Protest gegen Sozialabbau:

Erstmal verschnaufen?

Während der Sozialabbau Schlag auf Schlag voran geht, will die Koordination der Gegenwehr nicht so recht klappen. Wir fragten Frank Jäger von der Bundesarbeitsgemeinschaft Sozialhilfeinitiativen (BAG-SHI) weshalb das so ist. (wop)

LinX: Wie man hört, ist das bundesweite Aktionsbündnis gegen Sozialkahlschlag, das seinerzeit die erste große landesweite Demonstration gegen Sozialabbau Anfang November 2003 in Berlin organisiert und dann den Frankfurter Appell formuliert hatte, sang und klanglos entschlafen. Brauchen wir keine Bündnisse mehr?

Frank Jäger (F.J.): Wir brauchen sicherlich Bündnisse, aber dies ist nicht die Zeit für große Konferenzen und große Demonstrationen. Die Organisationen und Gruppen vor Ort befinden sich in einer Konsolidierungsphase.

LinX: Bundesweite Bündnisse braucht man nicht nur für zentrale Demonstrationen, sondern auch um gemeinsame Kampagnen zu beschließen.

F.J.: Solche Bündnisarbeit findet durchaus statt. Das Problem ist nur, dass die Interessenslagen auseinander gedriftet sind. Zum einen ist es momentan sehr schwer ist, in den Gewerkschaft eine grundsätzliche Opposition gegen Hartz IV aufzubauen. Die Gewerkschaftsspitzen sind längst eingeknickt. Zum anderen haben die Initiativen, die vor Ort mit den Problemen konfrontiert sind, sehr wenig Kräfte, um eine bundesweite Vernetzung zu organisieren. Besonders Ewerbslosen- und Sozialhilfeinitiativen haben alle Hände voll mit der allgegenwärtigen Behördenwillkür zu tun, die mit „Hartz IV“ einher geht.

LinX: Man kann nicht gerade sagen, dass es an der Gewerkschaftsbasis ruhig wäre. Immerhin war die deutsche Beteiligung am europäischen Aktionstag am 20. März in Brüssel, die hauptsächlich über örtliche Gewerkschaften organisiert wurde, so groß wie nie zuvor bei derartigen Anlässen.

F.J.: Die Gewerkschaften konnten natürlich sehr gut für diesen Aktionstag mobilisieren, weil es für sie vor allem gegen die Dienstleistungsrichtlinie ging. Das Thema hat in den Gewerkschaften eine sehr gute Mobilisierungskraft.

LinX: Du sagst, es sei nicht die Zeit für Konferenzen. Allerdings finden bundesweite Koordinierungstreffen der Montagsdemos statt, nur sieht man dort niemanden aus dem Umfeld des Frankfurter Appells. Wie ist das zu erklären?

F.J.: Das würde ich so nicht sagen. Einzelne Leute aus diesem Spektrum gehen auch zu diesen Treffen. Aber es gibt derzeit verschiedene bundesweite Vernetzungsversuche, die sich nicht so einfach auf einander beziehen lassen: Einmal das gewerkschaftsfreie Spektrum, dass im Januar die Agenturschlusskampagne organisiert hatte, seine Ursprünge im Westen hat und jetzt eine Kampagne gegen die Ein-Euro-Jobs vorbereitet. Dann der Kreis der Berliner und ostdeutschen Initiativen, die weiter Montagsdemos machen. Und schließlich das Aktionsbündis, das den erwähnten Frankfurter Appell initiiert hatte, jetzt aber etwas inaktiv ist.

LinX: Und wieso wurschteln diese verschiedenen Milieus jedes für sich  vor sich hin und finden nicht zu einer gemeinsamen, längerfristig angelegten Kampagne?

F.J.: Momentan ist das Problem, dass keiner die zündenden Ideen hat, um einen Brückenschlag zu schaffen. Mit einer Aktionskonferenz, zum Beispiel, wird es nach meiner Einschätzung in nächster Zeit nicht zu einer bundesweit abgestimmten Kampagne oder irgendwas kommen wird.  Die Montags- demos und ihre politische Kultur sind im Westen nie richtig angekommen, sondern haben hier die Herbstkampagne des Aktionsbündnisses ein bisschen paralysiert. Es gibt eine gegenseitige Blockade, weil es an Abstimmung fehlt. Niemanden schafft es, mal alle an einen Tisch zu bringen. Offensichtlich muss  man sich erst vor Ort zusammenraufen und mit örtlichen Aktionen zeigen, dass man bundesweit an einem Strang ziehen kann. Daher wird es  im Augenblick keine große Aktionskonferenz geben können.

LinX: Wird es denn wenigstens auf dem Sozialforum Ende Juli in Erfurt Gespräche geben?

F.J.: Der Runden Tisch der Erwerbslosen und Sozialhilfeintiativen wird dort ein Treffen organisieren. Ich denke, Erfurt wird sicherlich zum Gradmesser für die Stimmung im Lande werden. Unabhängig davon sind sich aber viele Initiativen einig, dass man spontan und kurzfristig bundesweit koordinierte Aktionen organisiert, wenn eine neue Situation entsteht, wenn zum Beispiel ALG-II-Empfänger massenweise zum Umzug gezwungen werden sollten.