Argentinische Schuldenkrise:

Befreiungsschlag

Nicht nur Kiel und die meisten anderen deutschen Kommunen sind hoch verschuldet, auch viele Staaten der so genannten Dritten Welt ächzen unter einer Schuldenlast, die sie kaum abtragen können. In vielen Fällen hat die Verschuldung bereits solche Ausmaße angenommen, dass sie sich allein durch die anfallenden Zinsen in immer neue Höhen schraubt. 1,8 Billionen US-Dollar sind seit Beginn der 80er Jahre aus dem Süden in den Norden allein an Zinszahlungen geflossen. Das ist weit mehr, als in der gleichen Zeit an Entwicklungshilfe gezahlt wurde.

Besonders hart hat es Argentinien getroffen, ein Land, das es schon einmal dank staatlicher Industrialisierungspolitik fast in den Club der reichen Länder geschafft hatte. Doch 35 Jahre Krise, Militärdiktatur und neoliberaler Kahlschlagsanierung haben die einst starken Gewerkschaften entscheidend geschwächt, große Teile der Bevölkerung in die Armut gestoßen und das Land gründlichst ruiniert.
 
 

Rund 160 Milliarden US-Dollar Auslandsschulden hat der argentinische Staat heute. Der größere Teil davon stammt, indirekt nach diversen Umschuldungsmaßnahmen, aus der Zeit der Militärdiktatur zwischen 1976 und 1983 die seiner Zeit über 30 000 politische Gegner ermordete, viele davon Gewerkschafter. Entweder wurde das Geld seinerzeit für Prestigeprojekte und Aufrüstung des Militärs aufgenommen, oder die Schulden stammen aus der Übernahme der Auslandsverbindlichkeiten privater Unternehmen durch die Militärjunta.

Ende 2001 brach die argentinische Wirtschaft unter der Schuldenlast und der vom Internationalen Währungsfond erzwungenen Währungspolitik vollends zusammen. Die feste Anbindung an den seinerzeit sehr teuren US-Dollar hatte Argentiniens Exporte einbrechen lassen. Das Ergebnis war ein Volksaufstand, der Sturz der neoliberalen Regierung de la Rúa und der Staatsbankrott. Argentinien bedient seit dem seine Schulden nicht mehr.

Das ist insbesondere angesichts der Herkunft der ursprünglichen Verschuldung nicht gerade verwerflich, stellt aber die argentinische Wirtschaft vor ein erhebliches Problem. Neue Kredite, die nicht nur für Investitionen, sondern auch für das alltägliche Geschäft mit dem Ausland benötigt werden, sind wenn überhaupt, nur für sehr hohe Zinsen zu bekommen. Die Argentinische Regierung muss daher versuchen, das Problem irgendwie zu lösen.

Daher bietet sie seit Mitte Januar ihren privaten Gläubigern einen Umtausch an, bei denen diese einen zum Teil erheblichen Teil des nominalen Wertes ihrer Titel verlieren würden. Insgesamt geht es um 81,8 Milliarden US-Dollar Schulden des argentinischen Staates bei etwa 700 000 privaten Anlegern im In- aber vor allem im Ausland. Zum Teil handelt es sich um institutionelle Anleger, wie Investment- und Pensionsfonds, zu einem erheblichen Teil aber auch um Privatleute, die sich von den hohen Zinsen haben locken lassen. Das derzeit am meisten gehandelte Papier mit einer Fälligkeit im Jahre 2008 bietet zum Beispiel einen Zins von 15,5 Prozent per annum. Vor allem in Italien haben viele mittelständische Sparer diese Anleihen gezeichnet, aber auch in der Schweiz, Deutschland und Japan.

Während argentinische Pensionsfonds bereits angekündigt haben, das Angebot annehmen zu wollen – sicherlich auch aufgrund des Drucks der dortigen Öffentlichkeit –, hat das „Global Committee of Argentina Bond Holders“, das nach eigenen Angaben 37 Milliarden US-Dollar repräsentiert, den Handel als „unfair“ abgelehnt. Auch in Deutschland spucken die Anleger in ihrem Internetforum Gift und Galle über die „Politverbrecher“ in Buenos Aires, womit nicht diejenigen gemeint sind, die das Land am Rio de la Plata privatisiert und ruiniert haben, um die Zinsen zu zahlen, sondern die Regierung Nestor Kirchners, die versucht, dem Einhalt zu gebieten. Offensichtlich fühlen sich die wildgewordenen Kleinbürger auch durch die Bundesregierung gestärkt, die Argentinien seit Monaten wegen des Umtauschs kritisiert.

Argentinien hat derweil angekündigt, dass es die alten Papiere nicht mehr bedienen wird. Auch die Zinsen, die sich seit der Zahlungsunfähigkeit auf immerhin rund 22 Milliarden US-Dollar belaufen, werde man nicht anerkennen. Allerdings werden sie für diejenigen, die das Angebot annehmen, beim Umtausch auf den nominalen Wert der alten Papiere aufgeschlagen.

Damit ist das Angebot besonders für kleinere Sparer attraktiv. In einem geschickten Schachzug bietet die argentinische Regierung nämlich im begrenzten Umfang auch den Umtausch eins zu eins an, und zwar für Summen bis maximal 10.000 US-Dollar. Einziger Nachteil ist, dass die Zinsen mit 1,33 Prozent in den ersten fünf Jahren besonders niedrig sind. Aber auch bei den anderen beiden der insgesamt drei neuen Titel bleiben die Zinsen weit hinter den astronomischen Summen zurück, die bis 2001 gezahlt wurden. Die Laufzeiten der neuen Anleihen betragen 33 bis 40 Jahre, womit die Anleger auf jeden Fall noch ziemlich lange auf ihr Geld warten müssen, die argentinische Gesellschaft aber wieder etwas Luft zum atmen bekäme.

Insgesamt hat die argentinische Regierung ein Angebot geschnürt, das darauf angelegt ist, kleinere und größere Anleger zu spalten. Erstere müssen ein Interesse haben, dass mehr als 70 Prozent der Gläubiger das Angebot annehmen, denn dann werden am meisten der Papiere emittiert, die einen 100-prozentigen Werterhalt bieten. Zugleich ist 70 Prozent auch der Schwellenwert, der über die Annahme des Angebots entscheidet.

Kann sich die argentinische Regierung gegen den Druck der Gläubiger Organisationen durchsetzen, hätte Präsident Kirchner einen wichtigen Punktsieg in der Auseinandersetzung mit dem IWF gewonnen, denn auch von dem will sich das Land nach Jahrzehnten schlechter Erfahrungen mit dessen Strukturanpassungsprogrammen emanzipieren.

   (wop)