Bericht vom Vorbereitungstreffen:

Erstes Sozialforum in Deutschland

Die internationale Sozialforumsbewegung ist endlich auch in Deutschland angekommen. Nach drei Europäischen Sozialforen und schon dem 5. Weltsozialforum (siehe LinX 02, 03 und 04 2005), das Ende Januar im brasiliansichen Porto Alegre mit über 150.000 Teilnehmern stattfand, soll vom 21. bis zum 24. Juli nun auch ein erstes landesweites Sozialforum in Deutschland abgehalten werden, und zwar in Erfurt. Die Vorbereitungen sind im vollen Gang. Die Planungen gehen von 5.000 Teilnehmenden aus, aber die Tagungskapazitäten (Räume und Übernachtungen) ermöglichen bis zu 10.000 Beteiligte. Nun hängt alles davon ab, in den kommenden Wochen das Interesse an der Beteiligung, an der Veröffentlichung von Diskussionsangeboten und am Aufspüren von Diskussionspartnern zu wecken. Denn das Sozialforum will nicht nur ein Markt der Möglichkeiten sein – es will vor allem dazu dienen, die Zersplitterung der sozialen Bewegungen und der Linken zu überwinden und aus dem Nebeneinander ein Miteinander zu machen.

Die Örtlichkeit eignet sich bestens dazu. Die mittelgroße thüringische Landeshauptstadt mit seiner wunderschönen Altstadt bietet nicht nur Schulen, die Fachhochschule, die Zitadelle, den Domplatz und die Thüringenhalle an – sie bietet auch eine Vielzahl größerer und kleinerer öffentlicher Plätze, die sich bestens für künstlerische Darbietungen, Aktionsgruppen und alle Formen von Veranstaltungen eignen, welche den direkten Kontakt zur Bevölkerung suchen.

Organisatorisches

Für Übernachtungen stehen neben zahlreichen Pensionen und Hotels ein großer Zeltplatz, Turnhallen und Privatunterkünfte zur Verfügung. Sollte es dennoch zu eng werden, kann man auch ins nahe gelegene Weimar ausweichen; der Zug braucht keine 20 Minuten dorthin.

Die Struktur des Sozialforums ähnelt konzentrischen Kreisen. Der Kern gliedert sich entsprechend der Tradition des Europäischen und Weltsozialforums in vier Themenbereiche, die versuchen, das Diskussionsangebot zu bündeln. Diese lauten:

1. Arbeitswelt und Menschenwürde

2. Globalisierung und die Rolle Deutschlands in der Welt

3. Menschenrechte und politische Teilhabe

4. Eine lebenswerte Welt – anders leben.

Dazu können Arbeitsgruppen, Seminare und auch Großveranstaltungen angeboten werden. Getreu internationalem Vorbild werden Arbeitsgruppen dabei als (meist) kleinere Veranstaltungen definiert (um die 25 Personen), die (auch) von einzelnen Gruppen angeboten werden; Seminare als etwas größere Veranstaltungen (zwischen 80 und 200 Personen), die auf jeden Fall von mehreren Gruppen gemeinsam angeboten werden sollen.

Großveranstaltungen wird es auch geben, jedoch will der Vorbereitungskreis des Sozialforums keine in eigener Regie durchführen. Er hat allerdings die Initiative ergriffen, dass es zu jedem Themenschwerpunkt auf jeden Fall eine Großveranstaltung geben soll. Dazu haben sich Arbeitsgruppen gebildet.
Die Veranstaltungen zu den vier Themenbereichen folgen einem Zeitschema von jeweils zwei Stunden in fünf über den Tag verteilten Blöcken (von 9 bis 21 Uhr). Kulturbeitäge sind in dieses Zeitschema integriert. Am Ende sollen die Diskussionen in einem Infopool zusammengeführt werden. Indymedia wird durch die Aufstellung einer eigenen Computerplattform dabei behilflich sein.

Eine gesonderte Vernetzungsphase am Abend ermöglicht VeranstalterInnen und Teilnehmenden, ihre Wege zu kreuzen, Infos auszutauschen und gemeinsame Initiativen zu verabreden. In dieser Zeit soll auch die Versammlung der sozialen Bewegungen vorbereitet werden.

Neben den vier Themenbereichen gibt es einen Kranz von selbst verwalteten Räumen, die eigene Abläufe haben. Angemeldet wurden bisher ein FrauenRaum und ein Sozialforum von unten.

Kultur

Über die Stadt verstreut werden vielfältige Kulturveranstaltungen und aktionsbezogene Darbietungen stattfinden. Die OrganisatorInnen sind in Verhandlungen mit dem Kommunalen Kino und dessen Umwandlung in ein Sozialforumskino. Christliche Basisgemeinden bieten Gebete und Meditation an. Es wird einen Raum geben, in dem sich die bestehenden lokalen und regionalen Sozialforen koordinieren können. Und auch das Essen soll nicht allein unter dem Gesichtspunkt der Versorgung, sondern in seiner Bedeutung als Kulturträger und als gesundheitlicher und ökologischer Faktor thematisiert werden.

Hauptinstrument der Kommunikation wird in den nächsten Monaten das Internet sein. Alle Angebote für Veranstaltungen müssen auf die Webseite gestellt werden. Dort steht auch, wie das Anmeldeverfahren für Unterstützende, VeranstalterInnen und Teilnehmende funktioniert und wie sich das Sozialforum finanzieren will. Als Werbemittel steht ein Einladungsflyer im Netz abrufbar bereit. In einem Internet-Shop können weitere Werbemittel wie Taschen, Käppis, T-Shirts u.a. bestellt werden.

Es wird angeregt, dass der aus dem Verkauf erzielte Erlös für die Unterstützung der Fahrt- und Teilnahmekosten von Menschen mit extrem niedrigem Einkommen (ALGII-Beziehende oder MigrantInnen) verwendet wird.

Versammlung
Es hat sich herumgesprochen, dass das Sozialforum keine Beschlüsse faßt. Alles, was hier verabredet wird, bindet ausschließlich die Gruppen und Personen, die diese Verabredungen tragen, nicht das Sozialforum als Ganzes. Der Drang, die Niederlage im Widerstand gegen die Hartz-Gesetze aufzuarbeiten, Strategien und Organisationsformen zu diskutieren und die Bewegung gegen den Neoliberalismus ein Stück voran zu bringen, ist jedoch groß. Deshalb wird es am Sonntag mittag eine Versammlung sozialer Bewegungen geben. Zu deren Vorbereitung wird auf die Forumsseite der Homepage ein Diskussionsbeitrag eingestellt, der sich mit der Frage befasst: Wie weiter mit den sozialen Bewegungen in Deutschland? Er soll zu Erwiderungen reizen, damit bereits im Vorfeld eine Debatte aufkommt. Die  Er- gebnisse sollen in eine Erklärung einfließen, die auf dem Sozialforum in der Vernetzungsphase diskutiert und auf der Versammlung sozialer Bewegungen  verab- schiedet wird. Dort sollen darüber hinaus Vorschläge für Aktionen und Kampagnen vorgetragen und über einen kommenden zentralen Aktionstag beraten werden.

Am Samstag nachmittag von 14.30 bis 16.30 Uhr versammeln wir uns zu einer Demonstration, zu der auch die Bevölkerung in Erfurt und in Thüringen eingeladen ist. Abends um 19h schließt sich ein großes Konzert an.

Parteien

Das Verhältnis zu den Parteien ist konfliktbeladen, das ist kein Geheimnis. Weniger denn je fühlen sich soziale Bewegungen heute von Parteien vertreten, das gilt auch für solche Parteien, die sich selbst in Opposition zu den Parteien im Bundestag sehen. Das ist kein Grund, die Diskussion über das Verhältnis der sozialen Bewegungen zu den Parteien zu vermeiden. Es ist jedoch ein Grund, auch in Deutschland den Grundsatz der Charta von Porto Alegre zu beherzigen, der da heißt: „Weder Repräsentanten von Parteien noch militärische Organisationen können am Forum teilnehmen.“ Konkret bedeutet das, dass Parteien auf den Sozialforum keine Veranstaltungen durchführen können – nur Jugendorganisationen, Stiftungen und Medien. Auf der Webseite wird eingeladen zu einer Arbeitsgruppe, die den Dialog der sozialen Bewegungen mit den Parteien vorbereitet.

Das Sozialforum in Deutschland sieht sich von Anfang an im Kontext des WSF und des ESF. Denn eine der Grundüberzeugungen, auf denen das Sozialforum beruht, ist, dass wir unsere gesellschaftlichen Probleme nicht mehr im nationalstaatlichen Rahmen lösen können.

(Angela Klein)




Weshalb Sozialforen?

Sozialforen sollen den unterschiedlichsten sozialen Bewegungen – Umweltschützern, Frauengruppen, Nachbarschaftsinitiativen, Arbeistlosenverbänden,  Schülerver- tretungen und vielen mehr – einen gemeinsamen Raum bieten. Um sich auszutauschen, kennenzulernen, mit einander zu sprechen, gemeinsame Projekte zu beraten und über Alternativen zu diskutieren. Grundlage ist die gemeinsame Ablehnung der neoliberalen Globalisierung, der zunehmenden Kommerzialisierung aller  Lebens- bereiche und der imperialistischen Kriege. Auf den Foren werden neben vielem anderen gemeinsame Kampagnen und Aktionstage verabredet. Beschlüsse werden allerdings nie vom Forum als ganzem getroffen (was bei 5000 wie in Erfurt erwartet oder 150.000 wie zuletzt in Porto Alegre schon technisch kaum möglich ist) sondern werden zwischen den interessierten Gruppen und in so genannten Versammlungen der sozialen Bewegungen beschlossen.

Die Idee, ein Weltsozialforum abzuhalten, entstand vor ca. fünf Jahren in den Diskussionen zwischen europäischen, lateinamerikanischen und asiatischen  Be- wegungen, als es bei einer Reihe internationaler Treffen der Mächtigen zu großen internationalen Demonstrationen und Gegenkongressen gekommen war. Aufsehen hatte seinerzeit 1999 insbesondere der massive Protest gegen die Ministertagung der Welthandelsorganisation im US-amerikanischen Seattle erregt. Das erste Weltsozialforum fand im Januar 2001 im brasilianischen Porto Alegre statt. Seit dem wurden auf allen Kontinenten kontinentale Sozialforen abgehalten. Europäische haben bereits drei stattgefunden. Daneben gibt es inzwischen unzählige regionale, nationale und auch lokale Foren. In diesem Jahre werden unter anderem  Sozial- foren in Österreich, der Schweiz, Finnland, Brisbane und Sydney (beide Australien), Chicago (USA) und im Grenzgebiet zwischen Paraguay, Argentinien und Brasilien abgehalten. Das nächste Europäische Sozialforum ist im Frühjahr 2006 in Griechenland.

Organisiert werden die Foren auf allen Ebenen von für alle offenen Versammlungen, zu denen meiste diverse Organisationen ihre Vertreter schicken. Im  inter- nationalen Rat des Weltsozialforums ist zum Beispiel die brasilianische Bewegung der Landlosen MST und die internationale Kleinbauernallianz Via Campesina sehr aktiv. Vertreten sind dort auch kämpferische Gewerkschaftsverbände wie die südkoreanische KCTU aber auch eher karitative Organisation aus Europa. Deutsche soziale Bewegungen sind bisher in den internationalen Treffen meist nur sehr schlecht vertreten.  (wop)
 

Aus der Charta des Weltsozialforums

“1. Das Weltsozialforum ist ein offener Treffpunkt für reflektierendes Denken, demokratische Debatte von Ideen, Formulierung von Anträgen, freien Austausch von Erfahrungen und das Verbinden für wirkungsvolle Tätigkeit, durch und von Gruppen und Bewegungen der Zivilgesellschaft, die sich dem Neoliberalismus und Herrschaft der Welt durch das Kapital und jeder möglichen Form des Imperialismus widersetzen, und sich im Aufbauen einer planetarischen Gesellschaft engagieren, die auf fruchtbare Verhältnisse innerhalb der Menschheit und zwischen dieser und der Erde engagieren. “

5. Das Weltsozialforum bringt Organisationen und Bewegungen der Zivilgesellschaft aus allen Ländern in der Welt nur zusammen und verbindet sie, aber beabsichtigt nicht, eine Institution zu sein, welche die Weltzivilgesellschaft repräsentiert.”