Kommentar:

Verquer gedacht

Nun hat das Land also eine „Kapitalismus-Debatte“, weil der SPD-Vorsitzende ein bisschen auf Populismus machen wollte. Der ganze Medienzirkus hat sich auf die paar dürren Worte, Münteferings gestürzt, und dreht nun schon seit Wochen die Begriffe so lange hin und her, bis sie vollends ihres Inhalts entleert sind. Vorläufiger Höhepunkt dieser Vorstellung und vermutlich nicht mehr zu toppen sind die Äußerungen Michael Wolffsohns, der an der Bundeswehrhochschule in München lehrt, und sonst eher für seine deutschnationalen Ausfälle bekannt ist. Ausgerechnet der kommt mit der Nazi-Keule: Der Vergleich, den einige SPDler zwischen  Invest- mentfonds und Heuschrecken angestellt hätten, erinnere ihn an die Hetze der Nazis gegen Juden. Müntefering solle sich „bei allen, die vom Nationalsozialismus betroffen sind“, entschuldigen.

Das ist so verquer gedacht dass man Mühe hat, das wieder gerade zu biegen: Die Nazis haben einst im Interesse der deutschen Konzerne und Banken den weit verbreiteten Unmut über die kapitalistischen Zustände gegen die Juden umgelenkt, und das Bild des „bösen Kapitalisten“ mit „dem Juden“ gleichgesetzt. Das hatte schon in der Weimarer Republik wenig Realitätsbezug, knüpfte aber an weit verbreitete Vorurteile an. Während Wolffensohn sich nun als Kämpfer gegen den Antisemitismus wähnt, reproduziert er in Wirklichkeit die Nazi-Propaganda: Jeder, der heute mit drastischen Worten Kapitalisten angreift, ist für ihn ein Antisemit oder fast-Antisemit. Also sind Kapitalisten doch alles Juden, oder was?

Das ist natürlich absurd, und man sollte in diesem Zusammenhang vielleicht einmal daran erinnern, dass zu den „vom Nationalsozialismus betroffenen“ auch die deutschen Arbeiter egal ob christlichen, jüdischen oder gar keinem Bekenntnisses gehört haben. Für sie bedeutete der Faschismus von der ersten Stunde an  Zer- schlagung der Gewerkschaften und Arbeiterparteien, Mord und Folter für deren Funktionäre, brutale Haft in Konzentrationslagern, Zwangsarbeit, Abschaffung des 8-Stundentags, Lohnsenkungen und Folter in „Arbeitserziehungslagern“ wie dem in Russee, in das man alle schleppte, die es in den Kieler Fabriken wagten,  aufzu- mucken. Das Ganze im Auftrag des deutschen Kapitals, dass unter diesen paradiesischen Bedingungen seine Profite erheblich steigern konnte.

(wop)