Putin auf Schloss Gottorf am 21.12.2004

Situation tschetschenischer Flüchtlinge

Am 21.Dezember 2004 residierten die Herren Schröder und Putin einen halben Tag auf Schloss Gottorf. Zu einer Mahnwache am Rande des gut gesicherten Schlossgeländes hatten einige Menschenrechtsorganisationen aufgerufen: Das Schleswiger Friedenforum, die Bezirksgruppe von amnesty international, der schleswig-holsteinische Flüchtlingsrat und die Gesellschaft für bedrohte Völker aus Göttingen. Rund 50 AktivistInnen folgten diesem Aufruf und ließen nach einigen Redebeiträgen, die die Situation in Tschetschenien z.T. sehr beeindruckend darstellten, hundert orangefarbene Luftballons mit an Schröder und Putin adressierten Postkarten in den ansonsten strahlendblauen Himmel steigen. Nach Abschluss der angemeldeten Kundgebung zog man mit Transparenten bewehrt an den Schlossgraben und genoss die klare Dezembersonne.

Im Folgenden dokumentieren wir den Redebeitrag von Bernhard Karimi vom Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein:

Es steht außer Frage, dass zuallererst die Ursachen für die Flucht der Tschetschenen aus ihrer Heimat beseitigt werden müssen, und dass diese Aufgabe vor allem der russischen Führung zufällt.

Anzeichen für eine auch nur ansatzweise politische Lösung sind zur Zeit nicht in Sicht.

Man mag die Inszenierung des Duos Schröder – Putin mit seinem Pomp nach Gutsherrenart, der diesen Staatsbesuchen anhaftet, für unzeitgemäß halten.
Für absolut unverantwortlich halten wir es allerdings, dass die deutsche Bundesregierung ihre Kontakte offensichtlich nicht nutzt, um auf einen Kurswechsel von Präsident Putins fataler Tschetschenienpolitik hinzuwirken. Ganz im Gegenteil: der Rückfall in ein immer autokratischeres Machtsystem Russlands wird vom Bundeskanzler verharmlost und schöngeredet.

In der Flüchtlingssolidaritätsarbeit haben wir unmittelbar mit den Folgen und den Opfern dieser Politik zu tun:

•Kriegsversehrte und schwer traumatisierte Menschen, denen eine Rückkehr in einen zivilen Alltag in Gesundheit durch die Erlebnisse von Krieg, Folter und Demütigungen unmöglich gemacht wird.

•Kinder und Jugendliche, die als Waisen oder getrennt von ihren Familien alleine und orientierungslos in Europa unterwegs sind.

•Junge Männer, die aus Angst vor Zwangsrekrutierungen der einen oder anderen Seite ihr Land verlassen mussten, um der Gewaltspirale zu entgehen, die seit über zehn Jahren die tschetschenische Gesellschaft zerreißt.

Die Angst auch hier im deutschen Exil Teil des russisch-tschetschenischen Konflikts zu sein, sitzt bei vielen Flüchtlingen tief: viele von ihnen wären heute gerne hierher zum Protestieren gekommen, die meisten befürchten allerdings ihr exilpolitisches Engagement könne die Familienmitglieder in der Heimat in ernste Schwierigkeiten bringen.

Dass tschetschenische Flüchtlinge in ihrer Heimat bedroht sind und eines angemessenen Schutzes bedürfen, bestreitet in der Bundesrepublik kaum jemand ernsthaft. Wie der Teufel das Weihwasser scheut allerdings jedes europäische Land eine allzu großzügige Aufnahme bestimmter Flüchtlingsgruppen, da befürchtet wird,  von einer solchen Regelung gehe immer eine enorme Sogwirkung aus.

Einmal mehr sind die betroffenen Flüchtlinge die Leidtragenden eines restriktiven Wettbewerbs der europäischen Aufnahmeländer:
 
Es gibt zwar unseres Wissens derzeit keine Abschiebungen von Tschetschenen in die russische Föderation. Aber die Anerkennung von politischem Asyl findet äußerst sparsam statt: Von den 210 Asylsuchenden in Schleswig-Holstein im Jahre 2003 bekamen ganze 4 Asyl nach Artikel 16 GG und 17 Personen das sog. kleine Asyl in der ersten Instanz.

Die Asylverfahren ziehen sich zum Teil über Jahre hin, oder es werden mit Verweis auf eine vermeintliche „inländische Fluchtalternative“ lediglich Abschiebehindernisse, etwa aufgrund von Krankheiten, gewährt.

Vielen Tschetschenen wird durch diese Zurückhaltung der deutschen Behörden ein erträgliches Leben mit einer Perspektive in Deutschland vorenthalten: Während des Asylverfahrens oder nur mit einer Duldung ausgestattet, dürfen sie nicht arbeiten, unterliegen der Residenzpflicht und sind in Gemeinschaftsunterkünften untergebracht. Für die Erwachsenen sind dies bestenfalls verlorene Jahre.

Der Schleswig-Holsteinische Innenminister Klaus Buß hat angekündigt auf der nächsten Innenministerkonferenz einen Abschiebestopp für tschetschenische Flüchtlinge auf den Weg bringen zu wollen. Dieser Schritt kommt sehr spät, dennoch sind wir froh, dass ein solcher Vorstoß überhaupt unternommen wird.

In Schleswig-Holstein befinden wir uns zurzeit im Wahlkampf. Die Landespolitikerinnen zeigen sich gern von ihrer besten Seite.
Heide Simonis ist außer Gastgeberin auf dem Schloss Gottorf auch Mitglied des deutschen Komitees von UNICEF, dem Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen, das sich unter anderem einsetzt für die prekäre Situation der Kinder in den Kriegswirren im Kaukasus.
Die grüne Spitzenkandidatin und jetzige Justiz- und Jugendministerin Anne Lütkes verlautbart ein ums andere Mal, sich für die Durchsetzung der internationalen Kinderrechte in Deutschland einzusetzen.

Putins Besuch wäre eine ausgezeichnete Gelegenheit klar zu machen, dass Menschenrechte und Kinderrechte weltweit zu respektieren sind und gastgeberische Zurückhaltung auch gegenüber einem russischen Präsidenten ihre Grenzen kennt.

Das ohrenbetäubende Schweigen zum Krieg Putins im Kaukasus ist auch eine Bankrotterklärung der deutschen Menschenrechtspolitik.