Landesregierung startet "Job-Offensive"

Einige Anmerkungen, vorgetragen auf der Kieler Montagsdemonstration am 6.9.04

Gesellschaftlich wichtige Arbeit gibt es genug", befand vor einigen Tagen die schleswig-holsteinische Sozialministerin Gitta Trauernicht. Das ist nichts wirklich Neues. Es will nur niemand anständige Löhne dafür zahlen. Daran soll sich ebenfalls nichts ändern, aber ab 2005 soll es ja zusätzlich zur Streichung der bisherigen Arbeitslosenhilfe eine Arbeitszwang geben. Dann will man solch gesellschaftlich wichtige Arbeit für ein bis zwei Euro verrichten lassen. Wie sagte doch die Grünen-Fraktionsvorsitzende, Katrin Göring: "Es ist eine Chance für die Kommunen, Dinge zu tun, die sie sich sonst nicht mehr leisten können" (FR, 23.8.04) - sie vergaß, hinzuzufügen: weil die Bundesregierung dafür sorgt, dass die Steuergelder bei den Reichen bleiben.

Diesem Zukunftsprogramm stellt die Landesregierung - "um mehr Arbeitslosen wieder Hoffnung zu geben" - im Rahmen einer "speziellen Hartz-Offensive" (KN,1.9.04) in den kommenden zwei Jahren etwa 12,5 Millionen Euro aus dem Landesprogramm „Arbeit für Schleswig-Holstein“ zur Verfügung. „Im Altenheim vorlesen, in der Schule dem Hausmeister helfen, auf dem Bahnhof Koffer schleppen. Es gibt viele Jobs, die nur deshalb nicht gemacht werden, weil niemand davon leben kann. Die Job-Offensive der Landesregierung soll das ändern - doch die Skepsis ist noch groß.“ (KN, 1.9.04) Andere Arbeiten, die laut KN vorgeschlagen werden: "Hilfeleistungen in Krankenhäusern und Altenheimen, Boten- und Betreuungsdienste, die Reinigung von Spielplätzen oder die Überwachung von Stadtteilen und Parks in den Abendstunden." Skeptisch äußerte sich zum Beispiel der Deutsche Paritätische Wohlfahrtsverband, der sich offenbar mehr Sorgen um die von ihm betreuten Menschen macht als der Bundesvorstand der AWO: „100 Quadratmeter Grünfläche sind anders zu betreuen als zwei Senioren im Altenheim." -  Im Übrigen werden keineswegs nur "zusätzliche" Stellen als Billigjobs vergeben werden, es geht auch nicht nur um die Ersetzung wegfallender Zivi-Stellen. Es geht um den Druck auf die Löhne und die weitere Vernichtung regulärer Arbeitsverhältnisse. Über die Einrichtung von 1-Euro-Jobs auch in der Privatindustrie wird bereits laut nachgedacht.

Dass der Einsatz von Langzeitarbeitslosen für ein bis zwei Euro in allen möglichen Bereichen zur Beseitigung halbwegs anständig bezahlter Jobs führen wird, werden viele merken, die heute noch gar nicht darüber nachdenken. Zum Beispiel StudentInnen, die Jobs zur Finanzierung ihres Studiums brauchen und dafür durchaus schon mal acht Euro pro Stunde kriegen können. Damit könnte es schnell vorbei sein; Langzeitarbeitslose müssen schließlich jede Arbeit annehmen. Aber studieren sollen ja bald sowieso nur noch Kinder aus wohlhabenden Familien.

An dieser Stelle will ich mich kurz einer besonders dreisten Demagogie der Regierenden annehmen, die zum Beispiel Familienministerin Schmidt so formulierte: "Die bisherigen Sozialhilfeempfänger stehen (mit Hartz IV) insgesamt besser da." - Lustig ist ja schon, dass diese Leute jetzt ihr Herz für SozialhilfeempfängerInnen entdeckt haben, nachdem das Sommerloch des vergangenen Jahres noch mit anhaltender Hetze darüber ausgefüllt wurde, denen ginge es doch viel zu gut (wir erinnern uns an „Florida-Rolf“). In Wirklichkeit soll auch nur ein Keil zwischen SozialhilfeempfängerInnen und ArbeitslosenhilfebezieherInnen getrieben werden. Mit unhaltbaren Argumenten. Dazu hier nur eine Feststellung des Sozialwissenschaftlers Rolf Winkel zum Thema Arbeits-Anreize und Zuverdienst-Möglichkeiten für arbeitsfähige SozialhilfeempfängerInnen, die ab 2005 ALG II beziehen sollen: "Verbesserungen gibt es allenfalls bei Brutto-Arbeitseinkommen über 800 Euro. De facto kommt diesen Verbesserungen allerdings wenig Bedeutung zu. Denn derzeit dominiert bei arbeitenden Sozialhilfeempfängern die niedriger entlohnte Teilzeiterwerbstätigkeit, und zwar handelt es sich in erster Linie um Teilzeitarbeit von Frauen. Gerade für sie bringt das SGB II drastische Verschlechterungen mit sich. Für das Gros der allein erziehenden Jobberinnen und Jobber bedeuten die Neu-Regelungen sogar immer eine Verschlechterung. Die bisherigen Regelungen für Personen, die trotz beschränktem Leistungsvermögen einem Erwerb nachgehen, waren stets günstiger als die neuen beim ALG II." Könnte einen als Familienministerin ja interessieren, oder? Aber Renate Schmidt behauptet gar: "Mit Hartz IV gibt es zum ersten Mal ein Instrument zur Bekämpfung von Kinderarmut"!

Zurück nach Schleswig-Holstein. Weitere 12,5 Millionen aus dem genannten Posten will die Landesregierung benutzen, um Unternehmen für die Einstellung von Langzeitarbeitslosen zu belohnen: Bei einer Neueinstellung sollen Unternehmer und Beschäftigte/r "fast ein Jahr lang" 250 Euro pro Monat erhalten. "Neues Kombilohn-Modell" wird das in den KN genannt. Das ist Lohnsubvention, also Lohndumping, und Prämie aus Steuergeldern, die zunehmend weniger von Unternehmern bezahlt und zunehmend mehr allein den Arbeitenden aufgebürdet werden. Auch S-H-Wirtschaftsminister Rohwer rechnet mit "Mitnahmeeffekten" (weil er genau weiß, dass die Unternehmen in aller Regel nur Leute einstellen, die sie auf jeden Fall brauchen). Dass es besser sei, Arbeit als Arbeitslosigkeit zu finanzieren, wie das Frau Simonis und andere gern verlautbaren, mutet zynisch an aus dem Munde der PolitikerInnen, deren Politik die steigende Arbeitslosigkeit mit herbeiführt. Auch durch Hartz IV. Denn überall ist heutzutage festzustellen, dass bereits die Drohung mit diesem Gesetz viele Belegschaften zu Sonderopfern veranlasst, zu denen auch Arbeitszeitverlängerung ohne Lohnausgleich gehört, also direkte Arbeitsplatzvernichtung in anderen Bereichen. Zunächst in anderen Bereichen, muss man dazusagen, die KollegInnen auf HDW könnten ein Lied davon singen.

Kolleginnen und Kollegen: Wir brauchen Euch im Widerstand gegen Hartz IV. Lassen wir uns nicht Belegschaft für Belegschaft gegeneinander ausspielen. Überwinden wir die Angst und finden wir zurück zur Solidarität, zu neuen Formen der Solidarität, die Grenzen von Betrieben und Ländern überwindet. Der vereinigten Front von Unternehmern und Regierung muss die Einigkeit der abhängig Beschäftigten und der in die Erwerbslosigkeit getriebenen Menschen gegenübergestellt werden.

Schließlich noch eins. Wenn es darum geht, die Lage der jetzigen SozialhilfeempfängerInnen tatsächlich zu verbessern, sind wir alle dabei. Aber das geht nicht mit Hartz IV, denn das hieße, die geringen Verbesserungen, die dieses Gesetz für einen Teil dieser Menschen vorsieht, durch ungeheure Opfer der EmpfängerInnen von Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe zu finanzieren. Es geht, wenn wir die Agenda 2010 stoppen und eine sozialpolitische Umkehr erzwingen. Es geht zum Beispiel mit der Einführung einer existenzsichernden Grundsicherung für alle weit oberhalb des jetzigen Sozialhilfeniveaus. Aber das kriegen wir ebenso wenig geschenkt wie einen ausreichenden Mindestlohn, wie drastische Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich und all die anderen notwendigen politischen Maßnahmen, für deren Umsetzung wir den Besitz der Vermögenden, der Kapitalisten antasten müssen.

Weg mit Hartz IV! Weg mit der Agenda 2010! Nieder mit dem Diktat von Kapital und Kabinett!

Dietrich Lohse