Große Koalition - kein Aufbruch

Jede Seite kann ihr Gesicht wiederfinden“ meint Schleswig-Holsteins CDU-Chef Peter Harry Carstensen. An dieser Bewertung ist sicher einiges richtig. Aber die Kieler Nachrichten treffen den wunden Punkt der politischen Koalitionsvereinbarung in Schleswig-Holstein: „Die Vereinbarungen sind gnadenlos pragmatisch, negativ ausgedrückt: Aufbruchsignale gibt es da nur wenige.“ Die Unternehmerverbände sind mit der Entwicklung zufrieden, zumal sie schon vor den Wahlen deutliche Sympathien für eine große Koalition hatten. Der Präsident der Industrie- und Handelskammer, Hans-Heinrich Driftmann, freut sich besonders über den neuen Wirtschafts- und Wissenschaftsminister Dietrich Austermann (CDU), (...).

Was wird im Koalitionsvertrag festgeschrieben?

Haushalt - Die Nettoneuverschuldung soll halbiert werden. - Die Arbeitszeit der Beamten wird um eine Wochenstunde verlängert. - Auf Bundesebene befürwortet die Koalition eine Reform der Einkommensteuer und der Unternehmensbesteuerung, Subventionsabbau sowie neue Verhandlungen über die Erbschaftsteuer. Der von der CDU angekündigte Abbau von 2000 Stellen findet sich im Vertrag nicht mehr. Zur Stärkung der Schwerpunkte „Wachstum, Beschäftigung, Bildung und Forschung“ werden in diesem Jahr 100 Millionen Euro und ab 2006 jährlich 200 Millionen Euro in einem „Schleswig-Holstein-Fond“ bereitgestellt.

Verwaltung - Die Landesverwaltung soll im Wesentlichen auf ministerielle Aufgaben beschränkt werden. Landesämter werden aufgelöst. - Fusionen von Gemeinden, Ämtern und Kreisen werden unterstützt, eine zwangsweise Gebietsreform soll es nicht geben. Ab August 2006 müssen Beamte eine Wochenstunde länger arbeiten.
Norddeutsche Kooperation - Ziel ist eine gemeinsame Wirtschafts- und Verwaltungsregion mit Hamburg.

Wirtschaft - Zu den wichtigsten Verkehrsvorhaben gehören der Weiterbau der Ostseeautobahn A20 über die Elbe nach Niedersachsen und eine feste

Fehmarnbelt-Querung. - Die Restlaufzeiten für die Atomkraftwerke werden akzeptiert. Es soll weiter Windkraft gefördert werden.

Bildung und Wissenschaft - Das dreigliedrige Schulsystem bleibt. Bestehende Gesamtschulen können Gemeinschaftsschulen werden. - Flächendeckend wird das
Abitur nach zwölf Jahren angestrebt. . - In den Gymnasien wird in der Oberstufe das Kurssystem wieder abgeschafft. Die weiter umstrittenen Studiengebühren werden nicht vorangetrieben; es soll aber im Norden keine Insellösung geben; heißt: Wenn Hamburg und Niedersachsen die Studiengebühren einführen, wird Schleswig-Holstein folgen. Bis 2010 sollen in die Bildung 150 Millionen Euro investiert werden.

Inneres und Justiz - Bei der Strafverfolgung soll die DNA-Analyse in „geeigneten Deliktsbereichen“ genutzt werden, Videoüberwachung im öffentlichen Raum wird auf polizeiliche Brennpunkte beschränkt.

Sparkassen - Sie bleiben vorerst öffentlich-rechtlich.

Landwirtschaft un Umwelt - Der Einsatz der Gentechnik bleibt umstritten. - Die Gebiete für das europäische Naturschutznetz Natura 2000 sollen einschließlich schon gemeldeter Flächen überprüft werden.

Übergangsregierung mit Lauerstatus

Dieser Koalitionsvertrag ist deutlich schwärzer als rot, aber er signalisiert auch nicht die knüppelharte neoliberale  Auf- oder Abräumaktion. Die Verhandlungspartner haben vor allem die Machtteilung vereinbart. Auf der Strecke bleiben daher die gravierenden Nöte und Probleme. Schleswig-Holstein leidet nicht nur wie andere Bundesländer an einem zu geringen Wirtschaftswachstum und einer chronischen Auszehrung der Staatsfinanzen, sondern steckt zudem in einer Strukturkrise. Ähnlich wie bei den anderen Schlusslichtern unter den Bundesländern – Saarland, Bremen, Berlin – könnte Schleswig-Holstein nur mit einem großen gesellschaftspolitischen Aufbruch aus der Abwärtsspirale herausgeholt werden. Ein solches Projekt geht freilich nicht als Regierungsveranstaltung, sondern es müsste große Teile der Bevölkerung und ihrer Verbände und Organisationen einbeziehen.

Die SPD hat aus ihrem Desaster in Sachen politischer Kultur überhaupt nichts gelernt. Sie pokerte um kleinliche personalpolitische und einige sachliche Kompromisse(...). Mangelverwaltung ist die Losung des Koalitionsvertrages. Aus der praktischen Umsetzung werden die Sozialdemokraten nicht gestärkt hervorgehen, der einst linksgeprägte Landesverband ist politisch inhaltlich und moralisch schon jetzt  auf weiteren Niedergang programmiert. (...).
Für die Bürger im Land ist das ein schlechtes Ergebnis. Es wird ein „Weiter So“ geben, keinen wirksamen Politikwechsel, kein ernsthaftes Signal, um die Probleme im Land anzupacken. Und die sind in der Tat immens: Der Haushalt sieht katastrophal aus, der Arbeitsmarkt nicht minder, beim Pisa-Test schnitten die Nord-Schüler schlecht ab. (...).

(...) Rotgrün wird auch in NRW scheitern. Mit dem Wahlkampf in NRW hat faktisch der Bundestagswahlkampf begonnen. Eine große Koalition in der Berliner Republik mag auch für Unternehmerverbände einen gewissen Charme haben, der Lösung der drängenden gesellschaftlichen Fragen wird uns eine solche Regierung nicht näher bringen. Wir brauchen einen politischen Kurswechsel und dieser muss auf dem politischen Feld durchgekämpft werden.
Björn Radke, Mitglied im Landesvorstand der Wahlalternative Arbeit und Soziale Gerechtigkeit (WASG)

(Den Beitrag entnahmen wir der WASG-Webseite.)