Diskussionsbeitrag:

Groß, klein: Grünes Übel

In einer als E-Mail am 11. Juli verbreiteten Medieninformation unter dem Titel "Personality-Show und leere Worthülsen" schreibt der  Presse- sprecher der WASG Murat Cakir zum Wahlprogramm der Grünen: "Gleichermaßen beliebig sei auch die Position zur Sicherheits- und  Außen- politik." - er zitiert dabei Sabine Lösing vom geschäftsführenden Bundesvorstand: "Während im Programm (der Grünen) Militäreinsätze,   Präventiv kriege oder kulturelle Konfrontation abgelehnt werden, hat die Parteiführung die Anschläge von New York, Madrid oder jetzt in London genutzt, um eine Ausstiegsoption offen zu halten.'" (gemeint ist hier offenbar der grüne Ausstieg aus der verbalen Ablehnung von Militäreinsätzen etcetera.) "Aus Erfahrung", heißt es weiter in der Medieninfo, "könne man sagen, dass sie (die Grünen) unter zugespitzten politischen Verhältnissen einer Beteiligung an einem Militäreinsatz nicht widersprechen würden."

Dass die Grünen künftig "einem Militäreinsatz nicht widersprechen würden", ist doch ein bisschen sehr harmlos formuliert. Wir haben in diesem Wahlkampf Bilanz zu ziehen nicht allein über die letzte (zudem noch verkürzte) Legislaturperiode. Wir haben eine ganze Ära rot-grüner Regierungspolitik zu bilanzieren. Und deren Desaster begann nicht erst mit der nach den Wahlen 2002 aufgelegten Agenda 2010. Das Desaster rot-grüner Politik wurde vielmehr spätestens im Frühjahr 1999 offensichtlich, als Deutschland unter Schröder, Fischer und Scharping in seinen ersten Krieg nach Hitler zog. Ich will hier jetzt nicht näher eingehen auf das ungeheuerliche Gespinst aus schamlosen Propagandalügen, die namentlich Fischer und Scharping zur Rechtfertigung des dann schließlich von ihnen vom Zaun gebrochenen schändlichen Krieges seinerzeit in die Welt hinausposaunt haben. Das kann man alles inzwischen in einer Reihe guter Bücher zu dem Thema erschöpfend nachlesen.

Am 15. Juli war Gregor Gysi zu Gast in der Talkshow "3 nach 9" von Radio Bremen. Aber die klügste politische Bemerkung dieser Runde kam nicht von ihm, sondern von der TV-Moderatorin Arabella Kiesbauer. Darauf angesprochen, dass sie sich bei früheren Bundestagswahlen "als Schwarze" geoutet habe (das war natürlich politisch gemeint), entgegnete sie, sie habe CDU und CSU lediglich gegenüber Rot-Grün als "das kleinere Übel" bezeichnet.

Ich weiß nicht wie Frau Kiesbauer ihr damaliges Urteil begründet hat. Fest steht aber, dass es vollkommen richtig gewesen ist. Und für diese Richtigkeit ist eben nicht nur die Agenda 2010 ein Beleg, gegenüber der alle ähnlich angelegten Vorstöße in der Ära Kohl sich geradezu lächerlich ausmachen. Vielmehr war die Regierung Kohl insbesondere in der sogenannten Außen- und Sicherheitspolitik das erkennbar kleinere Übel im Vergleich zu Rot-Grün. Bereits im Frühjahr 1998, als Rot und Grün noch in der Opposition waren, haben sich ihre außenpolitischen Sprecher Scharping und Fischer öffentlich für eine militärischen Intervention der NATO im Kosovo auch ohne UNO-Mandat ausgesprochen. Sie befanden sich damit auf einer Linie mit dem CDU-Verteidigungsminister Rühe, aber im Gegensatz zur Position von Kohl und seinem Außenminister Kinkel (und übrigens auch im Gegensatz zur Position der USA, die damals eine solche Intervention noch ablehnten).

Eine "Option", aus irgendeiner grünen Ablehnung von Militärinterventionen mit deutscher Beteiligung noch "auszusteigen", wie es Sabine Lösing formuliert, haben die Grünen weder nach den Anschlägen vom 11. September 2001 gehabt, noch haben sie sie etwa jetzt nach den Londoner Anschlägen. Sie hatten und haben sie nicht, weil sie längst (nämlich spätestens im Frühjahr 1999) aus ihrer Ablehnung deutscher Kriegsbeteiligungen ausgestiegen sind. Die Grünen sind zusammen mit der Sozialdemokratie die Partei des ersten deutschen Krieges seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Das kann ihnen niemand mehr nehmen.

Wenn Schröder und Fischer ab Sommer 2002 mit großem Getöse, das ihnen im Wahlkampf gut zupass kam, die Intervention in den Irak abgelehnt haben, dann ist erstens daran zu erinnern, dass viel mehr als einen gewissen moralischen Beistand die USA damals von ihnen gar nicht gefordert hatten. Eine direkte Beteiligung deutscher Truppen hatten sie nie in Erwägung gezogen. Zweitens aber beruhte ihre Ablehnung des Irakkrieges auf handfesten deutsch-europäischen Großmachtinteressen, die in zunehmend heftiger werdender Konkurrenz zu denen der USA stehen. Als  Anhalts- punkt mag hier nur der Hinweis dienen, dass das Regime Saddam Husseins dabei war, die Rechnungen seines Ölexports von der Dollar- auf Euro-Basis umzustellen. Ablehnung des amerikanischen Irakkrieges und Hochrüstung der Euro-Union sind zwei Seiten derselben Medaille.

Um es zusammenzufassen: Gegenüber der CDU Kohls und der FDP Kinkels hat sich Rot-Grün - sowohl innen- als auch außenpolitisch - als das größere Übel erwiesen. Und wenn heute eine mögliche künftige schwarz-gelbe Regierung sich als noch größeres Übel darstellt, dann bleibt dazu erstens festzuhalten, dass Rot-Grün dafür gar nichts kann. Es liegt allein daran, dass bei CDU und CSU solche Leute wie Seehofer mittlerweile nicht mehr viel zu sagen haben. Zweitens aber ist immer daran zu erinnern, dass Rot-Grün unter Schröder und Fischer diesem möglicherweise bisher größten Übel in der Geschichte der Bundesrepublik den Weg freigeschossen haben - und das zum Teil buchstäblich.

(Daniel Dockerill, Mitglied im Kreisvorstand der WASG Kiel)