Tarifpolitik 2005:

Die Unternehmer sind zufrieden

Eine überaus positive Bilanz ihres Durchsetzungsvermögens bei den diesjährigen Tarifauseinandersetzungen ziehen die Unternehmerverbände. Sie entlarven mit ihrem Urteil die üblichen Schönredereien der gewerkschaftlichen Verhandlungs- führerInnen. Also spricht Dr. Hundt, Chef des Bundes der Arbeitgeberverbände (BDA): "Die Tarifpolitik hat sich in diesem Jahr bemerkenswert positiv entwickelt. Wir sind auf dem Weg zu einer neuen Balance in der Tarifautonomie
mit mehr betrieblichen Gestaltungsspielräumen, mit höchst unterschiedlichen Öffnungsklauseln, mit neuen betrieblichen und tariflichen Optionen sowie mit neuen Instrumenten, die von Branche zu Branche unterschiedlich sind und eine große Vielfalt aufweisen. Der Trend geht hin zu mehr betrieblichen Gestaltungsmöglichkeiten auf differenzierten Wegen.

Gleichzeitig ist es gelungen, den in früheren Jahren üblichen Geleitzug der Lohnentwicklung zu entkoppeln. Die Tarifrunde 2004 hat bis auf wenige Ausnahmen bislang vertretbare Entgeltanhebungen mit einer Durchschnittsbelastung von rund 1,5 Prozent gebracht. (...) Wichtig ist jedoch, dass wir in vielen Branchen bei der von uns angestrebten Modernisierung der Branchentarifverträge vorangekommen sind. Die Tarifautonomie in Deutschland hat nur eine Zukunft, wenn wir eine neue Balance zwischen tarifvertraglicher und betrieblicher Regelung finden. Das Ziel lautet, mehr betriebliche Gestaltungsspielräume zu erschließen.

Dabei geht es nicht um Einheitslösungen für alle Branchen, sondern um unterschiedliche Wege zur Öffnung der Tarifverträge. In der Chemieindustrie wurde beispielsweise eine Öffnungsklausel vereinbart, die den Betriebsparteien ermöglicht, die für dieses Jahr tariflich vereinbarte Einmalzahlung zu verschieben, zu kürzen oder ganz entfallen zu lassen. Mit dieser rein betrieblichen Option ohne Mitwirkung der Tarifparteien werden andere tarifvertragliche Öffnungsklauseln ergänzt, die zahlreiche Abweichungen mit Zustimmung der Tarifpartner erlauben. So können in der Chemieindustrie die Entgelte zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit um bis zu zehn Prozent abgesenkt werden, die Jahressonderzahlung kann gekürzt und sogar gestrichen oder ertragsabhängig gestaltet werden. Es gibt also Öffnungsklauseln für betriebliche Regelungen mit Zustimmung der Tarifpartner und solche ohne Beteiligung der Tarifvertragsparteien. (...)
 
 

Von größter Bedeutung ist in diesem Zusammenhang der Tarifvertrag der Metall- und Elektroindustrie, der vom Tarifvertrag abweichende betriebliche Vereinbarungen zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit und der Investitionsfähigkeit ermöglicht. Dieser Tarifvertrag hat bereits nach wenigen Monaten seine Wirkung entfaltet. Dass es dabei auch Konflikte gab, ist nicht verwunderlich. (...) Es geht eben nicht nur um Tarifabweichungen bei wirtschaftlichen Härtefällen, sondern um eine neue, tarifpolitisch gewollte Beweglichkeit, die es den Betrieben erlaubt, Abweichungen vom Tarifvertrag zu erreichen, um die Wettbewerbsfähigkeit zu stärken und damit auch die Voraussetzungen für neue Investitionen zu schaffen.

Noch ist es zu früh, um eine abschließende Bewertung der Frage vorzunehmen, ob diese neue Form der betrieblichen Abweichungen mit Zustimmung der Tarifparteien erfolgreich ist. Dennoch ist die Hoffnung berechtigt, dass sich auf diesem Weg eine neue Kultur der Tarifpartnerschaft entwickelt. (...)

Die Gewerkschaften befinden sich derzeit in einem schwierigen Umstellungsprozess. Wir registrieren in den Betrieben vielfach eine konstruktive Mitwirkung der Gewerkschaften und eine pragmatische Haltung bei notwendigen betrieblichen Veränderungen. Gleichzeitig gibt es teilweise eine ideologische und radikale überbetriebliche Blockade. Eine Abkehr vom jetzt eingeschlagenen Weg weitergehender betrieblicher Regelungsmöglichkeiten hätte schwerwiegende Folgen. Dann müssten sich viele Betriebe für eigene Lösungen außerhalb der Branchentarifverträge entscheiden.

Die Tarifautonomie bewegt sich nach wie vor auf dünnem Eis. Der globale Wettbewerb zwingt zu schnellen Anpassungen. Die Tarifpolitik hat in den letzten Monaten einen wichtigen Beitrag dazu geleistet, mit einer modernen Tarifautonomie diesem betrieblichen Anpassungsbedarf zu entsprechen. Ich bin zuversichtlich, dass wir die Chance nutzen und mit einer modernen Tarifautonomie einen Beitrag dazu leisten, dass Deutschland wieder ein attraktiver Investitionsstandort wird." (Aus dem Verbandsorgan "medienimpulse".)

Noch haben wir die Chance, die "neue Kultur der Tarifpartnerschaft" zu verhindern. Zum Beispiel durch radikale überbetriebliche Blockaden (oder ähnliche Aktionen der Solidarität). Die Gewerkschaften als "Kulturfolger" der Unternehmer? Eine schreckliche Vorstellung; Anschauungsmaterial gibt es bereits genug ...

(D.L.)