Kommentar:

Europäisch gedacht

Über politische Langeweile kann man sich in diesen Wochen nicht beklagen. Erst der Eintritt ins letzte Stadium der Agonie der Bundesregierung und die  An- kündigung vorzeitiger Neuwahlen; und dann das grandiose Fiasko des europäischen Verfassungsvertrages. Weder in Frankreich, noch in den Niederlanden mochten die Wähler dem jeweiligen politischen Establishment folgen, das – wie hierzulande – nahezu unisono für das dickbändige Machwerk warb.

Für viele unerwartet, steckt die Union mit einem Mal in einer erheblichen Legitimitätskrise, die sich zudem noch mit innenpolitischen Krisen in gleich drei Kernländern der Union verbindet. Und in allen Fällen wird die Krise vom wachsenden Unwillen erheblicher Teile der Bevölkerung gegen eine Politik des Sozialabbaus und der stetigen Verschlechterung der Lebensverhältnisse ausgelöst. Zwar möchte man uns gerne weiß machen, Franzosen und Niederländer hätten aus purem Nationalismus den Verfassungsvertrag abgelehnt und wollten ansonsten vor allem ihre Regierungen abstrafen, aber das ist nicht einmal die halbe Wahrheit. Die Nein-Kampagnen wurden in beiden Ländern von einer Vielzahl linker Organisationen und sozialer Bewegungen getragen, die die zahlreichen Kritikpunkte wie Zwang zur Aufrüstung, neoliberales Wirtschaftsmodell und fehlende Absicherung sozialer Rechte einer breiten Öffentlichkeit klarmachen konnten.

Damit ist das Nein auch eine gute Grundlage, um gemeinsam im Kampf für einige zentrale sozialen Rechte innerhalb der EU weiterzukommen. Während wir in den nächsten Monaten den hiesigen Wahlkampf unbedingt für den Kampf um die Rücknahme von „Hartz IV“ & Co. nutzen müssen (eventuell wird es im August bundesweite Aktionen geben), sollten wir zugleich auch europäisch Denken. So, wie im Inland Tarifverträge kaum auf  Dauer auf einem halbwegs akzeptablen Niveau verteidigt werden können, solange es Massenarbeitslosigkeit und Billiglohnsektoren gibt, verhält es sich auch auf  EU-Ebene. Die Angleichung der   Arbeits- bedingungen, der Löhne und der sozialen Standards auf möglichst hohem Niveau ist daher im Interesse aller, die von ihrer Arbeit leben. Doch das muss natürlich erkämpft werden, und auf dem Weg dahin haben die Franzosen und Niederländer gerade ein paar Steine aus dem Weg geräumt.

(wop)