Sozialforumsbewegung:

Gegen Armut und Krieg

Wenn diese Ausgabe aus dem Druck kommt, beginnt im südbrasilianischen Porto Alegre das V. Weltsozialforum. Bis zum 31. Dezember werden in der Millionenstadt 120000 Gewerkschafter, Frauenrechtlerinnen, Umweltschützer, Genossenschafter, Studentenvertreter und Globalisierungskritiker aus aller Welt diskutieren. Auf dem Programm stehen rund 2400 Veranstaltungen in denen es um den Kampf gegen Armut und Hunger, gegen den Krieg, gegen die Privatisierung der öffentlichen Dienste und vieles mehr gehen wird. Themen, die zumeist auch in Kiel auf der Tagesordnung stehen.

Wir sprachen mit Antônio Martins, einem der Koordinatoren von ATTAC Brasilien und Mitglied des brasilianischen Organisationskomitees des Weltsozialforums.
(wop)
 
 

LinX: Wie groß ist ATTAC Brasilien?

Antônio Martins (A.M.): Wir haben nur etwa 200 Mitglieder und konzentrieren uns darauf, die sozialen Bewegungen über die Rolle der internationalen Finanzmärkte aufzuklären, über das, was wir die Diktatur der Märkte nennen. Unser Ziel ist es, die Kämpfe dieser Bewegungen, die in Brasilien sehr stark sind, wie die der Landlosen, mit dem Kampf für ein neues internationales Finanzsystem zu verbinden.

LinX: Es heißt, das diesjährige Weltsozialforum soll selbstorganisiert sein. Was hat man sich darunter vorzustellen?

A.M.: Tatsächlich waren auch die anderen Foren bereits weitgehend selbstorganisiert. Die Organisationen, die am Forum teilnehmen, kommen nicht nur zum Zuhören, sondern auch um ihre Arbeit und Ansichten darzustellen. Schon 2001 auf dem ersten Weltsozialforum hat es rund 300 von den Teilnehmern organisierte Veranstaltungen gegeben. Aber da es das erste Forum war, haben wir als Organisationskomitee Podiumsdiskussionen und ähnliches organisiert. Mit den Jahren hat die Bedeutung dieser zentral organisierten Veranstaltungen abgenommen, und in diesem Jahr versuchen wir, ganz darauf zu verzichten.
 

LinX: Funktioniert das?

A.M.: Ich denke, der Erfolg gibt uns Recht. Über 2400 Veranstaltungen sind angemeldet, und ich finde, das Niveau der politischen Debatte hat zugenommen. Es gibt eine interessante neue Entwicklung, nämlich dass Veranstaltungen über Ländergrenzen hinweg gemeinsam vorbereitet werden. Wir haben allen, die eine Veranstaltung anbieten wollten, geraten, dies nicht alleine zu organisieren, sondern sich Partner zu suchen. Über das Internet wurde ein Kommunikationssystem aufgebaut, mit dem man nach Gleichgesinnten suchen kann. Wenn zum Beispiel in Brasilien jemand sich für die Rechte von Menschen einsetzt, die an den Flußufern leben, dann kann er mit diesem System Leute und Gruppen finden, die für die gleichen Rechte in den USA, in Sambia, in Thailand oder sonstwo kämpfen. Und alle zusammen können dann eine gemeinsame Veranstaltung auf dem Weltsozialforum anbieten.
Im Vergleich zu den Vorjahren hat das die Dichte des Programms und der Debatte deutlich erhöht und wird unter anderem dazu führen, dass aus dem diesjährigen Forum heraus eine ganze Reihe internationaler Kampagnen gestartet werden. Zum Beispiel eine Kampagne für eine Alternative zur Welthandelsorganisation oder eine neue Kampagne für die Streichung der Schulden der Dritten-Welt.

LinX: Was bedeutet Selbstorganisation in Bezug auf die großen Podiumsdiskussionen?

A.M.: Es wird dieses Jahr keine geben. Einige sehr wichtige und große Veranstaltungen sind geplant, aber es war nicht das Organisationskomitee, das darüber entschieden hätte. Wenn größere Organisationen aus mehreren Ländern meinen, zu einem bestimmten Thema muss es eine große Debatte geben, dann gibt es dafür den entsprechenden Raum. Das Interessante ist, dass das sehr gut funktioniert. Um ein Beispiel zu geben: Es sind etwa 20 Veranstaltungen rund um das Recht auf Wasser geplant. Zwei davon sind für 1000 Teilnehmer ausgelegt. Aber es waren nicht wir, die gesagt hätten, das ist ein wichtiges Thema, sondern die betreffenden Organisationen haben so gut zusammengearbeitet, dass sie so viele Interessenten anziehen können.

LinX: Wird es auch ein Treffen der Antikriegsbewegung geben?

A.M.: Es wird sehr viele Veranstaltungen und Treffen gegen den Krieg geben, denn es gibt mehr als nur eine Antikriegsbewegung. Das hat eine gute und eine negative Seite, aber auf jeden Fall zeigt das Thema die Möglichkeiten des Weltsozialforums. Obwohl das Forum als solches keine Erklärungen und Aufrufe verabschiedet, bietet es zugleich einzelnen Netzwerken diese Gelegenheit. So kam zum Beispiel 2003 der internationale Aktionstag gegen den Irak-Krieg zu stande, an dem seinerzeit über zwölf Millionen Menschen in aller Welt am 15. Februar teilnahmen.
 

LinX: Auf früheren Foren hatte Luiz Inácio „Lula“ da Silva, der inzwischen zum Präsidenten Brasiliens gewählt wurde, große Auftritte als gefeierter Star. Eigentlich etwas, das dem Gedanken der Unabhängigkeit des Forums von Parteien und Regierungen widerspricht. Kommt Lula auch in diesem Jahr?

A.M.: Ja, am Vormittag des ersten Tages. Aber meiner Ansicht nach wird sein Auftritt nicht mehr so spektakulär ausfallen. Niemand im Weltsozialforum sieht in ihm den großen Führer, der den Wandel bringen wird. Das hat etwas mit den Grenzen der politischen Macht in einem Land wie Brasilien und mit den Schwierigkeiten zu tun, die Lula hat, selbst diese begrenzten Möglichkeiten zu nutzen. Aber der wichtigste Grund, weshalb Lula nicht als der große Führer gesehen wird, ist, eine neue politische Kultur, die im Weltsozialforum ihren Ausdruck findet. Die Menschen, die hierher kommen wollen die Welt verändern. Sie sehen sich als sehr politisch, und sie sprechen den Parteien das Monopol auf Politik ab. Und ich glaube, dass die meisten verstehen, dass die Welt nur durch enorme Kämpfe und nicht durch einen einzigen Führer verändert werden kann, und dass es wichtig ist, auf solche Führer Druck auszuüben, damit sie uns helfen können, die Welt zu verändern.

LinX: Wie ist der Stand bezüglich des nächsten Weltsozialforums, das, wie es auf dem letztjährigen Forum in Mumbai hieß, erst 2007 stattfinden soll, und zwar in Afrika?

A.M.: Es gibt diese Entscheidung, und es gibt gewisse Zweifel. Die afrikanischen Sozialforen müssen das Gastgeberland noch aussuchen, aber es wird auf jeden Fall eine enorme Herausforderung sein. Afrika ist das Hauptopfer der Globalisierung. Es gibt große Schwierigkeiten politische Mobilisierungen durchzuführen, denn die Armut breitet sich überall aus. Das hat viel damit zu tun, dass der Internationale Währungsfond und die Weltbank nahezu jede Regierung kontrollieren. Aber die Entscheidung ist bereits gefallen und wir werden in Porto Alegre diskutieren müssen, wie sie umgesetzt wird.Daneben gibt es die Diskussion über 2006, in der zwei Standpunkte aufeinander treffen. Der eine besagt, man kann nicht jedes Jahr ein Weltsozialforum abhalten, immerhin gibt es ja auch noch kontinentale, regionale und nationale Foren. Der Aufwand ist zu groß. Der andere ist, dass in in einer Zeit, da die Bedrohung durch die Barbarei des Krieges und des Kapitalismus und die der Zerstörung der Natur, immer größer wird, das Weltsozialforum nicht einfach einen Schritt zurück gehen kann. Das internationale Sekretariat hat daher einen dritten Weg vorgeschlagen, nämlich 2006 ein dezentralisiertes Weltsozialforum abzuhalten. Das heißt, in drei oder vier Ländern werden internationale Foren simultan abgehalten, die mit einander über Videokonferenzen und ähnliches kommunizieren. Aus Marokko gibt es bereits einen entsprechenden Vorschlag und es werden Gespräche in Indien, Venezuela und in Pakistan darüber geführt.