zurück komme, werde der Sonntag zur Erholung gebraucht. Statt  sich am nationalen Einheitstaumel zu beteiligen, solle man lieber auf Europäisierung der Proteste orientieren, war hingegen das Argument von Pedram Shahyar vom ATTAC-Koordinierungskreis. Auch dieser Aspekt spreche für den 2. Oktober, da an diesem Tag in den Niederlanden bereits landesweite Proteste gegen Sozialabbau und Ausweitung der Arbeitszeiten geplant sind. (Siehe Artikel in dieser Ausgabe.) Die wenigen in Leipzig anwesenden Vertreter der MLPD hielten sich zunächst bedeckt, ob sie sich an das Votum halten würden. Noch am gleichen Wochenende entschloss sich ihr ZK offensichtlich, weiter für den 3. Oktober zu mobilisieren und sorgt damit seitdem in Städten, wo die MLPD einigen Einfluss gewinnen konnte, für erhebliche Verwirrung.

Unabhängig vom Datumsstreit war zunächst unklar ist, inwiefern im Westen der Republik tatsächlich für eine bundesweite Demonstration mobilisiert wird. In der Debatte auf der Leipziger Konferenz zeigte sich, dass das Bedürfnis nach einer neuen Stufe der Proteste im Osten, wo die Montagsdemonstrationen ihren Ausgang genommen haben und noch immer wesentlich größer sind, erheblich stärker ist. Zwischenzeitlich hat aber am vergangenen Wochenende in Frankfurt am Main die bundesweite Konferenz der sozialen Bewegungen getagt und ebenfalls zur Demonstration am 2. Oktober aufgerufen. Dabei handelt es sich um jene Kräfte aus der Gewerkschaftslinken und den sozialen Bewegungen, die am 1. November letzten Jahres die erste große Demonstration gegen Sozialabbau in Berlin organisiert hatten. Das vorsichtige Lavieren der Gwerkschaftsvorstände, die eine bundesweite Demonstration derzeit ablehnen, mag die Mobilisierung erschweren, muss aber kein unüberwindbares Hindernis sein, wie man bereits im November gesehen hatte.

Deutlich unterrepräsentiert waren in Leipzig erneut die Einwanderer, die durch das Zusammenspiel von Zuwanderungsgesetz und Hartz IV besonders von den sozialen Einschnitten betroffen sein werden, wie eine Vertreterin der  Föderation der Demokratischen Arbeitervereine (DIDF) erklärte. Auch andere Redner forderten die stärkere Einbeziehung der Einwanderer und Flüchtlinge in die Proteste. Ronald Blaschke von der Sächsischen Armutskonferenz wies darüber hinaus daraufhin, dass man für EU-weite soziale Mindeststandards kämpfen müsse und lehnt in diesem Zusammenhang die EU-Verfassung ab.

Die Leipziger Konferenz endete leicht chaotisch mit der Wahl eines Koordinierungsgremiums. Das erhielt unter anderem den Auftrag, das nächste Bundestreffen vorzubereiten, damit nach der Großdemonstration zügig über das weitere Vorgehen beraten werden kann. Außerdem soll am 3. Oktober in Berlin mit einer Konferenz auf die inhaltlichen Alternativen zu "Hartz IV" und "Agenda 2010" aufmerksam gemacht werden, ohne dass dieser Arbeitsauftrag an die Koordinierer in Leipzig präzisiert worden wäre. Zunächst steht allerdings offensichtlich die Mobilisierung für den 2. Oktober im Mittelpunkt. In Berlin richtet das örtliche Bündnis gegen Hartz IV gerade im "Haus der Demokratie" ein Kampagnenbüro ein, das auch für bundesweite Aktivitäten mitgenutzt werden kann.
 

(wop)