Neuer Tarifvertrag im öffentlichen Dienst

Viel Schatten – wenig Licht

Die 2,1 Millionen Beschäftigten bei Bund und Kommunen erhalten zum Oktober 2005 ein neues Tarifrecht. Nach rund zweijährigen Verhandlungen einigten sich am 9. Februar ver.di, die kommunalen Arbeitgeber und Otto Schily als Arbeitgebervertreter des Bundes auf die Ablösung des alten Bundesangestellten - Tarifvertrags (BAT) durch das neue TVöD. Die Reform war überfällig, darin sind sich auch kritische Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter einig gewesen. In den 40 Jahren des Bestehens des BAT hatten sich rund 17.000 Eingruppierungsmerkmale ergeben. Das Gestrüpp an Sonderregelungen konnten auch Tarifexperten nur mit Mühen durchblicken.Aber die in Potsdam vorgelegte Einigung kann den Großteil der Beschäftigten nicht überzeugen. Nicht umsonst ist das Abstimmungsergebnis über die Annahme des Vertrages in der großen Tarifkommission der ver.di mit 80 zu 32 Stimmen bei fünf Enthaltungen nicht überwältigend ausgefallen.

Auch wenn in einigen Bereichen wirkliche Fortschritte erzielt werden konnten: Die anachronistische Trennung der tariflichen Regelungen von Angestellten und Arbeitern ist gefallen. Was die IG Metall in ihrer letzten Tarifrunde vorgemacht hat, ist damit auch im öffentlichen Dienst umgesetzt worden.

Endlich werden auch junge Mitarbeiter in Relation zu ihren älteren Kollegen besser entlohnt. Bislang galt im Öffentlichen Dienst die Regel, dass sich die Einkommen zu einem großen Teil an der Länge der Betriebszugehörigkeit orientierten. Dieses System wurde deutlich entschärft.

Aber diese zweifellos vorhandenen Erfolge dürfen nicht über die eklatanten Mängel des neuen Tarifvertrages hinwegtäuschen: Zwar wird es für die bereits in Lohn und Brot stehenden Kolleginnen und Kollegen eine Besitzstandswahrung geben. Aber neu Beschäftigte werden insgesamt mit deutlich weniger Gehalt auskommen müssen. Und das, obwohl schon jetzt die Einkommen der im öffentlichen Dienst Beschäftigten um fünf bis zehn Prozent unter den Einkommen in der "freien Wirtschaft" liegen. Darüber hinaus wird es in den kommenden drei Jahren lediglich eine Einmalzahlung von 300 Euro im Jahr geben. Das entspricht im Mittel einer Lohnsteigerung von rund einem Prozent im Jahr. Also weniger als die üblichen Inflationssteigerungen.

Zur Entsolidarisierung wird auch das vereinbarte System der leistungsorientierten Bezahlung führen. Bis zu acht Prozent der Entgeltsummen der Beschäftigten sollen als Leistungsprämien zusätzlich zu der tariflichen Vergütung ausgezahlt werden können. Wie und durch wen die "Leistungsträger" des Öffentlichen Dienstes ermittelt werden steht noch nicht fest. Zu befürchten ist, dass die Zahlungen sich weniger an der Leistung, sondern an wohlfeilem Verhalten gegenüber den Vorgesetzten orientieren werden. Zudem dürften analog der jetzigen Ergebnisse von Beurteilungsrunden als Verlierer die Frauen und Teilzeitbeschäftigten feststehen.
Ein besonderes Desaster ist die Einführung einer neuen Niedriglohngruppe. 1288 Euro im Monat sollen künftig die von Privatisierung bedrohten Beschäftigten (also zum Beispiel Reinigungskräfte) erhalten können. Das kann für die Betroffenen ein Nettogehalt ergeben, was sich unterhalb der bestehenden Pfändungsgrenzen bewegt.

Relativ glimpflich sind die Arbeitnehmer erst einmal in der Frage der Arbeitszeit davon gekommen. Während für Bundesangestellte im Osten die wöchentliche Arbeitszeit von 40 auf 39 Stunden sinkt, wird sie im Westen um eine halbe Stunde auf 39 Stunden erhöht. Bei den Kommunen wird sich zunächst nichts ändern. Allerdings hat ver.di einer Öffnungsklausel zugestimmt: Die Landesbezirke der Gewerkschaft können Regelungen zu einer wöchentlichen Arbeitszeit von bis zu 40 Stunden vereinbaren.

Die Tarifgemeinschaft der Länder (TdL) ist im Frühjahr 2004 aus den Verhandlungen ausgestiegen. Für die rund 900.000 Landesbeschäftigten gilt der Tarifvertrag also nicht. Die TdL erhofft sich wegen des besonders schlechten gewerkschaftlichen Organisationsgrades ihrer Beschäftigten einen Tarifabschluss noch unterhalb des jetzt geltenden Vertrages.

Und in diesem Zusammenhang hat ver.di mit den Kommunen und dem Bund unter dem harmlosen Namen der "Meistbegünstigungsklausel" eine tarifvertragliche Katastrophe vereinbart: Wird in einem Bundesland (oder mit der gesamten TdL) eine Vereinbarung geschlossen, die für die Beschäftigten ungünstiger ist als die nun geschlossenen Regelungen, kann diese binnen vier Wochen auf alle 2,1 Millionen Beschäftigten bei Bund und Kommunen übertragen werden.  Im Klartext heißt das: Wenn ein ver.di - Landesfürst beispielsweise in Hessen mit Roland Koch in einem unbedachten Moment im Sommer 2008 vereinbart, dass die Arbeitszeit zukünftig 41 Stunden betragen soll, so gilt diese neue Regelung der Arbeitszeit auch für die Beschäftigten des Rathauses in Kiel.

Bleibt also zu hoffen, dass zumindest für die Landesbeschäftigten günstigere Regelungen in einen neuen Tarifvertrag vereinbart werden. Den Druck auf die Länder will ver.di in den nächsten Wochen erhöhen. Nach Redaktionsschluss dieser Ausgabe der LinX wird es auch in Kiel wieder zu Warnstreiks der Landesbeschäftigten kommen.

(mk)