Rekordzahl an Erwerbslosen:

Arbeit für alle?

Nach Angaben der Bundesanstalt für Arbeit befinden sich zurzeit über 5,2 Millionen registrierte KollegInnen in der Arbeitslosigkeit. Real fehlen nach Schätzung von Experten über sieben Mio. Arbeitsplätze. Auch in Schleswig-Holstein müssen immer mehr Menschen um Arbeit und Einkommen bangen. Im März waren in Schleswig-Holstein über 170.000 Menschen ohne Lohn und Brot. Damit hat die Massenarbeitslosigkeit Nachkriegsrekordhöhen erreicht. Die hohe Arbeitslosigkeit und der massivste Sozialabbau (durch Sozialdemokraten und BündnisGrüne) in der Geschichte der BRD stehen Rekordgewinne vieler Unternehmen hauptsächlich der Konzerne und Banken gegenüber. Während die Unternehmens- und Vermögenseinkommen am gesamten Volkseinkommen im vergangenen Jahr mit 29,94 Prozent einen historischen Höchst-stand erreichten sanken die so genannten Arbeitnehmerentgelte auf einen historischen Tiefstand von nur noch 70,05 Prozent.

Deutschland, wie alle industriellen "Großmächte", befindet sich in einem unerbittlichen kapitalistischen Kampf um Standortvorteile, weil das Kapital sich einerseits immer weiter konzentriert und andererseits internationalisiert. Sie wollen eine total flexibilisierte Produktionsstrategie global durchsetzen und dabei einen möglichst billigen Zugang zur Ware Arbeitskraft garantiert haben. Flächentarifverträge, Kündigungsschutz, Umweltauflagen und Arbeitsschutz sind für sie nur lästige Bürokratie, die sie abgeschafft haben wollen. Klappt das in den kapitalistischen Nationalstaaten nicht wie gewünscht, wird die Produktion in die Billiglohnländer verlagert. Diese “reine Lehre” funktioniert jedoch nur unter den Bedingungen eines freien Weltmarktes optimal.

Aus diesem Grunde wurden freie Handelszonen (Europäischer Binnenmarkt, NAFTA (USA, Kanada und Mexiko), MERCOSUR (Brasilien, Argentinien, Paraguay, Uruguay) installiert und daher war auch die Gründung der Welthandelsorganisation WTO so wichtig. Machen die Unternehmen nicht genügend Profite bzw. werden sie ihre Produkte nicht los (Überproduktion), bleibt nur der Abbau des Volkseinkommens - also Lohnraub, Arbeitslosigkeit für das "Humankapital". Das liegt im Wesen der kapitalistischen Produktionsweise, bei der der Profit im Zentrum aller Überlegungen steht. Die bürgerlichen Parteien wollen uns allerdings diese Politik der Lohndrückerei und Umverteilung von unten nach oben als etwas unvermeidlichem, als alternativlose Maßnahmen zur Beseitigung von Wirtschaftskrisen deutschem Unternehmer darstellen. Darauf müsse man sich einstellen, um den Wirtschaftsstandort Deutschland weiterhin oder wieder attraktiv zu machen. Dabei zeigen die Handelsstatistiken, dass der Standort Deutschland für das deutsche Kapital so schlecht nicht sein kann: Immerhin war Deutschland auch im letzten Jahr Exportweltmeister. Die Drohung mit der Verlagerung ins Ausland ist offensichtlich oft nicht so ernst gemeint und ist eher dazu gedacht, uns zu weiteren Lohnverzicht ("Mitarbeiterbeiträge") zu zwingen.

Für die Werktätigen bedeutet diese Politik wieder einmal, den Gürtel enger schnallen. "Lieber weniger Geld verdienen, aber seinen Arbeitsplatz behalten." ist die griffige Formulierung unserer Tage. Die Produktion ist im bestehenden kapitalistischen System eben nicht für die Gesellschaft da, sondern zur Erwirtschaftung von Profiten; es zählt nur das Betriebsergebnis! Die Massenarbeitslosigkeit übt einen massiven Druck auf das "normale Arbeits-verhältnis" aus. .Die Folgen sind u.a. sinkende Reallöhne, Verlängerung oder Kürzung der Arbeitszeiten immer nach Bedarf der Unternehmer und natürlich mit Lohnverzicht, der Abbau sozialstaatlicher Leistungen (Hartz IV, Rentenkürzungen, Praxisgebühr und Nullrunden), die Rücknahme gewerkschaftlich erkämpfter Rechte durch Flexibilisierung der  Flächen- tarifverträge, Abbau von Kündigungsschutz, drastisch zunehmende soziale Unterschiede, (siehe Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung) die Auflösung bzw. Privatisierungen sozialer Versicherungssysteme, sowie die Einführung von Niedriglohnsektoren (Kombilöhne etc.). Die Wirtschafts- und Finanzpolitik der bürgerlichen Parteien haben diese Politik unterstützt und gefördert. Steuern auf Unternehmenseinkommen und Vermögenswerte wurden reduziert oder ganz  ge- strichen. Seit 20 Jahren wird es von den jeweiligen Regierungen erzählt, dass mit dieser Politik Investitionsanreize geschaffen und somit Arbeitsplätze geschaffen werden. Doch die Arbeitslosigkeit steigt und steigt und steigt.

Offensichtlich befindet sich die wachstumsorientierte Arbeitsmarktpolitik seit vielen Jahren in einer Sackgasse. Erstens gründet sie sich auf falsche ökonomische Erwartungen und zweitens würde sie in eine ökologische Sackgasse steuern. Dass die ökonomischen Erwartungen falsch sind, muss kaum noch bewiesen werden, denn die Wirklichkeit widerlegt sie bereits seit mehr als einem Jahrzehnt. Weder das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts, steigende Unternehmergewinne, noch die Steuer- und Abgabengeschenke an die Unternehmer, haben neue Arbeitsplätze geschaffen. Würden steigende Profite zu wachsenden Investitionen und damit zu Arbeitsplätzen führen, müssten die vergangenen Jahrzehnte ein wahres Beschäftigungswunder hervorge-bracht haben. Es ist jedoch eine simple Tatsache, dass wachsende Arbeitsproduktivität Arbeitsplätze kostet (sofern es keine Arbeitszeitverkürzung gibt), denn seit dem 70er Jahren steigt die Arbeitsproduktivität rund um das Doppelte wie die Produktion. Da aber auch die öffentlichen Haushalte zugunsten der Unternehmer und Reichen geplündert wurden, fehlen die investiven Ausgaben des Staates, durch die Ersatzarbeitsplätze geschaffen werden könnten. Um die in Deutschland rund sieben Mio. fehlenden Arbeitsplätze zu ersetzen wären in den nächsten Jahren Wachstumsraten von mehr als sieben Prozent nötig, und das ist ökonomisch völlig unrealistisch. Hinzu kommt, dass das heute schon bestehende Rationalisierungspotenzial der Unternehmen bei weitem noch nicht ausgeschöpft ist. Deshalb werden wachsende Gewinne und geringere Steuern und Abgaben zunächst einmal dazu führen, dass die Unternehmen weiter ihre Rationalisierungsvorhaben vorantreiben und Abfindungen finanzieren, denn gerade die wettbewerbsfähigsten und erfolgreichsten Unternehmen sind die größten Arbeitsplatzvernichter. Die Politik der Geschenke an die Unternehmer wird also den Arbeitsplatzabbau noch eher verstärken.

Die wichtigste Forderung nach Arbeit für alle wird leider auch nicht mehr von den Gewerkschaften vertreten. Die vorhandene Arbeit muss auf alle KollegInnen aufgeteilt werden. Gleichzeitig muss die Arbeitszeit bei vollem Lohn- und MitarbeiterInnen-Ausgleich erheblich, z.B. auf 30 Stunden verkürzt werden. Überstunden müssen sozialverträglich abgeschafft werden. Außerdem muss die Lebensarbeitszeit. verkürzt werden. ArbeitnehmerInnen sollten auf eigenen Wunsch mit 60 Jahren bei vollem Rentenanspruch in den Ruhestand gehen können. Geld ist im reichen Deutschland genug vorhanden. Gelegentlich wird die heutige Situation mit dem Ende der Weimarer Republik verglichen. Und das ist nicht so abwegig. Rekordarbeitslosigkeit, Verarmung der Bevölkerung und ein erstarken rechtsradikaler und faschistischer Organisationen stehen unfähige und unwillige Politiker (Parteien, Parlamente) gegenüber, die nicht in der Lage sind die Interessen der Mehrheit der Bevölkerung zu vertreten. Also werden wir es wohl selbst in die Hand nehmen müssen.              (hg)