Kiel FM - alles ist drin!?

Der Offene Kanal schließt und bleibt verschlossen

Es hätte ein interessantes Radioprogramm werden können am 29.1.2005 auf der Frequenz 101.2 Kiel FM (Senderslogan: "alles ist drin!"). Zur Berichterstattung über den Naziaufmarsch und die Gegenkundgebungen hatte sich in Kiel eigens eine Radioredaktion zusammengefunden: Mitarbeiter des "Freien Sender Kombinats" aus Hamburg, der "Freien Radio Cooperative" aus Husum und einige z.T. langjährige OK-Nutzer aus Kiel hatten sich aus diesem Anlass zusammengetan, um den gesamten Tag Hintergrundberichte und aktuelle Informationen vom Geschehen in Kiel aus dem Radiostudio des Offenen Kanals (OK) zu senden. Dazu bestanden feste Absprachen mit Brunhild Hansen-Schmidt, der Leiterin des Offenen Kanals Kiel und Peter Willers, dem Beauftragten für die Offenen Kanäle in Schleswig-Holstein.

Es sollte unter Pseudonym gesendet werden, um die Radiomacher/innen vor etwaigen Bedrohungen durch die Nazis zu schützen und Peter Willers kündigte an, am betreffenden Samstag selbst im Offenen Kanal zu sein, um bei etwaigen Gewaltaufrufen durch Interviewpartner in der Radiosendung möglichst schnell abschalten zu können. Willers selbst nahm kurz an einer Redaktionssitzung teil, um die Radiomacher im Offenen Kanal zu begrüßen.

Derart umsorgt ahnte die Redaktionsgruppe nichts Böses, als sie sich am 29.1. um 8 Uhr vor dem Offenen Kanal traf, um den für 10 Uhr geplanten Sendestart vorzubereiten. Als sich dann die Außentür des OK nicht öffnen ließ, hatten wir zunächst die Vermutung, die Nazis hätten das Schloss manipuliert. Erst ein Anruf bei Peter Willers klärte, dass der Offene Kanal bzw. die ihn betreibende "Unabhängigen Landesanstalt für Rundfunk und neue Medien (ULR)" selbst das Schloss auswechseln ließ und uns so den Zutritt zu den von uns gebuchten Räumen verwehrte.
 
 

Teilnehmerinnen des Frauenblocks der Demo gegen den Naziaufmarsch

Niemand wurde von dieser Maßnahme vorab informiert, weder wir noch andere Nutzer, die für diesen Samstag Sendungen im Offenen Kanal geplant hatten.
Bis heute hat sich die ULR nicht offiziell zu den Gründen dieser Schließung geäußert. Statt dessen scheinen die Verantwortlichen in dieser Sache abgetaucht zu sein und machen widersprüchliche Angaben, warum sie am Tag eines Naziaufmarsches ihren Sender freiwillig stilllegten:

Zunächst behauptete der Stellvertetende Leiter der ULR, Dr. Wolfgang Bauchrowitz, gegenüber unserem Rechtsanwalt, die Kieler Polizei habe der ULR tags zuvor nahegelegt, den Offenen Kanal zu schließen, da diese die Sicherheit des Gebäudes nicht hätte gewährleisten können. Mittlerweile liegt allerdings eine schriftliche Erklärung der Polizei vor, dass sie der ULR selbstverständlich keine derartige Einschätzung gegeben habe.

Später behauptete Bauchrowitz gegenüber dem online-Magazin Telepolis, es habe die Gefahr bestanden, dass über den Sender "linksautonome Aktivitäten koordiniert werden sollten, um eine angemeldete rechtsradikal motivierte Demonstration gezielt zu stören oder zu stoppen". Als Beleg für die Behauptung, es habe die konkrete Gefahr einer "Senderübernahme" gegeben, führte Bauchrowitz an, dass in der Öffentlichkeit für ein "Inforadio" auf der Frequenz des Offenen Kanals geworben worden sei. Mittlerweile will die ULR dies ohne Mithilfe der Polizei selbst recherchiert haben.

Außerdem sei man davon ausgegangen, dass die Demonstrationsroute der Neonazis in unmittelbarer Nähe des Offenen Kanals verlaufen sollte.Uns als Redaktionsgruppe der Radiosendung erscheinen diese Begründungen reichlich fadenscheinig.

Selbstverständlich hat die ULR wissen können, dass die Nazis nicht vor dem Offenen Kanal marschieren wollten. Nach unseren intensiven Vorgesprächen mit der OK-Leitung bedürfte es von Seiten der ULR außerdem vorsichtig ausgedrückt einer ausgeprägten kriminellen Phantasie, um uns die Absicht einer 'feindlichen Übernahme' zu unterstellen. Und natürlich wäre die Polizei bei über 2000 Einsatzkräften in der Stadt in der Lage gewesen, zum Schutz des Senders einen Streifenwagen in die Hofeinfahrt des Offenen Kanals zu stellen.

Daran hatte die Leitung der ULR aber offenbar kein Interesse. Stattdessen hat sie leichtfertig das Presserecht und die eigenen Grundsätze des Bürgerradios außer Kraft gesetzt. Zur Schadensbegrenzung versucht sie sich gegenwärtig damit rauszureden, dass wir vor Samstag noch keine Sendeanmeldung unterschrieben hätten, obwohl eine Anmeldung unmittelbar vor der Sendung im OK Gang und Gebe ist und alle anderen, auch bereits schriftlich angemeldete Sendungen des Tages ebenfalls unbenachrichtigt ausgesperrt blieben.

Uns drängt sich der Verdacht auf, dass sich die ULR im vorauseilenden Gehorsam der politischen Hetze der schwarzgrünen Kieler Ratsmehrheit und der Landtagsfraktionen angeschlossen hat.Diese lokalisierten das eigentliche Problem des 29.1. bereits Tage vor dem Naziaufmarsch in der breiten Mobilisierung des Runden Tisches gegen Rassismus und Faschismus und versuchten den Protest gegen die Nazis möglichst schon im Vorwege zu kriminalisieren.

Faktisch entspricht die Entscheidung der ULR dem Konzept von OB Angelika Volquartz, die den Nazis eine möglichst leergeräumte Innenstadt überlassen wollte.
Oder hat sich die Leitung der ULR nur von der Panik der Parteien anstecken lassen? Auch ohne Verschwörungsthese ist das Sendeverbot ein medienpolitischer Skandal.

Ein Skandal ist auch, dass die ULR sich nach heftiger Kritik von Nutzern, Journalisten und Presseverbänden wie "Reporter ohne Grenzen" nicht nur ausschweigt, sondern auch das vor Kritik und Häme überquellende "Gästebuch" von der Internetseite des Offenen Kanals entfernte und den Mitarbeitern einen Maulkorb erteilte.
Die Offenen Kanäle machten bislang in Schleswig-Holstein einen guten Job, verschafften den Bewohnerinnen und Bewohnern dieses Landes zumindest ansatzweise Zugang zu Massenmedien und leisteten wichtige medienpädagogische Basisarbeit. Der Fall Sendeverbot wirft allerdings die Frage auf, ob die ULR ihrer Aufsichtspflicht im eigenen Hause Genüge tut. Diese Frage wird die ULR im Medienrat und in der Öffentlichkeit zu beantworten haben, der politische Druck dafür kann nicht groß genug sein.

Aus der Perspektive einer emanzipatorischen Bewegung mit Interesse an einer kritischen und unerschrockenen Berichterstattung zeigt der Fall, wie dünn das Eis der Meinungsfreiheit in diesem Land offenbar ist.Bis wir über eigene Sender verfügen, sollten wir allerdings die Herrschaften in der ULR schon mal an die kommenden Zeiten gewöhnen und die Offenen Kanäle (wieder) stärker für streitbare politische Themen nutzen. Schließlich gehören sie uns!

(aus der Redaktion 29-1)