Bundestreffen der ver.di-Linken in Bielefeld:

Gewerkschaftsspitze eingeknickt

Das vergangene Jahr war kein gutes Jahr für unsere Gewerkschaft." Dieses Fazit zog die ver.di-Linke am 16. und 17. April auf ihrem jährlichen Bundestreffen in Bielefeld. Vehemente Kritik übten die gut 40 aus dem ganzen Bundesgebiet, insbesondere Nordrhein-Westfalen, angereisten Gewerkschafter dabei an dem kürzlich vereinbarten Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TvÖD).

"Mit diesem Tarifvertrag hat die ver.di-Spitze eine deutliche Verschlechterung der Standards zugelassen, man kann das günstigstenfalls als Kuschen vor den Erpressungsstrategien der Arbeitgeber bezeichnen", so Betriebsrat Helmut Born aus Düsseldorf. Die Gewerkschaftsspitze sei "auf allen Ebenen eingeknickt", ergänzte der Vorsitzende des ver.di-Bezirks Rhein-Wupper, Wolfgang Zimmermann. Insbesondere die durch Öffnungsklauseln ermöglichte Verlängerung der Wochenarbeitszeit - ein eindeutiger Verstoß gegen die gewerkschaftliche Beschlusslage - sei ein Dammbruch, so Zimmermann. Auch andere der anwesenden Gewerkschafter wollten kein gutes Haar an dem von ver.di-Chef Frank Bsirske als "Jahrhundertwerk" gepriesenen Tarifwerk lassen. Es sei den führenden Funktionären offenbar mehr um den Erhalt der SPD-Grünen-Koalition gegangen als um die Interessen ihrer Mitglieder, mutmaßte Zimmermann.

Noch schlimmer als die tatsächlich im Vertrag enthaltenen Verschlechterungen sei aber die fehlende innergewerkschaftliche Diskussion über das Tarifwerk, so Tobias Michel vom ver.di-Fachbereich Gesundheitswesen aus Oberhausen. "Es gibt zur Zeit keine entwickelte Mitgliederdiskussion", stellte auch Zimmermann fest. Es habe nicht einmal mehr die noch in der Vorgängerorganisation ÖTV übliche Rückkopplung stattgefunden. Steffi Nitschke, Betriebsrätin im Kasseler Klinikum, wies darauf hin, dass viele Auswirkungen des TvÖD noch gar nicht bekannt seien. Sicher sei aber bereits, dass die Vereinbarung neue Spaltungslinien in den Betrieben schaffe und so die gewerkschaftliche Durchsetzungsfähigkeit schwäche.

Die seit rund einem Jahr als bundesweiter Zusammenschluss bestehende ver.di-Linke will dem von ihr kritisierten Anpassungskurs entgegentreten. Dass man mit diesem Vorhaben noch am Anfang steht, wurde bei dem Bielefelder Treffen deutlich. Die Frage fehlender Mehrheits- und Durchsetzungsfähigkeit stelle sich nicht nur der Gewerkschaft insgesamt, sondern auch der organisierten Linken, gab eine Aktivistin aus Düsseldorf zu bedenken. Am besten aufgestellt ist die ver.di-Linke in Nordrhein-Westfalen, wo man innerhalb der Gremien über beträchtlichen Einfluss verfüge, hieß es. In anderen Landesbezirken der Dienstleistungsgewerkschaft bestehen hingegen zumeist nur kleinere oder gar keine Zusammenschlüsse der Linken. Um dies zu ändern, müsse man einerseits die gewerkschaftlichen Basisstrukturen wiederbeleben, andererseits als ver.di-Linke öffentlich erkennbarer auftreten, meinten viele. Letzteres wollen die Gewerkschafter u.a. beim 1. Deutschen Sozialforum, das im Juli in Erfurt stattfinden wird. Dort will die ver.di-Linke, zusammen mit Erwerbslosengruppen, sozialen Initiativen und anderen Teilen der DGB-Linken, eine Konferenz zum Widerstand gegen Ein-Euro-Jobs organisieren. Zudem ist eine Kampagne gegen Privatisierung und Profitorientierung im Gesundheitswesen im Gespräch. "In allen Krankenhäusern stehen massive Kürzungen an, dagegen können wir nicht nur im einzelnen Betrieb vorgehen", begründete Nitschke ihren Vorschlag, ver.di zur Einberufung einer bundesweiten Konferenz der Krankenhausbeschäftigten aufzufordern.

Am Ende des Treffens standen nur wenige konkrete Verabredungen über gemeinsame Aktivitäten. Einigen konnte man sich allerdings auf eine inhaltliche Abschlusserklärung, in der sich u.a. Forderungen nach Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich, einem Mindestlohn und existenzsicherndem Grundeinkommen sowie die Ablehnung von Ein-Euro-Jobs und Arbeitszwang wiederfanden. Man müsse dafür sorgen, dass die Gewerkschaften "ihrer ureigensten Aufgabe, die Interessen der Beschäftigten konsequent zu vertreten, endlich wieder nachkommen", fasste einer der Aktivisten zusammen.

(dab)

(Der Beitrag erschien zuerst in der jungen Welt vom 18.04.2005)