Bestechliche Ratspolitik:

Kein Science Center in Kiel!

Die maritime Wirtschaft, die ihr dienliche Wissenschaft und die Unternehmer-Lobby in der IHK setzen verstärkt die Stadt Kiel unter Druck. Sie verlangen nicht nur den Ausbau des von der Pleite bedrohten Flughafens, sondern fordern verschärft ein Kieler Science Center.

Auf der Ratsversammlung am 28.10.2004 hatte eine Überprüfung der Realisierbarkeit des Science Centers vorgelegen, wonach eine  Gebäude- Variante 8,8 Mio. und die Schiff-Variante ca. 9,1 Mio. für die Stadt bedeutet. Der Rest zu den gesamten Kosten von ca. 25 Mio. Euro sollte mit 60 Prozent vom Land gefördert werden. Auf Bewirken der maritimen Wirtschaft wurde auf der gleichen Ratsversammlung der Umbau des Ostseekais zum Cruise & Ferry Center mit Gesamtkosten von 19 Mio. beschlossen.
 
Die bekannte desolate Haushaltslage der Stadt Kiel soll mit 30 Prozent Sozial- und Personal- kürzungen aufgefangen werden, die zum Jahresende alle beschlossen wurden. In dieser Lage schien es, als ob einige Ratsvertreter (ausgenommen die der SPD) sich von dem Projekt Science Center verabschieden wollen, zumal von unrealistischen Besucherzahlen von 300.000 jährlich ausgegangen wurde. Hinzukommt, dass es in Schleswig-Holstein bereits ähnliche  Ein- richtungen gibt, wie z.B. die Phänomenta in Flensburg oder das Sea-Live-Center am Timmendorfer Strand. Insbesondere zu dem geplanten Science Center mit einer maritimen Erlebniswelt im Überseequartier der Hamburger HafenCity auf 7.700 m² gibt es Konkurrenz. Von der Kieler maritimen Wirtschaft selbst ist bislang nur eine sehr geringe finanzielle Beteiligung (2 Mio.) zugesagt.Die OB Volquartz beantragte die Projektentwicklung des 
Science Centers in der bisherigen Form nicht weiter zu verfolgen und "unter Beteiligung eines ortsansässigen Betriebes der maritimen Wirtschaft und gegebenenfalls der Christian-Albrechts-Universität" ... kostengünstigere  Möglichkeiten zu prüfen als derzeit geplant und zog das Fazit:

"Durch die dramatische Haushaltslage ist die Landeshauptstadt Kiel gezwungen, sich auf wenige Kernfelder zu konzentrieren. Dazu gehören neben der Wirtschaft, insbesondere die Hafenentwicklung und Innenstadt. Kiel als Segelstandort von Weltrang und Kiel als kinderfreundliche Stadt. ... Bei den heutigen Rahmenbedingungen (reduzierte Förderung durch das Land, Konkurrenzsituation zu Hamburg, Restrisiko für den Betrieb) kann die Verwaltung nur empfehlen, das Projekt in der jetzigen Form nicht weiter zu verfolgen."

Damit verwies die Ratsversammlung das Projekt in einen Lenkungsausschuss.

Mittlerweile gab es dann verschiedene Ideen und mit "Öffentlich-Privater-Partnerschaft" sollte das schon totgesagte Science Center wieder zu Leben erweckt werden. Von den GRÜNEN wurde eine Art Museumsbootsfahrt zwischen Hörn, Color-Line, Schifffahrtsmuseum, Aquarium und Kunsthalle vorgeschlagen. Der Rektor der Fachhochschule warb für die FH in Dietrichsdorf, in enger Verbindung zu HDW, der Technischen Uni, dem Arsenal, dem IfM GEOMAR und dem Ostuferhafen. Dafür machte sich auch die SPD stark. Die Kosten könnten auf ca. 5 Mio. gesenkt werden. Eine weitere Idee war der Umbau des Instituts für Meereskunde oder dann von Frau Volquartz vorgestellt, ein Historisches Zentrum/ Schiffahrtsmuseum/Warleberger Hof.

Mittlerweile änderten sich die Machtstrukturen in der Landesregierung und CDU-Minister Austermann warb unter dem Motto "die  Landes- regierung handelt" (in wessen Interesse?) für die stärkere Förderung des Kieler Science Centers. Der SSW protestierte dagegen, weil damit der Betrieb der erfolgreichen Phänomenta in Flensburg gefährdet wird und fragte "Wo kommt auf einmal die Kohle her?" Von Anfang an war es landesweit umstritten, warum nicht die bestehende Phänomenta in Flensburg gefördert wird.

Der CDU geht es demgegenüber aber um die Unterstützung der maritimen K.E.R.N.-Region und setzt damit die Landespolitik fort, die in  wirt- schaftlich starke Städte wie Kiel und Lübeck investiert und das flache Land weiter austrocknen lässt.

So wurde von der Landesregierung die 75prozentige Förderung des Science Centers bewilligt und gleichzeitig von der Stadt Kiel verlangt, dass "die Investitionsblockade der Stadt durchbrochen wird". Von Frau Volquartz hört man seit dem ganz andere Töne: "Kiel ist ein maritimes  Kompetenz- zentrum von Weltruf. Das Science Center ist die ideale Plattform zur erlebnisorientierten Präsentation der innovativen, maritimen Wirtschaft und Wissenschaft Kiels und der K.E.R.N.-Regien. Es ist das Schaufenster für Meeres-Hochtechnologie made in Kiel" und für Austermann ist es "ein touristischer Leuchtturm ... der zugleich Arbeitsplätze schafft und sichert" und für Driftmann (Präsident der IHK) soll es als "wissenschaftliche und wirtschaftliche Kompetenz unseres Landes bei der Erforschung und Bewirtschaftung der Meere und Ozeane bezeichnet werden".

Nach diesem Geldsegen ist das Science Center wieder offen in der ursprünglichen Variante. Neben einem KN-Preisausschreiben für eine innovative Namensfindung ist nicht klar, ob der in der ersten Ausschreibung genannte Betreiber Merlin Entertainment (Sea Life Center und mehr) das  weiter- hin machen soll. Eine Projektgruppe unter der Leitung des neu ernannten grünen Bau-Bürgermeisters Todeskino werden mit Vertretern aus Politik, Verwaltung, Wissenschaft und Wirtschaft Vorschläge für die Realisierung erarbeitet. Vermutlich wird es wohl auf eine Gebäudevariante an der Hörn hinauslaufen.

Darüber wird sicherlich der Vater des Science Centers Dirk Lindenau mit seiner Schiffsidee am Bahnhofskai enttäuscht sein. Als Vorsitzender eines maritimen Forums ist er an der Realisierung des Centers stark interessiert und ist möglicherweise auch als Investor im Gespräch.

"Von einem Erlebnisbogen, der in den Tiefen des Alls startet und unter des Schluchten des Meeres endet. Nach Infoständen beginnt eine flimmernde Welt mit Monitoren, Durchsagen, ein Kran dreht sich und ein Schiffslabor ist zu sehen. Dies soll Lust machen, um in einer begehbaren Brennstoffzelle gigantische Moleküle wie in einem realen Prozess fließen zu sehen, ein Wassereinbruch lässt sich am eigenen Leib erleben oder ein realer Brand wird bekämpft und später dann können auf einer simulierten Schiffsbrücke Schiffe durch die Förde gesteuert werden." So lauteten erste Visionen des SC.

Welches Interesse tatsächlich hinter dem SC stehen, wird sich nicht allein daraus erschließen, dass es in Kiel Wasser und Schiffe gibt. Die Zusammenhänge liegen auf der Hand, denn Kiel ist bedeutendster maritimer Rüstungs- und Forschungsstandort.

Neben Fachhochschule für Technik und der Bundeswehrforschungsanstalt gibt es das GEOMAR als Teil des Instituts für Meereskunde. Dazu kommen ca. 30 Rüstungsbetriebe in Kiel und Umgebung. Als größter Betrieb sei genannt HDW, jetzt ThyssenKrupp Marine Systems AG spezialisiert auf den U-Bootsbau mit Brennstoffzellenantrieb, daneben gibt es Rheinmetall (ehem. MAK), Raytheon Marine GmbH, Thales, EADS, Siemens, Elac Nautic und andere. Es liegt nahe, dass diese Rüstungslobby ein Interesse an diesem Center haben, denn es schafft ein wissenschaftliches und friedliches Umfeld, wo die Hintergründe von Rüstungsproduktion erstickt werden durch Technikliebe und Wissenschaftlichkeit.

Schließlich hat alles der Wirtschaft zu dienen und das Meer und die Ozeane haben sich ihren Profiten unterzuordnen.

Dass die maritime Fischereiwirtschaft mit u. a. in Kiel entwickelter moderner Technik und Geräten auf dem besten Wege ist, die natürlichen   Fisch- vorkommen als Nahrungsquelle der Menschen nahezu auszurotten, davon wird man hier wenig erfahren. Dass mittlerweile selbst einige Arten vom Aussterben bedroht sind und die Wasserqualität der Meere durch Verklappung, Entsorgung und Tankerunfällen abnimmt, davon liest man z.B. im Sea-Live-Center am Timmendorfer Strand nur am Ausgang bei Greenpeace-Ständen.

Ein Science Center in Kiel entspringt nur den Bedürfnissen der maritimen Industrie und ihrer Wissenschaftler nach Werbung und Profilierung. Bildung über Zusammenhänge von Meer und Natur gehören in die Schul- und Fortbildung, wie z.B. in der Volkshochschule oder in Büchereien. Aber genau hier hat die Stadt gekürzt. Bevor ein Euro in das Science Center fließt müssen erst die Kürzungsmaßnahmen und die Privatisierungen der Stadt in den Stadtteilbüchereien, in der Volkshochschule, in Kultureinrichtungen und in der Stadtverwaltung aufgehoben werden.

Außerdem sollte generell kein Geld für Prestigeobjekte wie Science Center oder Flughafenausbau ausgegeben werden, auch nicht unter touristischem und wissenschaftlichem Deckmantel. Schon gar nicht, wenn die Kommunen und Gemeinden ausgehungert sind, weil Unternehmen nicht besteuert werden oder Schlupflöcher benutzen. Die Daseinvorsorge für die Bevölkerung, auch nach Bildung, Kultur und Erholung sollte Grundlage von Politik sein. Diese Bedürfnisse müssen vor allem erfüllt werden und dazu müssen die Politiker zur Verantwortung gezogen werden. Für ein Science Center gibt es in Kiel keine Notwendigkeit.

(uws)