Kommentar:

Offensichtliches

5,176 Millionen Menschen waren im März offiziell als Arbeitslose registriert. Aufmerksame Zeitgenossen wissen, dass das nicht die ganze Wahrheit ist, aber für gewöhnlich gehen derlei Einsichten im Gedröhne der kurzlebigen Medienwelt eher unter. Nur diesen Monat nicht. Wie die Zufälle der Nachrichtenproduktion so spielen, hatte ein Journalist einen Nebensatz des Nürnberger Arbeitslosen-Chef-Verwalters Frank Weise aufgeschnappt, der ausnahmsweise das Offensichtliche, von dem niemand spricht, mal beim Namen genannt hatte: Rund 6,5 Millionen Arbeitslose sind es in Wirklichkeit, rechnet man alle jene mit, die in – meist sinnentleerten – Fortbildungs- Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen geparkt werden.

Das bemerkenswerte an diesen Zahlen ist der Umkehrschluss: Die verbliebenen 36 Millionen Menschen, die man noch der Lohnarbeit nachgehen läßt, bzw. die als Beamte oder Selbständige arbeiten, sind offenbar in der Lage, erstens einen exorbitanten Handelsbilanzüberschuss zu erwirtschaften (allein im Januar und Frebruar 2005 wurden Waren im Wert von 26,9 Milliarden Euro mehr aus- als eingeführt) und zweitens die übrigen 44 Millionen ganz passabel mitzuversorgen.
Zumindest im Prinzip, denn viele haben durchaus kein passables Auskommen mehr. Das liegt allerdings nicht daran, dass nichts mehr für sie da wäre – schließlich hat ja die Wirtschaftsleistung nicht abgenommen – sondern daran, dass sich die Verteilung geändert hat: Während der Chef der Deutschen Bank, Josef Ackermann, monatlich rund 900.000 Euro auf seinem Konto vorfindet, müssen andere mit 386 Euro auskommen. Da könnte man doch glatt auf die Idee kommen, dass da etwas grundsätzlich falsch läuft.

Unterdessen stellt sich für die 36 Millionen, von denen die Mehrheit für immer weniger Geld unter immer größerem Druck arbeiten muss, eine ähnlich offensichtliche Frage: Wenn ihre Arbeitsleistung nicht nur für die ganze Gesellschaft reicht, sondern sogar noch zu viel ist, wenn man mal bedenkt, dass Deutschlands permanenter und weltweit einzigartig hoher Handelsbilanzüberschuss dem Export von Arbeitslosigkeit gleichkommt, dann könnte man die Arbeit doch eigentlich auf mehr Schultern verteilen, und zwar ohne Einbußen beim Einkommen. Vielleichnt sollte man über derlei Offensichtliches öfter mal laut reden.

(wop)