Vor der Bundestagswahl:

Gibt es ein Linksbündnis WASG und PDS?

Es gibt Linke, die sehen in Schröders Ankündigung, Neuwahlen zum nächst möglichen Termin herbeizuführen, eine Art Putsch. Nicht nur der kreative Umgang mit dem Grundgesetz, das eigentlich beliebigen Auflösungsbeschlüssen des Bundestages einen Riegel vorschieben wollte, spricht für diese Ansicht. Mehr noch ist es die Tatsache, dass die entstehende Hast die gesellschaftliche Debatte über die Alternativen zur Regierungspolitik erstickt. Das Wahlvolk soll mal wieder vor die Alternative Pest oder Cholera gestellt werden, “Weiter so” oder “Weiter so, nur schlimmer” (CDU und CSU haben bereits angekündigt, dass sie den Kündigungsschutz aushöhlen und die Steuerfreiheit der Zuschläge für Nacht- und Wochenendarbeit abschaffen wollen). Da sich aber am linken Rand der SPD mit der Partei für Arbeit und Soziale Gerechtigkeit - Die Wahlalternative (WASG) erstmals seit Jahrzehnten ernsthafte Ansätze einer neuen Formation zeigen, drängt aus der Sicht Schröders (und Merkel, Stoiber und Westerwelle haben keine Einwände) alles zur Eile. Die knappen Fristen machen eine Kandidatur der WASG sehr schwierig und eine solide Diskussion über eine etwaige Kooperation mit der PDS fast unmöglich. Gespräche - wie sie auch von viele unabhängigen Linken, insbesondere im Westen, geforderte wurden - werden dennoch geführt, doch in der PDS scheint es erhebliche Widerstände zu geben. Auch an der ostdeutschen und Berliner WASG-Basis ist man über das Vorhaben, das bei Redaktionsschluss auf der Kippe stand, nicht gerade glücklich. Während in der PDS vor allem konservative Argumente ins Feld geführt werden, aus denen die Angst um den eigenen Apparat (und die ergatterten Pfründe) sprechen, verweist man in der WASG Berlin vor allem auf die negativen Erfahrungen, die man mit der PDS in den Landesregierungen in Schwerin und Berlin gemacht hat.
 
 
 


 

Wir sprachen über diese und andere Fragen mit Daniel Dockerill, der Mitglied im Kieler WASG-Kreisvorstand der ist. Nach eigenen Angaben hat die WASG bundesweit derzeit etwa 6000 Mitglieder. (wop)

LinX: Wie entwickelt sich die WASG in Kiel?

Daniel Dockerill (D.D.): Sehr mühsam. Wir hatten ca. 50 Mitglieder, als wir im Sommer letzten Jahres zunächst einen Verein gründeten. Allerdings war der Einzugsbereich nicht besonders genau abgesteckt. Es waren also auch einige aus den angrenzenden Kreisen dabei, die jetzt in den dortigen Kreisverbänden tätig sind. Durch die im Januar vollzogene Parteigründung haben wir jetzt sehr strikte Vorgaben, die sich an den Grenzen der Gebietskörperschaften orientieren. Aber alles im allen kann man sagen, dass wir uns beim Übergang zur Partei in Kiel halbiert haben.

LinX: Gibt es keine Dynamik, keinen Mitgliederzuwachs?

D.D.: Im Augenblick kaum. Wir haben uns da allerdings einiges vorgenommen. Meiner Ansicht nach leidet das ganze Projekt daran, dass wir lange zu sehr auf uns selbst konzentriert und zu wenig politisch nach außen gewirkt haben. Es wurde ein enormer Aufwand betrieben, Strukturen aufzubauen, die mit Parteiengesetz und allen möglichen Vorschriften konform gehen. Natürlich gab es auch die üblichen Querelen, ob die Organisation auch basisdemokratisch aufgebaut ist. Und es gab immer ein ziemliches Gedrängel, wenn es um Wahlen ging, was ein bisschen damit kontrastierte, dass es eigentlich nie größere politische Auseinandersetzungen gab.

LinX: Mit den vorgezogenen Neuwahlen wurde die WASG kalt erwischt. Unter hohem Zeitdruck wird derzeit über eine Kooperation mit der PDS diskutiert. Was hält man in Kiel davon?

D.D.: Wir haben im Kreisvorstand darüber diskutiert. Der Kurs des Bundesvorstandes in dieser Frage läuft darauf hinaus zu sagen, wir wollen eine gemeinsame Wahlpartei gründen, die für eine bestimmte Zeit eine Doppelmitgliedschaft zulässt, und unter diesem Dach sollen WASG und PDS zusammen kandidieren. Offene Listen, wie sie die PDS vorschlägt, sagt der Bundesvorstand, sind kein angemessenes Verfahren. In Kiel wird das von den meisten zur Zeit wohl unterstützt. Es gibt allerdings auch zumindest eine Stimme unter den sieben Mitgliedern des Kreisvorstandes, die das deutlich anders sieht. Jede Nähe zur PDS minimiere die Chancen für die WASG im Westen.

LinX: Wenige Tage vor Redaktionsschluss sieht es so aus, als wolle die PDS nicht so recht. Was hieße das für die WASG?

D.D.: Das mag ich mir noch gar nicht so recht vorstellen. Ich hielte es für eine Katastrophe, wenn man nicht zu einer gemeinsamen Wahlstrategie kommt. Aber es würde wohl darauf hinauslaufen, dass wir dann alleine kandidieren. Meine persönlichen Überlegungen gehen sowieso noch über die Zusammenarbeit mit der PDS hinaus. Die Erfahrungen in Kiel - die ich nicht für besonders einzigartig halte - zeigen, dass die WASG bloß einen kleinen Teil derjenigen erfasst, die sich - auch hier in Kiel - gegen die "Agenda 2010" in Bewegung gesetzt hat. Ende Mai hat das Bündnis gegen Sozialabbau und Lohnraub eine Veranstaltung gemacht, bei der in der Pumpe die Galerie ziemlich voll war. Unsere Themenabenden, die wir in den letzten Monaten zum Beispiel zum Mindestlohn, zur Bildungspolitik, zur EU-Verfassung und zur Geschichte der Arbeitsverwaltung gemacht haben, waren hingegen immer ganz miserabel besucht. Im Wesentlichen bleiben wir meist unter uns. Wir haben also erhebliche Schwierigkeiten, unseren Wirkungskreis auszudehnen. Vor diesem Hintergrund und angesichts der knappen Zeit müssen wir in beiden Fällen - wenn wir alleine antreten oder wenn es zu einem Bündnis mit der PDS kommt -, die Kandidatur zur gemeinsamen Sache aller machen, die etwas gegen die "Agenda 2010" unternehmen wollen.

LinX: Wie kann man das bewerkstelligen?

D.D.: Man müsste als erstes diese Parole ausgeben und dazu gezielt einladen, sich an einen Tisch zu setzen. Da müsste dann zum Beispiel diskutiert werden, wen man hier in Kiel als Direktkandidaten aufstellen könnte. Und man müsste dann gemeinsam die Unterschriften für den Wahlvorschlag sammeln. Das ist, wie gesagt, meine ganz persönliche Position, und ich bin mir überhaupt nicht sicher, ob diese in der hiesigen WASG mehrheitsfähig ist.

Wir tun uns schwer, hier in Kiel das Tempo zu halten. Es gibt in der WASG Klagen, Oskar Lafontaine würde die WASG mit seiner Forderung nach einem Linksbündnis erpressen. Aber dass uns jetzt wahrscheinlich mit den vorzeitigen Neuwahlen ungefähr ein Jahr gestohlen wird, das von der politischen Linken und den Agenda-Gegnern zur Neugruppierung und Vorbereitung auf die Wahlen hätte genutzt werden sollen, verdanken wir nicht Lafontaine, sondern Schröder.

LinX: Stichwort Lafontaine. Der wird sicherlich viele Wählerstimmen bringen, aber andererseits auch viele Linke davon abhalten, in der WASG mitzuarbeiten.

D.D.: Ich denke, dass, was diese Linken an Lafontaine abstößt, sie auch bisher schon davon abgehalten hat, die WASG zu unterstützen. Das ist eigentlich auch der Punkt, der mir ständiges Bauchgrummeln verursacht: Die WASG verfolgt kein Programm, das den Kern der "Agenda 2010" angreift, die kapitalistische Profitmacherei selbst, die dadurch von allerhand Fesseln befreit werden soll. In der WASG dominiert ohne Frage eine Keynsianische Linie, die viele Linke, wie ich auch, für unrealistisch halten. Krisen und Massenarbeitslosigkeit sind dauerhaft nicht durch eine noch so schöne Wirtschaftspolitik zu beseitigen, die die Eigentumsverhältnisse unangetastet lässt. Allerdings muss man einfach zur Kenntnis nehmen, dass in der Bewegung gegen die "Agenda 2010" der Keynsianismus mit Abstand die dominante Position ist, sofern man sie nicht allzu eng fasst, also auch die Gewerkschaften mit ihren immer noch ein paar Millionen Mitgliedern mitzählt, wo die Wut über die Regierungspolitik enorm ist. Damit muss man irgendwie fertig werden, statt sich weise kopfschüttelnd davon abzuwenden.

Wichtig finde ich allerdings, dass in der WASG sich nicht Haltungen durchsetzen, wie in einigen Gewerkschaftsvorständen, wo man sagt: "Hartz IV ist gelaufen. Wir müssen jetzt damit leben und verhindern, dass Schlimmeres passiert." Die Rücknahme von "Hartz IV" muss weiter ganz oben auf unser Forderungsliste stehen, und wir sollten auch in den Gewerkschaften entsprechenden Einfluss nehmen. Der keynsianische Mainstream in der WASG wird an diesen Fragen zu messen sein. Ich fand es übrigens durchaus bemerkenswert, dass Lafontaine seinen Austritt aus der SPD davon abhängig gemacht hat, ob die SPD nach der Niederlage in NRW mit "Hartz IV" bricht oder nicht.

LinX: Die Bundestagswahl hat ja außer der Frage Linksbündnis und Wahlbeteiligung noch einen ganz anderen Aspekt: Aus Kreisen des Netzwerks der Gewerkschaftslinken, Attacs und anderen gibt es Überlegungen, im August und September mit größeren Aktionen an die Öffentlichkeit zu gehen. Wie ist die Stimmung in der Kieler WASG. Hat man dort vor allem den eigenen Parteiaufbau im Sinn, oder gibt es ein Bewusstsein davon, dass sich linke Politik hauptsächlich auf der Straße abspielt.

D.D.: Man kann sicherlich darüber streiten, wie viel Politik sich tatsächlich auf der Straße abspielt und welchen Einfluss andererseits das Was und Wie der Entscheidungen in den Parlamenten auf das Geschehen auf der Straße oder in Büros und Betrieben ausübt. Die bevorstehenden Bundestagswahlen haben jetzt schon zu einer starken Politisierung der Bevölkerung geführt. Es wäre sträflich, wenn die Bewegung gegen die Agenda das ungenutzt verstreichen ließe. Darüber wird zu diskutieren sein. Aber davon abgesehen ist es in der Kieler WASG schon so, dass der Focus noch eher auf der WASG selbst liegt. Jedoch allen ist klar, was für ein enormer Kraftakt der Bundestagswahlkampf werden wird. Wir werden uns öffnen und die Zusammenarbeit mit andern suchen müssen. Denn wir werden keine Materialschlacht liefern können. Der Wahlkampf wird von den Aktiven getragen, und wenn wir deren Kreis nicht deutlich erweitern können, wird das eine ziemlich aussichtslose Sache.