Erfolg am 29. Januar 2005

8.000 stoppen Nazi-Aufmarsch in Kiel

Die Aktionen gegen den Nazi-Aufmarsch am 29.01. waren ein großartiger Erfolg für die Kieler Linke. Hier ist ohne Frage etwas Besonderes passiert. An der Demonstration des Runden Tisches sowie den parallel laufenden und nachfolgenden Aktionen beteiligten sich rund 8.000 Menschen. Dass zwei-dreitausend kommen würden, hatten wohl viele gehofft, doch diese Zahl übertraf selbst die kühnsten Erwartungen. Antifaschistische Mobilisierungen dieser Größenordnung hat man in den letzten zehn Jahren nicht nur in Kiel, sondern auch bundesweit selten gesehen. Und wann kommt es schon mal vor, dass ein Ereignis in unserer kleinen Landeshauptstadt zum Hauptthema in den bundesweiten Medien wird?

Grundlage dieses Erfolges war die große Einheit und die hervorragende Mobilisierung aller beteiligten Gruppen. Nach Bekanntwerden der beabsichtigten Nazi-Demo hatten im Dezember zunächst der Runde Tisch und das Linksradikale Plenum die Initiative ergriffen. Der Demo-Aufruf des Runden Tisches traf ganz offensichtlich die Stimmung von Tausenden. In 30.000-facher Auflage wurde dieser in den Wochen vor dem 29. in der Innenstadt und den Stadtvierteln, an der Uni, in Kneipen, bei Konzerten usw. verteilt; die Plakate und Aufkleber des Linksradikalen Plenums waren bald an jeder Ecke der Stadt zu sehen. Viele Gruppen und Einzelpersonen wurden selbst aktiv, entwickelten eigene Initiativen und Aufrufe. So wurde spätestens in der Woche vor der Demo eine hohe Präsenz erreicht – die Demonstration war Thema in der Stadt. Begünstigt wurde die Mobilisierung noch durch die Debatte über das Auftreten der NPD im Sächsischen Landtag, die Befürchtung ähnliches demnächst auch in Schleswig-Holstein zu erleben sowie die Gedenkfeierlichkeiten zum 60. Jahrestag der Befreiung des KZ Auschwitz. All das verlieh der Demo eine hohe Aktualität.

Das Ziel der Demonstration – den Aufmarsch der Nazis zu stoppen und sie politisch zu isolieren – wurde voll erreicht. Und dies, obwohl so einiges unternommen wurde, um die störungsfreie Durchführung der Nazi-Provokation zu ermöglichen. Der ÖPNV im Innenstadtbereich wurde komplett eingestellt, viele Geschäfte geschlossen und die City weiträumig abgesperrt. Hierzu hatte die Polizei ein für Kiel wohl beispielloses Aufgebot von 2.700 Beamten, Wasserwerfern und Räumpanzern aus mehreren Bundesländern aufgefahren. Im Verein mit „unserer“ Oberbürgermeisterin Vollquartz wurde im Vorfeld an die Kieler BürgerInnen – und insbesondere an die Schüler -  appelliert, sich nicht an der Demo zu beteiligen bzw. die Innenstadt am Samstag möglichst ganz zu meiden. Transportiert und unterstützt wurde dies von den KN. In einer weitgehend unpolitischen Darstellung der kommenden Ereignisse erschien die Demonstration hier vor allem als Sicherheitsproblem. Die Angst vor „Randale“ und „gewaltbereiten Autonomen“ wurde geschürt – demgegenüber erschien die Nazi-Demo schon fast als das kleinere Übel. Wenn überhaupt solle man doch an der DGB-Demonstration am frühen Morgen teilnehmen, die als „friedliche“ Alternative ohne „Risiko“ angepriesen wurde.
All dem wurde am 29.01. eine klare Absage erteilt. 8.000 Menschen zogen zunächst in einer kraftvollen Demo zum Alten Markt; einem Großteil von ihnen gelang es danach in die Nähe des Nazi-Aufmarsches vorzustossen und die Straßen im Bereich Andreas-Gayk-Straße/ Ziegelteich zu blockieren. Die Nazis hatten sich währenddessen ab 12 Uhr vor dem Bahnhof gesammelt – umringt von Polizei, Schaulustigen und kleineren Gruppen von Antifaschisten. Trotz einer vermeintlichen Distanzierung war die Präsenz der NPD in Gestalt ihrer Kandidaten Lütke und von der Born unübersehbar. Auch zahlreiche NPD-Schilder wurden getragen. Doch die etwa 350 „Kameraden“ – angetreten um die „Frontstadt“ Kiel zu erobern – konnten erst mal nur stundenlang rumstehen, weil die Polizei damit beschäftigt war, die Antifaschisten halbwegs auf Distanz zu halten. Derweil hielt der Hamburger Nazi Thomas Wulff seine Reden – jedoch immer wieder gestört von Schneebällen und Farbbeuteln, Sprechchören und Pfiffen, die keineswegs nur von organisierten Antifaschisten kamen. Erst gegen 14.45 Uhr konnten sich die Nazis überhaupt in Bewegung setzen. Begleitet von wütendem Protest kam es jedoch mehrfach zu Verzögerungen - denn die Polizei musste zunächst die kleineren und größeren Menschenansammlungen zerstreuen, die sich auch im Bereich Hummelwiese/Königsweg/Hopfenstraße immer wieder in den Weg stellten. Trotz der hierbei gezeigten Brutalität - insbesondere der schwarz gekleideten Greiftrupps der Polizei – war die ursprünglich geplante Route nicht durchsetzbar.

Über die Herzog-Friedrich-Straße wurden die Nazis schließlich zurück zum Bahnhof geleitet.  Ihr Aufenthalt in unserer Stadt wurde für sie zum Spießrutenlauf, - selbst, als sie schon auf den Bahngleisen warteten, wurden sie noch mit lautstarken „Nazis raus“-Rufen verabschiedet. „Gegen Multikulti und Hartz IV – das Volk sind wir“ lautete das Motto der Nazi-Demo, doch das „Volk“ war offenkundig anderer Meinung. Gegen 16.30 Uhr hatten die letzten Nazis Kiel wieder verlassen – sie werden vermutlich nicht so schnell wieder kommen. Interessanter weise hat dieses Fiasko  innerhalb der  NPD offenbar für Streit um die Teilnahme an Demonstrationen der „Freien Kameradschaften“ gesorgt (FR vom 31.01.). Wunderbar, sollen sie sich streiten. Mal schauen, wie stabil die „Volksfront von rechts“ tatsächlich ist...

Neben der praktischen massiven Behinderung des Nazi-Aufmarsches ist es uns vor allem gelungen wichtige politische Inhalte in der Kieler Öffentlichkeit zu plazieren. So konnten wir die derzeit laufende Debatte um den richtigen Umgang mit der NPD um eine absolut notwendige Facette – antifaschistischer Widerstand von unten ist möglich und erfolgreich – bereichern. Wir haben klar gemacht, dass es sich bei der NPD nicht um eine harmlose Protestpartei handelt, sondern um Nazis, die nicht toleriert werden können. Trotz aller Lügen und Verdrehungen finden sich diese Punkte auch in der medialen Berichterstattung wieder. So stürzte sich z.B. die „Bild am Sonntag“ nicht - wie zu erwarten war – auf die „Krawalle“. Vielmehr griff sie die NPD und ihre berüchtigten „Gute Heimreise“-Plakate unter der Überschrift „Neonazi-Skandal: NPD verhöhnt KZ-Opfer“ scharf an.

In diesem Zusammenhang ist im übrigen auch die von der gesamten Politprominenz unterstützte DGB-Demo keineswegs negativ zu bewerten. Die Intention dieser Initiative war zwar die Spaltung der Antifaschisten in „gut“ und „böse“ – was verständlicherweise zu viel Unmut und Ärger geführt hat. Tatsächlich aber muss man sagen, dass wir diese Herrschaften gezwungen haben sich zu bewegen – was wiederum die öffentliche Aufmerksamkeit für unsere Aktionen erhöht hat. Zunächst war von den Parteien und der örtlichen DGB-Führung wochenlang nichts zu hören gewesen; erst in der Woche vor dem 29.01. wurde ihre Demo dann angemeldet – ganz offensichtlich eine Reaktion auf die erfolgreiche Mobilisierung des Runden Tisches und der Versuch insbesondere Gewerkschafter wieder ins bürgerliche Fahrwasser zurückzuholen. Dieser Versuch ist auf ganzer Linie gescheitert. Trotz massiver Werbung durch die Medien schlossen sich dem Parteienprotest lediglich 1.000 Teilnehmer an, von denen sich nicht wenige später zum Wilhelmplatz begaben.

Ich habe keinerlei Ilussionen in die „Einheit der Demokraten“ o.ä., und man kann natürlich mit vollem Recht auf die Heuchelei und den Rassismus der Bürgerlichen verweisen, die den Nazis immer wieder Steilvorlagen liefern. Dennoch war ihr Aufruf nicht gegen „Links- und Rechtsextremisten“ o.ä., sondern erstaunlich klar gegen Faschismus und die NPD gerichtet. Die Demonstration der „Freien Nationalisten“ wurde als das bezeichnet, was sie war, nämlich als Nazi-Aufmarsch. Und wenn sich ein bürgerlicher Politiker wie CDU-Carstensen veranlasst sieht auf einer Demonstration gegen Nazis mitzulaufen und diese als „Maden“ zu bezeichnen, ist mir dies immer noch lieber, als wenn seine Partei bspw. eine derbe rassistische Kampagne im Wahlkampf vorträgt. Diese Demo zwar hat nichts zur Behinderung des Nazi-Aufmarsches beigetragen, wohl aber zur politischen Isolation der Nazis – und das war schließlich unser Ziel.

Nach der erfolgreichen Demo des Runden Tisches versucht man nun, die Demonstranten zu vereinnahmen. „Angeführt von Ministerpräsidentin Simonis und
CDU-Kandidat Carstensen protestierten in Kiel 8.600 gegen die Rechten“ log z.B. die „Bild“. In einem Kommentar für die KN rügt die Redakteurin Cornelia Müller plötzlich die „Unkenrufe“ und „peinlichen Empfehlungen“ (zu Hause zu bleiben und nicht zu demonstrieren), welche sie noch wenige Tage zuvor selbst produziert hatte. Gleichzeitig wird die übliche Hetze gegen „linke Chaoten und Krawallmacher“ etc. gemacht. Das war allerdings nicht anders zu erwarten und sollte uns daher auch nicht weiter stören. Diejenigen, die am 29. auf der Straße waren, wissen, was tatsächlich passiert ist.
Tausende haben, vielleicht erstmalig in ihrem Leben, erfahren, was wir erreichen können, wenn wir solidarisch und einig sind – und das macht Mut für die Zukunft!   

         (cg)