Kommentar:

Mehr Bewegung

Fast hätte es geklappt; fast hätte Peter Harry Carstensen sein Versprechen wahr machen und an die Erfolge Uwe Barschels anknüpfen können. Das Wasser war bereits eingelassen, doch dann zog der Landeswahlleiter in letzter Minute den Stöpsel. Um Haaresbreite verfehlten CDU und FDP den Wechsel auf die Regierungsbänke. Oder vielleicht doch nicht? Bekommen wir eine große Koalition? Oder eine Ampel? Oder tatsächlich eine vom SSW gestützte  Minderheiten- regierung? Bei Redaktionsschluss dieser Ausgabe waren die Wahllokale gerade geschlossen, aber auch in der Endredaktion, als der bereits sicher geglaubte Sieg der Union schließlich platzte, war noch alles offen. Nur eines ist sicher: Uns stehen spannende Zeiten bevor.
Eine Variante wird man aber schon jetzt ausschließen können: die große Koalition. In wichtigen Fragen wie Hartz IV mögen sich SPD und CDU inhaltlich nahe sein, dennoch spricht nicht nur die bundespolitische Interessenslage gegen eine Koalition der beiden großen Parteien: Die hiesigen Parteiapparate sind sich kulturell so fremd wie nur irgendwas, das CDU-Personal ist so katastrophal, dass es kaum vorstellbar ist, dass sich die SPD auf eine Koalition einlässt.
Man mag meinen, dass es angesichts der großen, neoliberalen Koalition, der geschlossenen Front der Kahlschlagsanierer fast egal ist, wer im Landeshaus das Sagen hat. Doch immerhin ist die Maschine ins Stottern gekommen, ist der Regierungsapparat aus dem Tritt geraten. Die Dinge sind beweglicher, mehr Kräfte müssen sich einigen, die Zahl der Reibungsflächen ist größer, das heißt es gibt mehr Ansatzpunkte, an denen – vielleicht wirksam – Druck entfaltetet werden kann.
Einer davon ist sicherlich der Flughafenausbau in Holtenau. Der SSW ist dagegen, die Grünen angeblich auch. Jetzt werden sie die Gelegenheit haben, es zu beweisen, denn bisher hat der SSW, den es nicht so sehr zu den Fleischtöpfen drängt, deutlich mehr Rückgrat bewiesen. Oder in der Bildungspolitik. SPD und Grüne haben den Abschied vom dreigliedrigen Schulsystem versprochen, und der SSW fordert eine einheitliche Schule bis zur neunten Klasse für alle. Nun kann man sie beim Wort nehmen. Wie gesagt: Nicht das Paradies, aber verbesserte Bedingungen für soziale Bewegungen, das eine oder andere durchzusetzen. Maßgeblich wird dafür allerdings weiter die Mobilisierung, das heißt der Druck von unten sein.

       (wop)