Entlassungen bei HDW:

Kiel oben

Alles hat nichts genutzt: Weder jahrelanges Ko-Management des Betriebsrates, noch befristeter Lohnverzicht. Bei HDW herrscht Katerstimmung. Im Mai wurde die lange erwartete Übernahme des Weltmarktführers für konventionelle U-Boote durch ThyssenKrupp verkündet, die bis zum Jahresende abgeschlossen sein soll. Dass damit in Kiel der Verlust von einigen hundert Arbeitsplätzen drohen könnte, ist spätestens seit Mitte August klar, als der Essener Konzern sein sogenanntes Werftenkonzept vorlegte. Mit dem will er die beiden bereits in seinem Besitz befindlichen Werften Thyssen Nordseewerke in Emden und Blohm + Voss in Hamburg sowie HDW reorganisieren. Doch es kommt noch dicker. Weniger als 1.800 Beschäftigte von den derzeit 3.050 könnten am Ende übrig bleiben. Mit dieser Nachricht kam Anfang des Monats HDW-Betriebsratsvorsitzender Ernst-August Kiel aus den Gesprächen der "Begleitkommission", in der Belegschaftsvertreter mit den Unternehmensleitung über die Zukunft der drei Werften diskutieren. Die Belegschaften an den drei Standorten reagierten mit zeitgleichen Protestaktionen. In Kiel wird eine Großdemonstration vorbereitet, die am Tag des Erscheinens dieser Ausgabe (25.9.) um 13 Uhr vor dem HDW-Tor in Gaarden starten soll. "Wir sind nicht bereit, über dieses Kahlschlagkonzept noch länger zu reden", gibt sich der Betriebsratsvorsitzende gegenüber den "KN" kämpferisch.

Mit einer massiven Werbekampagne wird die Bevölkerung zur Teilnahme am Protest aufgerufen. Der Grund liegt auf der Hand: Nicht nur auf der Werft, sondern auch bei den Zulieferbetrieben sind Arbeistplätze akut gefährdet. 3.000 Stellen könnten insgesamt in Kiel und Umgebung der Werftenfusion zum Opfer fallen, schätzt man beim HDW-Betriebsrat. Aber auch damit ist noch nicht das ganze Ausmaß beschrieben. Die Landeshauptstadt ist seit den späten 1970ern vom Strukturwandel gebeutelt. Zehntausende Industrie-Arbeitsplätze gingen verloren, ohne dass in anderen Sektoren ausreichender Ersatz geschaffen wurde. Rund 18 Prozent beträgt die Arbeitslosigkeit derzeit. Entsprechend gedrückt ist die Stimmung auch beim Einzelhandel schon jetzt und zahllose leerstehende Ladenlokale legen ein beredtes Zeugnis vom wirtschaftlichen Niedergang ab. Der erneute Arbeitsplatzverlust wird für viele Geschäftsleute im zurückgehenden Umsatz schmerzlich zu spüren sein.
Auch die Verbindung zu den aktuellen Protesten gegen "Hartz IV" ist den Gewerkschaftern auf der Werft bewusst. "Wer entlassen wird, hat angesichts der Lage in der Kieler Metallindustrie kaum eine Chance, schnell wieder eine Stelle zu finden", so IG-Metall-Vertrauensleuteleiter Ulrich Stangen. Vielen drohe also nach zwölf Monaten der Absturz in die Armut. In den Kundgebungsreden und auf einer vorhergehenden Betriebsversammlung soll daher über das Arbeitslosengeld II aufgeklärt werden. Seit kurzen rufen die HDW-Vertrauensleute der Gewerkschaft außerdem auch zu den örtlichen Montagsdemonstrationen auf. Die Beteiligung seitens der Werftarbeiter ist allerdings bisher nur dürftig.

Die Forderung der Belegschaft ist kurz und bündig: Der Überwasserschiffbau muss erhalten bleiben. Bisher werden an der Kieler Förde neben dem Exportschlager U-Boote - Konstruktionspläne wurden seinerzeit selbst an die argentinische Militärdiktatur geliefert - auch Fregatten, Korvetten und vor allem Großyachten, Fähren und Containerschiffe gebaut. Besonders für letztere boomt derzeit der Weltmarkt. Auf 14,53 Millionen CGT (combined gross tons, eine nach Herstellungsaufwand gewichtete Tonnageeinheit) schellten im vergangenen Jahr weltweit die Auftragseingänge für Containerschiffe nach oben. Das entsprach mehr als dem Vierfachen des Vorjahres und immer noch dem Doppelten des bisherigen Rekordjahres 2000. Der expandierende Welthandel treibt den Bedarf nach Transportkapazitäten derart an, dass die den Markt dominierenden Werften in Südkorea, Japan und China mit der Produktion nicht mehr hinterherkommen. Dennoch scheinen weder der HDW-Vorstand noch ThyssenKrupp im Handelsschiffbau für die Kieler Werft eine Perspektive zu sehen. Das Werftenkonzept sieht eine alleinige Konzentration auf die U-Boote vor.

Hintergrund sind Pläne, mit den drei Werften zunächst einen einheitlichen deutschen Rüstungskonzern für maritime Mordswerkzeuge zu schaffen. Im nächsten Schritt soll dann ein europäischer Konzern entstehen, in dem sich Bundesregierung und ThyssenKrupp durch die jetzige Fusion ein größeres Gewicht erhoffen. Dabei geht es nicht nur darum, industrielle Ressourcen möglichst profitabel zu konzentrieren. Mehr noch haben Außenpolitiker und Strategen aus dem Unternehmerlage dabei die Schaffung einer eigenständigen EU-Militärmacht im Auge, die eine starke, von den USA unabhängige Rüstungsindustrie benötigt. In der Luft- und Raumfahrtindustrie hat man diesen Schritt bereits mit der Gründung der EADS vollzogen.

Kiel, ohnehin schon eine der wichtigsten Rüstungsstädte der Republik, droht also noch weiter in die Abhängigkeit vom Geschäft mit dem Tod zu geraten. Doch die Kritik daran wird bei den Protesten voraussichtlich nur am Rande eine Rolle spielen. Wenn überhaupt.

(wop)