Der Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung

Mit Beschluss vom 27. Januar 2000 hat der Deutsche Bundestag die Bundesregierung beauftragt, regelmäßig einen Armuts- und Reichtumsbericht zu erstatten. Die Armuts- und Reichtumsberichterstattung soll auf dem Leitgedanken basieren, dass eine detaillierte Analyse der sozialen Lage die notwendige Basis für eine Politik zur Stärkung sozialer Gerechtigkeit und zur Verbesserung gesellschaftlicher Teilhabe ist. Die Bundesregierung hat jetzt den zweiten Armuts- und Reichtumsbericht vorgelegt. Im Bericht wird eine "Armutsrisikoquote" verwendet. Sie soll den Anteil der Personen in Haushalten, deren "bedarfsgewichtetes  Netto äquivalenzein- kommen" weniger als 60 Prozent des Mittelwerts aller Personen beträgt, bezeichnen. In Deutschland beträgt die so errechnete Armutsrisikogrenze 938 Euro. Insgesamt hat das Armutsrisiko von 1998 bis 2003 von 12,1 Prozent auf 13,5 Prozent zugenommen.

In den alten Bundesländern soll sich das durchschnittliche monatliche Haushaltsnettoeinkommen vom 1. Halbjahr 1998 bis zum 1. Halbjahr 2003 von 2.686 Euro auf 2.895 Euro nominal um rund 7,8 Prozent erhöht haben. Real soll dies einem Zuwachs von 1,1 Prozent entsprechen. In den neuen Ländern soll das Nettoeinkommen nominal um rund 10,4 Prozent von 2.023 Euro auf 2.233 Euro und damit real um 3,5 Prozent gestiegen sein.

Das Vermögen privater Haushalte ist stetig gestiegen und beträgt 2003 eine Summe von fünf Billionen Euro. Das entspricht im Durchschnitt aller Haushalte 133.000 Euro. Von 1998 bis 2003 stieg das Nettovermögen nominal um rund 17 Prozent. Dominiert wird die Vermögenshöhe und -verteilung durch das Immobilienvermögen, das rund 75 Prozent des Gesamtvermögens ausmacht. Die Bedeutung von Aktien ist für das gesamte Vermögen privater Haushalte eher gering. Nur etwa drei Prozent bis vier Prozent ihres Bruttovermögens haben Privathaushalte in Aktien oder Aktienfonds angelegt. Während die "unteren" 50 Prozent der Haushalte nur über etwas weniger als 4 Prozent des gesamten Nettovermögens verfügen, entfallen auf die "Reichen" (zehn Prozent) der Haushalte knapp 47 Prozent. Der Anteil des obersten Zehntels ist bis 2003 gegenüber 1998 um gut zwei Prozentpunkte gestiegen.

Eine Auswertung des Privatvermögens zeigt von 1998 bis 2003 eine Steigerung der Anzahl der Privathaushalte mit einem Nettogesamtvermögen ab einer Million DM bzw. 511.292 Euro von rund 1,1 auf rund 1,6 Mio.

Durch Erbschaften und Schenkungen werden nach Ergebnissen des SOEP jährlich 50 Mrd. Euro zwischen den Generationen transferiert. Von 1999 bis 2002 erhielten dadurch pro Jahr eine Million Privathaushalte - das sind etwa 2,5 Prozent aller Haushalte - Immobilien oder größere Geldbeträge mit einer durchschnittlichen Erbschafts- bzw. Schenkungssumme von 50.000 Euro.

Die Überschuldung privater Haushalte hat zwischen 1999 und 2002 zugenommen: Die Gesamtzahl der überschuldeten Privathaushalte erhöhte sich von 2,77 Mio. um 13 Przent auf 3,13 Mio. Von den 38,7 Mio. privaten Haushalten in Deutschland waren im Jahr 2002 8,1 Prozent (früheres Bundesgebiet: 7,2 Prozent, neue Länder: 11,3 Prozent) von Überschuldung betroffen, das heißt, ihr Einkommen und Vermögen reichte trotz Reduzierung des Lebensstandards über einen längeren Zeitraum nicht aus, um fällige Forderungen zu begleichen. Die der Zahl Verbraucherinsolvenzverfahren stiegen von 1.634 (1999) auf 32.131!! (2003) an. Kreditinstitute waren die am häufigsten betroffenen Gläubiger (bei 71 Prozent der Überschuldeten im früheren Bundesgebiet und 68 Prozent in den neuen Ländern), gefolgt von Versandhäusern (42 Prozent bzw. 41 Prozent), Behörden (40 Prozent bzw. 47 Prozent) und Versicherungen (30 Prozent bzw. 25 Prozent). Schulden bei Telefongesellschaften gingen im früheren Bundesgebiet mit 24 Prozent im Vergleich zu 1999 mit 27 Prozent leicht zurück. In den neuen Ländern dagegen stiegen diese gegenüber 1999 von 25 Prozent auf 32 Prozent an. Mietschulden stellten mit 32 Prozent in den neuen Ländern immer noch ein größeres Problem dar als im früheren Bundesgebiet mit 18 Prozent.

Zum Jahresende 2002 waren in Deutschland 2,76 Mio. Personen in 1,4 Mio. Haushalten auf Hilfe zum Lebensunterhalt angewiesen. 2003 waren es 2,81 Mio. Unter den Sozialhilfebeziehern waren Kinder unter 18 Jahren mit rund 1,1 Mio. die mit Abstand größte Gruppe. Mit einer Sozialhilfequote von 7,2 Prozent (2003) weisen sie im Vergleich zur Gesamtbevölkerung (3,4 Prozent) einen deutlich häufigeren Hilfebedarf auf. Mehr als die Hälfte der Kinder unter 18 Jahren im Sozialhilfebezug wächst im Haushalt von allein Erziehenden auf. 26,3 Prozent aller allein erziehenden Frauen sind auf Sozialhilfe angewiesen.

Im Jahr 2003 blieben 1,36 Mio. bzw. 14,9 Prozent der 20- bis 29-Jährigen ohne abgeschlossene Berufsausbildung. Überproportional und mit steigender Tendenz (ca. 36 Prozent) sind darunter ausländische Jugendliche vertreten. Kinder ausländischer Herkunft weisen vergleichsweise schlechtere Bildungsabschlüsse auf und haben damit ungünstigere Startchancen am Ausbildungsmarkt als Deutsche. Die Angebots-Nachfrage-Relation in der dualen Ausbildung betrug 2003 nur noch 98,2 Prozent (alte Länder) bzw. 91,2 Prozent (neue Länder); es kam zu einer Lehrstellenlücke (heute ca. 100.000). Diese Entwicklung zeigt sich auch in der Ausbildungsbeteiligungsquote der Betriebe. Sie sank im früheren Bundesgebiet von 35 Prozent (1980) auf knapp 24 Prozent (2002) ab. Mit 19 Prozent ist sie in den neuen Ländern noch niedriger.

In den Jahren 2001 bis 2003 ging die Zahl der Erwerbstätigkeit zurück. Im Jahr 2003 ging die Zahl der Erwerbstätigen auf rund 38,3 Mio. zurück; die Arbeitslosenzahl stieg auf 4,377 Mio. (Quote: 11,6 Prozent). Der negative Trend am Arbeitsmarkt wurde im Jahresverlauf 2004 umgekehrt. Die Zahl der Erwerbstätigen stieg wegen der starken Zunahme der geringfügigen Beschäftigung und der Ich-AG erstmals seit 2001 wieder auf 38,44 an. Die Zahl der registrierten Arbeitslosen lag im Jahr 2004 bei 4,381 Mio. Im Februar 2005 waren 5,2 Millionen registrierte KollegInnen arbeitslos. Schwerbehinderte Menschen waren 1998 bis 2002 von Arbeitslosigkeit nach wie vor überdurchschnittlich betroffen. Von 1998 bis 2002 sank entsprechend der allgemeinen Entwicklung am Arbeitsmarkt die Zahl der arbeitslosen Ausländerinnen und Ausländer von 534.000 auf 505.000, stieg aber bis 2004 wieder auf 550.000 Personen an. Die Arbeitslosenquote der Ausländerinnen und Ausländer war mit 20,4 Prozent (2004) weiterhin deutlich höher als die der Gesamtbevölkerung (11,7 Prozent).

Der jahresdurchschnittliche Anteil Langzeitarbeitsloser an allen Arbeitslosen sank von 37,4 Prozent (1998) auf 33,7 Prozent (2002). Der Anteil der Langzeitarbeitslosen bis zum Jahr 2004 ist bundesweit wieder auf 38,4 Prozent angestiegen. Bei den Frauen lag er dabei im Jahr 2004 mit 40,5 Prozent deutlich höher als bei den Männern (36,7 Prozent), und in den neuen Ländern fiel er mit 43,6 Prozent deutlich höher aus als im früheren Bundesgebiet (35,3 Prozent). Der Anteil von Langzeitarbeitslosen unter den arbeitslosen Ausländern unter dem Anteil der Langzeitarbeitslosen.

Wohngeld erhalten  rund 3,4 Mio. Haushalte mit geringerem Einkommen. Von den 3,4 Mio. Haushalten erhalten rund 2,2 Mio. Haushalte Wohngeld in Form des allgemeinen Wohngeldes und 1,2 Mio. Haushalte Wohngeld in Form des besonderen Mietzuschusses Dabei nähert sich die durchschnittliche Wohnkostenbelastung nach Wohngeld zwischen West- und Ostdeutschland weitgehend an.

Von Obdachlosigkeit bedroht oder aktuell betroffen sind 310.000 Personen im Jahr 2003. Der Anteil von Frauen betrug im Jahr 2002  ca. 23 Prozent (75.000 Personen), der Anteil der Kinder und Jugendlichen ca. 22 Prozent (72.000 Personen), bei einer Gesamtzahl von 330.000 Wohnungslosen in diesem Jahr.

Die Lage der ArbeitnehmerInnen, Arbeitslosen und SozialhilfeempfängerInnen verschlechtert sich immer mehr im kapitalistischen Deutschland. Die Reichen werden immer reicher, die Armen immer ärmer. Das ist die Logik des profitorientierten Kapitalismus. Wer den globalisierten Kapitalismus nicht bekämpft - der wird auch die Arbeitslosigkeit, die soziale Ungerechtigkeit und den Faschismus nicht wirklich bekämpfen.

(hg)