Kommentar:

Für einen Protestfrühling

Arbeitslosigkeit erstmalig über 5,2 Millionen; in keinem anderen Industriestaat leben so viele Kinder in Armut; Arme verzichten auf notwendige Arztbesuche. Zeitungsmeldungen Anfang März. Erfolgsmeldungen einer sozialdemokratischen Regierung.

Und falls noch jemand Zweifel haben sollte, wem dieser Generalangriff auf unsere Lebensverhältnisse zu Gute kommt: Das Einkommen aus Vermögen und Gewinnen machte im dritten Qautal 2004 30,49 Prozent am Nationaleinkommen aus. Binnen drei Jahren war dieser Anteil um sagenhafte vier Prozentpunkte auf den höchsten Stand seit 1971 geklettert. Dennoch gehen die betrieblichen Ko-Manager weiter „ihren“ Kapitalisten auf den Leim, wie zu letzt bei Opel. Auf breiter Front knicken die lokalen Gewerkschaftsfürsten ein, höhlen die 35-Stunden-Woche aus, üben Lohnverzicht – freilich nicht persönlich; als freigestellter Betriebsrat in einem Großbetrieb lässt es sich mit diversen Bestechungsgeschenken noch immer ganz gut leben. Das Ergebnis dieser Politik aber ist, dass das deutsche Kapital allem Gejammere zum Trotz glänzend dasteht. Um atemberaubende 1,3 Prozent sind im letzten Jahr die Lohnstückkosten in Deutschland durchschnittlich gesunken. Sowas hat es nicht mal unter Helmut Kohl gegeben.

Höchste Zeit also, die Montagsdemos oder ähnliches, wieder zu beleben, statt den Kopf in den Sand zu stecken. Denn dafür besteht wenig Grund. In zehn Wochen sind z.B. in NRW Landtagswahlen. Wenn es gelänge, über Proteste und allerlei Aktionen, die Arbeitslosigkeit wieder zum beherrschenden Thema in den Medien zu machen und, so wie ansatzweise im Spätsommer 2004 kurzzeitig geschehen, eine öffentliche Debatte über die Verelendungsoffensive der Bundesregierung zu erzwingen, dann könnten wir der SPD zu einer grandiosen Wahlniederlage verhelfen. Damit wäre „Hartz IV“ und Massenarbeitslosigkeit zwar noch lange nicht aus der Welt geschafft, aber die herrschenden Eliten hätten ein Problem. Ihr schönes, inzwischen recht ramponiertes Zweiparteiensystem würde gehörig ins Wanken geraten, und in der Gesellschaft käme manches in Bewegung.

Und das ist nur eine der viele Möglichkeiten, die sich für Widerstand bieten. Die spontanen Proteste des Spätsommers 2004 und zuletzt die große Antifa-Demo in Kiel haben gezeigt, dass in der Gesellschaft ein erhebliches Potenzial vorhanden ist. Die Kunst besteht darin, es zu organisieren.

(wop)