Lokalgeschichte:

Die braune Vergangenheit der Uni Kiel

Zu einer Veranstaltung unter dem Titel "1945 - Befreiung der Universität vom Nationalsozialismus?" (geübte LinX-Leserinnen und -Leser beachten das Fragezeichen im Veranstaltungstitel) hatte der AStA der Uni Kiel am 9. Mai eingeladen. Einziger Redner war der Rektor der Christian-Albrechts-Universität, Prof. Jörn Eckert. Er ist Inhaber des Lehrstuhls für Rechtsgeschichte und hat sich schon in der Vergangenheit mit der unrühmlichen Geschichte der Juristischen Fakultät  auseinander- gesetzt. Nicht wenige der mit rund 150 Menschen gut besuchten Veranstaltung hatten von dem seit vergangenem Juni amtierenden Rektor erwartet, dass er deutliche Worte zu einem Interview des Direktors der Neuropädiatrischen Klinik der CAU, Prof. Ulrich Stephani, in den Kieler Nachrichten vom April 2005 finden würde. Dieser hatte über den Kieler Ordinarius für Kinderheilkunde Werner Catel, dessen Bild noch heute im Hörsaal der Uni-Kinderklink hängt, gesagt: "Wir stehen dazu, dass dieses Bild im Hörsaal hängt … Catel ist ein exzellenter Kinderarzt und ein kluger Kopf gewesen, wenn man von den Euthanasie-Dingen einmal absieht".

Das, was Stephani verniedlichend als Euthanasie-Dinge beschreibt, war die Beteiligung am Massenmord an Behinderten durch den "klugen Kopf" Werner Catel. Dieser war während der NS-Herrschaft als Gutachter an der Tötung von rund 5.000 Kindern beteiligt. Aber weder zu der Entgleisung Stephanis, noch zu der Forderung aus dem Auditorium, endlich ein Denkmal zu den von den Wissenschaftlern der CAU zu verantwortenden Verbrechen während des Faschismus aufzustellen, mochte sich der Rektor konkret äußern. Dennoch war es eine kleine Sensation, dass der Leiter der CAU überhaupt zu dem Thema referierte und sogar die Renazifizierung der Uni im kalten Krieg zur Sprache brachte.

Und dies um so mehr, wenn man bedenkt, dass der Senat als höchstes Entscheidungsgremium der CAU noch 1982 mit den Stimmen der Professoren eine Stiftung zum Gedenken an die Opfer der nationalsozialistischen Machtergreifung an der CAU ablehnte, da man eine solche für zu einseitig befand. Dabei wäre es allerhöchste Zeit, sich intensiver mit der Rolle der einzigen Schleswig-Holsteinischen Volluniversität während der Nazi-Diktatur zu beschäftigen. Als so genannte  Grenzland- universität und einer schon vor 1933 streng nationalistischen Studentenschaft spielte die Christian-Albrechts-Universität eine wichtige Rolle im Wissenschaftsbetrieb des Deutschen Reiches. Die Kieler Uni hielt selbst im Krieg ihren Lehrbetrieb aufrecht, da sie in vielen Bereichen "kriegswichtige" Forschungen betrieb. So experimentierte beispielsweise der Direktor des Physiologischen Instituts an KZ-Häftlingen. Im Auftrag der Luftwaffe und Marine führte er Versuche zur Auskühlung des menschlichen Körpers im kalten Nordseewasser durch. Bei diesen Versuchen nahm er den Tod der Häftlinge in Kauf. Der Jurist und damalige Rektor der Uni schrieb 1940 in einer Festschrift: "Äußerlich sichtbar wurde der Wandel, den das Jahr 1933 heraufführte, für unsere Kieler Universität darin, daß alle rassefremden und politisch untragbaren Elemente beseitigt, und neue, junge Kräfte hierher berufen wurden. Die Universität Kiel hat sich in ihrem personellen Bestande in den ersten Jahren nach 1933 nahezu völlig erneuert".

Vielleicht ist auch durch dieses direkt in den ersten Jahren der nationalsozialistischen Herrschaft entstandene politische Klima zu erklären, dass der bis zu seinem Tod 1998 am Institut für politische Wissenschaften lehrende Prof. Werner Kaltefleiter mit revanchistischen Äußerungen wie "Moskau muß Königsberg wieder freigeben" keinen Proteststurm seiner Kieler Kollegen verursachte. Er schrieb 1997 in der 'Welt': "Die geopolitische Logik verlangt eine klare Entscheidung … Stabilität kann es in der Region nur geben, wenn Rußland diese Beute des Zweiten Weltkrieges aufgibt …". Es bleibt zu hoffen, dass spätestens zum 350. Geburtstag der Christian-Albrechts-Universität, der 70 Jahre nach der Befreiung vom Faschismus gefeiert wird, die Opfer des faschistischen Terrors an der Universität Kiel endlich angemessen geehrt werden.

(mk)