Die Linke und die Debatte über die EU und ein “anderes Europa”:

An die Arbeit – weiterwühlen!

Nach dem zweifachen Nein aus Frankreich und den Niederlanden zur Europäischen Verfassung befindet sich die EU in einer tiefen Krise. Selbst Szenarien, den Euro wieder aufzugeben, tauchen auf, wobei es dafür vor allem ökonomische Gründe gibt. EU buchstabiere sich als “Europäisches Unbehagen”, wusste man in der jüngsten Ausgabe der Welt am Sonntag zu berichten. Es ist also sinnvoll, sich zu vergegenwärtigen, um was es real bei der EU geht. Zumal sich in den letzten Wochen in der jungen Welt Debattenbeiträge zum Charakter der EU fanden – so in Form eines Briefwechsels zwischen Jürgen Elsässer und Bernhard Schmid (Paris) (siehe jW vom 21.5.) und in Form eines Beitrags von Diana Johnstone (jW vom 2. 6.).

Aus meiner Sicht gibt es in der Linken derzeit drei Charakterisierungen der EU, die mit der Realität nicht übereinstimmen und darüber hinaus politisch problematisch sind.

Drei falsche EU-Analysen

Da ist zum ersten eine ultralinke Position, wonach es sich bei der Herausbildung der EU um einen kapitalistischen Prozess handelt, der einer “objektiven Tendenz des Kapitals” zur Kapitalkonzentration entspricht. Linke sollten sich hier “neutral” verhalten. Diese Haltung war lange Zeit charakteristisch für die gesamte Linke: Die EU als Projekt war in Westeuropa im Zeitraum 1956 bis 1990 schlicht kein Thema linker Kritik. Inzwischen gibt es eine entwickelte fortschrittliche Kritik an der EU. Nun scheiden sich in diesem Lager die Geister meist an der Frage der Erweiterung. Wenn es sich um einen “an sich objektiven” Prozess handelt, dann erscheint die fortgesetzte Erweiterung der EU ebenfalls objektiv bedingt. Ein linkes “Nein” zur Osterweiterung oder zur Aufnahme der Türkei in die EU ist dann nicht nur unrealistisch; es verbietet sich auch aus demokratischen Gründen. Bernhard Schmid schrieb dazu: “Wichtig ist nicht, mit wem und zu wievielt wir in einem  Staaten- bund zusammen sind – darin das Problem zu erblicken, das ist die rechte Logik. Wichtig ist, welche gesellschaftlichen Kräfte auf die Entwicklung der inneren Widersprüche in diesem Verbund Einfluss nehmen.” Notwendig wären, so Bernhard Schmid, “harte Verhandlungen mit Ankara über demokratische  Mindest- standards ... In dieser Hinsicht haben die französische KP und die LCR (Ligue Communiste Revolutionaire) die richtige Position, die fordern,  Beitrittsver- handlungen aufzunehmen, dabei aber deren Abschluss auch an die Vorbedingung für die türkische Seite zu knüpfen, endlich den Armenier-Genozid ... anzuerkennen.”
 
 

Plakat im französischen Volksabstimmungs-
wahlkampf: Für ein anderes, ein soziales und
demokratisches Europa

Eine zweite Position argumentiert, die EU sei Teil des großen neoliberalen Projekts unter US-Hegemonie. Sie werde wider Willen in die US-Projekte einbezogen. Diese Position wurde von Diana Johnstone mit den Worten vertreten: “Die Europäische Verfassung bindet die EU an die NATO – das Instrument der USA zur Beherrschung Europas. ... Dieses Europa, das sich selbst nicht mehr bekriegen will, steht ... paradoxer Weise im Begriff, in nicht endende Kriege gegen den Rest der Welt hineingezogen zu werden.” Johnstone spricht in diesem Zusammenhang von einem “Condominium Impérial”, einem imperialen Herrschaftsverbund, welcher ein “sozioökonomisches und geostrategisches System” darstellen würde.

Die dritte Position lautet: Die EU an sich ist eine gute Idee, die lediglich schlecht ausgeführt werde, wobei anstelle von “EU” meist von “Europa” die Rede ist. So sei das Schengener Abkommen als repressiv, der Maastrichter Vertrag und der Entwurf für eine europäische Verfassung als allzu neoliberal und die im letzteren enthaltene Forderung nach Aufrüstung als nicht akzeptabel zu kritisieren. Typisch ist hierfür die PDS-Position. Im PDS-Programm vom Oktober 2003 heißt es: “Die PDS befürwortet die europäische Integration und die Erweiterung der Europäischen Union auf einer demokratischen, sozialen, ökologischen und zivilen Grundlage. Sie sieht in ihr eine Chance für eine supranationale Organisation, die dazu beitragen kann, Frieden, Freiheit und Gleichheit ... zu fördern ... Die PDS unterstützt den Prozess des Entstehens einer Europäischen Verfassung.”1 Bei dieser Position befindet sich in der Regel der aggressive Charakter der US-Politik im Blickfeld; die EU wird in der einen oder anderen Art und Weise als eine Art reales oder potenzielles “ziviles Gegengewicht” gesehen. Diese Haltung ist auch in der  Anti- globalisierungsbewegung stark vertreten. In dem neuen Buch von Walden Bello “De-Globalisierung” heißt es: “Europa wird sich dem Aufbau einer europäischen Verteidigungsarmee widmen, welche unabhängig von der NATO sein wird, doch es wird die strategische Überlegenheit der USA nicht in Frage stellen. Politisch wird Europa ... sich zunehmend als alternativer Pol präsentieren – es wird regionales Eigeninteresse mit einem liberalen, diplomatieorientierten und multilateralen Ansatz verfolgen.”

Im Folgenden sei mit sechs Thesen eine alternative Position umrissen, die den drei Einschätzungen widerspricht.

I Objektiver Prozess, aber zerstörerisch

Zweifellos handelt es sich bei der Herausbildung der EWG/EG/EU um einen klassischen Prozess der Kapitalkonzentration. Das Korsett der Nationalstaaten wurde für die europäischen Konzerne und Banken zu eng. Während im 18. und 19. Jahrhundert vergleichbaren Vorgängen teilweise fortschrittliche Tendenzen  inne- wohnten, ist der aktuelle Prozess ausschließlich destruktiv. Es bedarf keiner noch größeren Konzerne, um die Produktivkraft zu stärken, vielmehr stellen die neuen “global player” mit ihren Monopolen und Kartellen oft ein Hindernis für die weitere Produktivkraftsteigerung dar (Beispiel: Microsoft vs. Linux). Was sich in der Kapitallogik als Produktivkraftsteigerung darstellt, ist meist die Bündelung von Destruktivkräften. Beispiel Transportsektor: Eisenbahnen dienten im 19. Jahrhundert der Schaffung eines größeren Marktes; gleichzeitig vergesellschafteten sie erstmals Mobilität. Die heutigen Eisenbahn-Hochgeschwindigkeitsprojekte dienen der spezifischen Mobilität von Geschäftsleuten und Politikern, die zwischen Metropolen pendeln, und ermöglichen Konzernen eine europaweite  Arbeits- teilung. Gleichzeitig werden die regionalen Schienennetze zerstört und Millionen Menschen auf den umweltschädigenden Autoverkehr verwiesen. Die in einer Ware gleicher Qualität enthaltenen Transportkilometer (LKW, Eisenbahn, Binnenschiffahrt) liegen heute auf doppeltem Niveau wie 1975. Was volkswirtschaftlich unproduktiv ist, wird als “Liberalismus” gefeiert. Der mit rund fünf Milliarden Euro subventionierte Großraum-Airbus A380 rechnet sich nur dann, wenn sich der weltweite  Luftver- kehr bis 2015 nochmals verdoppelt. Dabei trägt der Luftverkehr in besonderem Maß zur Klimaverschlechterung bei.

Bereits die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) mit den Römischen Verträgen von 1957 und alle großen EU-Projekte (Maastricht, Euro, Osterweiterung, EU-Verfassung) zielen in erster Linie auf die Stärkung der Macht der Konzerne und Banken und damit auf die Freisetzung dieser Destruktivkräfte. Eine Neutralität gegenüber diesem Prozess ist selbstmörderisch, inhuman und ignorant.

II Blockkonkurrenz und militärisches Projekt

Das EWG-EG-EU-Projekt war von vornherein darauf orientiert, die Konkurrenzposition der europäischen Konzerne gegenüber USA und Japan zu fördern. Die übergeordnete Zielsetzung des weltweiten Kapitalismus, die nichtkapitalistischen Gesellschaften (UdSSR, China usw.) unter die Kontrolle des privaten Kapitals zu bringen, hat diese latente Konkurrenz jahrzehntelang überlagert. Die weltgeschichtliche Wende von 1989/1991 hat diese Dynamik offengelegt und beschleunigt. Gleichzeitig mit dem Maastrichter Vertrag kam es zur Bildung der NAFTA (USA-Kanada-Mexiko). Parallel zur EU-Osterweiterung bemüht sich die US-Regierung um die Schaffung einer panamerikanischen Freihandelszone.

Die Militarisierung der EU ist nicht eine Fehlentwicklung derselben, sondern folgt der gesamten Logik des Projekts. Eine Wirtschaftsmacht ohne die Fähigkeit, der Expansion von Waren und Kapital militärisch Geltung zu verschaffen, ist ein Papiertiger. Integraler Bestandteil der EU-Verfassung – aber auch parallel eingegangener EU-Verträge – ist die “Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP)”. Diana Johnstone behauptet, “Artikel I-41 (der EU-Verfassung) bindet die EU an die NATO”. Das Gegenteil ist der Fall. Der Artikel beschreibt die Ziele der GASP, die “der Union eine auf zivile und militärische Mittel gestützte Fähigkeit zu Operationen” sichern und die “schrittweise Festlegung auf eine gemeinsame Verteidigungspolitik der Union” ermöglichen soll. Er fordert von allen Mitgliedstaaten, “ihre militärischen Fähigkeiten schrittweise zu verbessern”. Die NATO taucht hier nur insoweit auf, als “die Verpflichtungen bestimmter (EU-)Mitgliederstaaten”, die NATO-Mitglieder sind, zu “achten” seien. Tatsächlich richtet sich die EU-Aufrüstung in der Perspektive gegen die NATO und gegen die USA. Dies ist auch der Punkt, den die US-Vertreter bei der EU seit rund fünf Jahren massiv kritisieren – unter anderem jeweils im Rahmen der Münchner “Sicherheitskonferenzen”. Eine “Unterstützung” gewährt die US-Regierung in der Regel den EU-Mitgliedstaaten, die in der EU einen Gegenpol bilden (z.B. Großbritannien, teilweise Italien und Polen) bzw. der Türkei, bei der sich eine EU-Mitgliedschaft als Sprengsatz für das EU-Projekt erweisen könnte.

III Osterweiterung und Türkei-Beitritt

Wer davon ausgeht, dass die EU im Kern ein Projekt der Konzerne und Banken ist, kann bereits kein Interesse daran haben, dieses Projekt durch Erweiterungen zu stärken. Im Fall der Osterweiterung und des Beitritts der Türkei geht es darüber hinaus um neue Mitgliedsstaaten, in denen der Lebensstandard deutlich niedrigerer als im EU-Durchschnitt ist. Unter den gegebenen Bedingungen (kaum Geld für “Ausgleichsfonds”) sind die Folgen solcher Erweiterungen für die Mehrheit der Bevölkerung in den Beitrittsstaaten und für einen großen Teil der Menschen in der “Alt-EU” negativ: Es kommt zu einem verstärkten, flächendeckenden Sozialdumping, zu noch mehr “Standortwettbewerb” und zur Zerstörung von Millionen kleiner Existenzen in der Landwirtschaft und im Handwerk. Wenn Bernhard Schmid ein “Recht auf Beitritt” verteidigt, so ist das abstrakt. Unsere Aufgabe ist es, gegenüber der Propaganda, die ständig die “Vorteile von EU-Mitgliedschaften” preist, auf die tatsächlichen sozialen Folgen zu verweisen. Die Formulierung von zu erfüllenden “Bedingungen” für einen Beitritt (z.B. Anerkennung des Genozids an der armenischen Bevölkerung) ist fragwürdig: Hat Frankreich die volle Verantwortung für die Greuel im Algerien-Krieg übernommen? Muss Italien wegen der faschistoiden Polizeigewalt in Genua 2001 aus der EU ausgeschlossen werden? Und überhaupt: Warum wird ein “Recht auf Beitritt” verteidigt und nicht das Recht auf Austritt propagiert? In Schweden und Österreich dürfte es inzwischen Mehrheiten für einen EU-Austritt geben. Doch es gilt: Klappe zu, Affe tot.
 
 

Warschau: Das deutsche Kapital ist
längst vorort.

 

IV Nationalstaaten und Strukturelles Demokratiedefizit

EU-Kritiker werden meist als reaktionär bezeichnet, da sie angeblich den Nationalstaat verteidigten oder gar einem Nationalismus frönten. Das ist absurd. Wir leben schlicht in Nationalstaaten; das können wir nur zur Kenntnis nehmen. Die EU ist, zu Ende gedacht, ein neuer neoliberaler Staat, der die Nationalstaaten ersetzen und die Macht der Banken und Konzerne auf höherer Ebene – und damit noch gewaltsamer – zum Ausdruck bringen soll. Die fehlende Demokratie in der EU ist nicht allein Resultat von “falschen” Verträgen und unzureichenden Verfassungsartikeln. Sie ist auch strukturell bedingt. Der Politologe Claus Offe beschrieb das wie folgt: “Diese Parlamentarisierung (des Europäischen Parlamentes) ist nicht nur wegen der beschränkten Funktion des Europäischen Parlamentes gegenüber der Kommission, sondern auch deswegen scheinhaft, weil es keine europäischen Parteien, kein europäisches, harmonisiertes Wahlrecht und vor allem keine  medienver- mittelte europäische Öffentlichkeit gibt, welche die Tätigkeiten des EP ... kritisch begleiten könnte.”3 Hinzuzufügen ist: Und weil andere Formen der demokratischen Gegenmacht wie Gewerkschaften, Umweltverbände usw. auf EU-Ebene nur schwach vertreten sind. Die einzigen, die EU-weit gut organisiert sind, sind die Konzerne und Banken, die mit Dutzenden gut funktionierenden, finanziell potenten Lobbygruppen vertreten sind und mit dem European Round Table (ERT), in dem die Bosse der 45 größten Konzerne versammelt sind, über eine Art konspirative Kommandozentrale verfügen.

Unter diesen Bedingungen ist es für die Gegenwehr schlicht effizienter, wenn der Gegner (noch überwiegend) in Berlin und (noch) nicht in Brüssel sitzt, wenn er personifiziert und mit Parteien in Verbindung gebracht werden kann und nicht als anonyme Bürokraten-Macht erscheint. Im Übrigen gibt es bürgerliche EU-Gegner, die tatsächlich den “Nationalstaat” idealisieren und dennoch nicht reaktionär sind. Das trifft z.B. auf die Gruppe um den ehemaligen französischen Verteidigungsminister Chevènement zu, der die “Souveränität” Frankreichs verteidigt und die EU mit z.T. fortschrittlichen Argumenten kritisiert.

V Condominium Impérial und “Ultra-Imperialismus”

Die von Diana Johnstone aufgestellte These eines “Condominium Impérial (CI)” ist nicht neu. Im Vorfeld des Ersten Weltkriegs vertrat Karl Kautsky die These eines “Ultraimperialismus”, der “an die Stelle des Kampfes der nationalen Finanzkapitale untereinander” getreten sei und darin bestehe, dass es nun eine “gemeinsame Ausbeutung der Welt durch das verbündete Finanzkapital” geben würde. Lenin hielt dagegen, dass “ultraimperialistische Bündnisse ... notwendigerweise Atempausen zwischen Kriegen” seien; dass es “einen Wechsel der Formen friedlichen und nichtfriedlichen Kampfes auf ein und demselben Boden imperialistischer Zusammenhänge der Weltwirtschaft” gäbe.4 Wenige Jahre später dokumentierte der Erste Weltkrieg, wer Recht behielt.

Natürlich ist ein Krieg zwischen den USA und der EU aus heutiger Sicht absurd; der militärische Abstand ist allzu groß. Doch ein Krieg Deutschlands gegen den Rest der Welt erschien 1900 ebenfalls absurd, u.a. weil der Abstand zur britischen Militärmacht gigantisch war. Ein Krieg Deutschlands gegen den Rest der Welt erschien 1932 lächerlich, u.a. weil es so gut wie keine deutsche Rüstungsindustrie gab. Wer vor 15 Jahren geschrieben hätte, dass die Bundeswehr bald wieder auf dem Balkan Krieg führen und am Hindukusch die freiheitliche Grund- und Bodenordnung verteidigen würde, wäre verlacht worden. Wer damals behauptet hätte, die EU würde eine eigene Armee und einen militärisch-industriellen Komplex aufbauen, wäre als unglaubwürdig bezeichnet worden. Die Entwicklungsrichtung von Blockkonkurrenz und Aufrüstung, die wir seit 1990 erleben, ist die gleiche wie vor dem Ersten und vor dem Zweiten Weltkrieg.

VI Welche Gegenwehr – welche Alternative?

Zunächst gilt: Jede Stärkung der EU und ihrer Institutionen schwächt die fortschrittlichen Kräfte. Jede Schwächung der EU und ihrer Institutionen stärkt die demokratischen und sozialistischen Kräfte. Die Siege des “Nein” in Frankreich und in den Niederlanden waren so gesehen ein deutlicher Erfolg für die Linke. Dabei kann das Gegenprojekt der Linken nicht in einem kleineren Europa oder in einer “früher vergleichsweise vernünftigen Europäischen Gemeinschaft” (Jürgen Elsässer) bestehen. Zumal das sich abzeichnende “Kerneuropa” mit Berlin und Paris von zwei Staaten bestimmt wird, die die Militarisierung (auf dem Balkan und in den französischen Einflussgebieten in Afrika) vorantreiben, die im Zentrum des militärisch-industriellen Komplexes (EADS und französische Atommacht “force de frappe”) stehen und die sich mit der Bildung einer EU-Staatengruppe der “Ständigen Strukturierten Zusammenarbeit” ein Mittel geschaffen haben, um EU-Kriege beschleunigt führen zu können.5

Notwendig ist eine Dreifach-Strategie:

Erstens gilt es, immer wieder den Charakter der EU und ihrer zentralen Projekte zu verdeutlichen und darzulegen, dass diese aus demokratischer, gewerkschaftlicher und sozialistischer Sicht zu bekämpfen sind. Dabei sind auch immanente Reformen zur Demokratisierung der EU zu fordern, soweit sie die Positionen der EU-Kommission und des Europäischen Rates schwächen und das Parlament stärken und dabei die nationalen Parlamente nicht entmachtet werden.
Zweitens sind alle Ansätze von EU-weiter Information und Koordination der demokratischen, gewerkschaftlichen und sozialistischen Kräfte zu unterstützen. Wichtig wäre vor allem, dass die Gewerkschaften EU-weite Kampagnen gegen Sozialdumping und für Arbeitszeitverkürzungen bei vollem Lohn- und Gehaltsausgleich führen.
Drittens gilt es, realistisch zu sein und immer wieder das Unmögliche zu fordern: Der Begriff “anderes Europa” macht nur Sinn, wenn eine qualitativ andere Gesellschaft als die bürgerliche und eine qualitativ andere Ökonomie als die kapitalistische gemeint sind. Diese neue solidarische, sozialistische Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung wird nicht am Schreibtisch entstehen. Sie kann sich nur in immer neuen Kämpfen von Gewerkschaften und sozialen Bewegungen konkretisieren. Irgendwann wird in dem System des globalisierten Kapitalismus ein Kettenglied reißen – so wie vor 100 Jahren mit der Russischen Revolution von 1905 erstmals das schwächste Kettenglied des Imperialismus riß. Natürlich ist der Ausgang der Geschichte völlig offen. Sicher ist jedoch, dass die innere Dynamik des Kapitalismus, auch diejenige des EU-Projekts, in die Barbarei führt. Also: An die Arbeit – weiterwühlen! Oder mit Karl Marx: “Und wenn sie ihre Arbeit vollbracht haben, wird Europa von seinen Sitzen aufspringen und rufen: Brav gewühlt, alter Maulwurf!”

(Winfried Wolf Artikel aus jw vom 09.06.2005 mit freundlicher Genehmigung des Autors)